Kommentar Bremens Bürgermeister: Rücktritt gegen alle Regeln

Die Mehrheit der Bremer Wähler traut Jens Böhrnsen zu, das schwierige Miniland weiterzuregieren. Doch er entzieht sich lieber der Verantwortung.

Will nicht mehr als Bürgermeisterkandidat antreten: Jens Böhrnsen. Bild: dpa

Mit seinem völlig überraschenden Rücktritt nach der Wahl in Bremen bricht Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen mit allen Regeln der Politik. Es ist kaum zu glauben: Er könnte regieren, aber er will nicht. Er schmeißt hin, nach immerhin zehn Jahren an der Spitze des Minilandes.

Die Motive für diese Entscheidung muss man zunächst in seinem Charakter suchen. Böhrnsen ist ein nachdenklicher und empfindsamer Typ. Leute, die ihn gut kennen, sagen: Er lässt die Dinge an sich heran. Die deutlichen Verluste der Sozialdemokratie und vor allem die katastrophal niedrige Wahlbeteiligung, beides sind Tiefschläge. Böhrnsen hat sie persönlich genommen. Das ist ehrenvoll, einerseits, aber auch ein bisschen unpolitisch.

Bremen zu regieren, ist keine leichte Aufgabe. Die soziale Spaltung in der Stadt ist enorm. Hier die Villen des wohl situierten Bürgertums, nur wenige Kilometer entfernt soziale Brennpunkte. In Bremerhaven leben 38 Prozent der Kinder von Hartz IV. Widersprüche gibt es in allen Großstädten, aber in Bremen sind sie immens. Rot-Grün hat bisher nicht geschafft, diese Spaltung des tief verschuldeten Landes zu kitten. Und all das wird schwieriger, da die Schuldenbremse kommt.

In Bremen manifestiert sich ein Phänomen, das bei allen Wahlen der vergangenen Jahre deutlich wurde. Die gut gestellte Mittel- und Oberschicht geht wählen, die Armen und Marginalisierten bleiben zu Hause. Die CDU hat keinerlei Interesse, diesen Effekt zu bekämpfen, weil er ihr in die Karten spielt. Das heißt, es ist die Aufgabe der Parteien links der Mitte, die Abmeldung ganzer Bevölkerungsgruppen aus der Demokratie zu bekämpfen.

Angesichts dessen wirkt Böhrnsens Rückzug rat- und hilflos, ja: verantwortungslos. Eine Mehrheit der Wähler traut ihm weiter zu, die Stadt zu regieren. Und er wäre derjenige, der die schweigende Masse der Nicht-Wähler wieder für Politik interessieren müsste. Stattdessen stürzt er seine Partei und die kommende Koalition ins Chaos, weil er sich selbst aus dem Spiel nimmt. Das ist schade.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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