Pro & Contra Überwachung: Kamera läuft

Im jüngsten Fall von Polizeigewalt in South Carolina liefert ein Handyvideo die nötigen Beweise – ein Zufall. Brauchen wir mehr Videoüberwachung?

Sind zwei Kameras besser als keine? Bild: dpa

PRO

In den USA und anderswo: Viele Gewaltdelikte, gerade auch solche der Polizei gegenüber BürgerInnen, können nicht geahndet werden, weil für sie keine Beweise existieren. Vor allem Polizisten können sich – das weiß das interessierte Publikum aus Erfahrung, siehe nicht nur Ferguson – herausreden: auf Notwehr, Gefahr im Verzug etwa.

Das Video, das nun im US-Bundesstaat South Carolina einen Polizisten als Mörder im Dienst zeigt, verweist auf diesen Missstand. Insofern vor allem darauf: Es bräuchte mehr Material zur Überführung von Straftätern. (Auch von gewalttätiger Seite, die sich politisch links identifiziert.) Stoff, um – beispielsweise, doch nicht nur sie – Ordnungshüter, die sich wie Tyrannen verhalten, rechtsstaatlich verfolgen zu können.

Mithin: Es braucht mehr Videos. Und mehr Menschen mit Courage, die filmen. Und, das darf nicht verschwiegen werden, es sind auch mehr Überwachungskameras in der öffentlichen Sphäre nötig. Das Gut des Schutzes vor staatlicher Filmerei im öffentlichen Raum zählt weniger als das der Sicherheit.

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Und sei sie nur ein Gefühl: Es ist gerade für Menschen, die bedroht werden könnten, ein gutes Gefühl, des Schutzes durch Kameraüberwachung sicher zu sein. Frauen, die sich in U-Bahn-Unterführung ohne Kameraaugen ungeschützt wähnen; MigrantInnen, die sich vor Nachstellungen durch Neonazis fürchten; DemonstrantInnen bei Protestaktionen, die sich durch Polizeikräfte behelligt fühlen: Kameras, deren Aufnahmen, die im Zweifelsfall durch Ombudsvertrauensleute geprüft werden, können dafür sorgen, das Gefühl von körperlicher Integrität im öffentlichen Raum zu stärken.

Einwände, denen zufolge öffentliche Plätze am sichersten dann sind, wenn viele Menschen sich auf ihnen bewegen, sind wohlfeil: Areale – ob nun Plätze, Straßenunterführungen oder Parklandschaften – sind gerade für Ängstliche dann besonders furchterregend, wenn sie allein auf ihnen sind. Am späten Abend oder nachts.

Abschreckung durch die Angst, auf frischer Tat ertappt zu werden: Für die US-Polizeien wäre es, gelinde formuliert, stark anregend, wüssten sie, dass ihr Tun gefilmt, also beobachtet wird. Es wird sie eher zügeln als früher, da niemand im Besitz von Handykameras war und, quasi in Akten demokratischer Beweisaufnahmen, ihre Ordnungshüter als ungerecht verfolgende Täter nicht dokumentieren konnten.

Das Gut des Schutzes der Privatsphäre in der Öffentlichkeit ist kein absolutes. Wichtiger ist für potenziell Schutzbedürftige und klassisch Verdächtige das Bewusstsein, nicht ausgeliefert zu sein. Kein Recht bekommen zu können, weil ihnen niemand glaubt. Videos können deutliche Beweise sein.

Drohnen allerdings müssen für die öffentliche Beobachtung von einzelnen Bürgern verboten bleiben – sie sind die stärksten Waffen gegen das Recht auf öffentliche Zivilität. Fluggeräte untergraben das Gebot der Diskretion, es sind Schnüffelwerkzeuge. Videokameras schaffen Vertrauen, Drohnen Misstrauen: ein Unterschied ums Ganze. JAN FEDDERSEN

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CONTRA

Damit keine Missverständnisse auftreten: Das Gegenüberwachen auf Demonstrationen ist wichtig. Dort, wo die Polizei sowieso mit Kameras draufhält und sich hinterher die Szenen so schneidet, wie es ihr gefällt, wo ohnehin Fernsehteams filmen, können Handykameras deutlich mehr nutzen als schaden. Videoaufnahmen bringen also dort etwas, wo es im Zweifelsfall eher um Aufklärung geht als um Prävention. In einer Bank. Oder im Fall von staatlicher Gewalt bei Polizeieinsätzen.

Lasst uns also den öffentlichen Raum mit Videokameras vollpflastern, um Überwachung nicht willkürlich, sondern systematisch zu gestalten?

Für die Überwachten sind die Grenzen ohnehin längst fließend. Da sind staatliche Stellen, die Plätze filmen. Gewerbetreibende, die Kameras nicht nur in, sondern auch vor ihre Läden hängen und damit Angestellte, Kunden und unbeteiligte Dritte aufnehmen. Hausbesitzer, die ganze Straßenzüge permanent überwachen, ohne dass die Passanten auch nur eine Ahnung haben, wer hier filmt, wo die Aufnahmen landen, wie lange sie gespeichert werden und was ihr Besitzer damit macht. Alles im Sinne einer vermeintlichen Sicherheit. Aber mit immensem Eingriff in die Grundrechte. Und auch wenn der Hausbesitzer jetzt schon nicht die gesamte Straße überwachen darf – die Behörden kapitulieren angesichts der Zahl der illegalen Überwachungskameras.

Dass Kameras Kriminalität verhindern, glaubt ohnehin kaum noch jemand. Selbst wenn auf einem videoüberwachten Platz der Drogenhandel abnimmt – dann treffen sich Dealer und Kunden eben eine Ecke weiter. Die Konsequenz daraus ist in Städten wie London zu sehen: Kamerawildwuchs in einem Maße, dass sich die Frage stellt: Gibt es eigentlich einen öffentlichen Winkel der Stadt, der nicht überwacht ist? Und: Kann das überhaupt noch jemand auswerten? Oder wird daraus letztlich eine Steilvorlage für Sicherheitsbehörden, wieder mehr Personal zu fordern – das durch Kameras gerne reduziert wurde?

Und während Überwachung derzeit vor allem den öffentlichen oder halb öffentlichen Raum betrifft, wird gerade die Technologie für den nächsten Schritt marktreif: Drohnen, ausgestattet mit Kameras, können nicht nur Demos bequem überfliegen, sondern auch in Gärten oder durch Fenster filmen. Wer hinter einer Aufnahme steckt, ob man selbst gerade Motiv ist, ist noch weniger zu erkennen als bei fest installierten Apparaten. Das Panopticon lässt grüßen.

Studien zeigen übrigens: Selbst was die gefühlte Sicherheit angeht, bringt Videoüberwachung keine nennenswerte Verbesserung. Die TU Berlin hatte das in Kooperation mit mehreren Verkehrsbetrieben untersucht. Das Ergebnis: Präsenz von Personal, anderen Fahrgästen, selbst das Handy oder die Notrufsäule wirkten sich positiver auf die empfundene Sicherheit aus als Kameras. Die können im Fall des Überfalls übrigens auch einen negativen Effekt haben: Andere Passanten gucken weg, statt einzugreifen. Schließlich gibt es ja schon Kameras, die hinschauen. SVENJA BERGT

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