Wahlkampfauftakt der Grünen: "Natürlich geht es ums Gestalten"

Die beiden Landeschefs der Grünen über Give-away-Kultur, innerparteiliche Kontroversen, Sparneurosen und Ähnlichkeiten mit Werder Bremen.

Es ist ihr erster Wahlkampf in der Rolle als Parteichef: Henrike Müller und Ralph Saxe. Bild: Benno Schirrmeister

taz: Frau Müller, Herr Saxe, gehen Sie aufgeregt in Ihren ersten Landtagswahlkampf als Parteichefs?

Ralph Saxe: Ach, das geht so, wir machen einfach – und dabei vergeht die Aufregung. Wir versuchen allerdings, einiges anders anzupacken als unsere VorgängerInnen.

Was denn…?

Ralph Saxe: Zum Beispiel beziehen wir ein Ladenlokal als öffentlich zugängliches Quartier in der Bischofsnadel-Unterführung. Da kommen täglich so 10.000 Leute vorbei und da werden wir arbeiten, kommunizieren, Fragen stellen und beantworten, performen…

und Aufkleber verteilen?

Henrike Müller: Nein, wir werden diese Give-away-Kultur über Kulis und Traubenzucker hinaus erweitern.

Also: Auch Taschenlampen und noch mehr Material…?!

Henrike Müller: Nein, eben nicht. Die klassischen Wahlkampfmittel fahren wir sogar zurück. Uns geht es darum, den Straßenwahlkampf aufzulockern und aktionenhafter zu gestalten, sodass es zu echtem Kontakt kommt und nicht der Eindruck vermittelt wird: Hier stehen wir nun, das habt Ihr nun davon.

sind LandessprecherInnen von Bündnis 90/Die Grünen in Bremen. Müller, 39, arbeitet als Politikwissenschaftlerin an der Uni Bremen, Saxe, 55, ist Weinhändler und Bürgerschaftsabgeordneter.

Das scheint bitter nötig, nach der Lethargie des Vorwahlkampfs.

Henrike Müller: Wahr ist, dass es in der Tat vor allem darum gehen wird, zu mobilisieren: Es wissen erstaunlich wenig Menschen, dass nach Bundestag und Europaparlament im dritten Jahr in Folge gleich schon wieder gewählt wird. Denen müssen wir klarmachen, wie wichtig diese Wahl für Bremen ist. Außerdem haben viele den Eindruck, es geht eh alles weiter wie bisher.

Ja, tut’s das denn nicht…?! Was macht die Wahl so wichtig?

Henrike Müller: Es geht darum, deutlich zu machen: Wir unterstützen diese Politik, die für Bremen erfolgreich ist – zumal die Finanzpolitik zur Sicherung Bremens. Und wenn man das tut, muss man seine fünf Kreuze schon auch bei den Grünen machen. Man kann nicht einfach zu Hause bleiben und sagen: Die Opposition findet ohnehin nicht statt, Rot-Grün wird sich schon irgendwie wieder zusammen ruckeln. Es geht darum, den grünen Kurs beizubehalten.

Will das die Partei wirklich? Liebäugeln nicht viele mit der Oppositionsrolle, um nicht ständig in ureigenen Feldern Kürzungen verantworten zu müssen?

Henrike Müller: Von mangelnder Unterstützung für die Spitzenkandidatin Karo Linnert und den Sparkurs kann keine Rede sein. Wir nehmen uns aber die Freiheit, weiterhin über ihn nachzudenken und zu diskutieren: Was es gibt, ist ein innerparteiliches Ringen – sicher mitunter kontrovers, oft sehr emotional, aber am Ende absolut konstruktiv – um den besten Umgang mit unserer Situation.

Ralph Saxe: Es ist ja allen klar, dass wir Finanzprobleme lösen und verwalten müssen, die wir Grüne nicht verursacht haben. Lange wurde sorglos gewirtschaftet. Keiner ist glücklich darüber, wenn bei ihm gespart wird, wenn Dinge wegfallen, die sie oder er für sinnvoll erachtet. Ich glaube aber: Wenn die Leute wollen, dass Bremen eine Zukunft hat, braucht das Land eine seriöse Finanzpolitik. Das ist in der Tat eine Schwäche des aktuellen Wahlkampfs: Selbst darum wird nicht gestritten. Die Opposition findet nicht statt, sie setzt keine Debatten – was ich bedauere.

Das lässt sich vielleicht von der CDU sagen, aber doch wohl nicht von der Linken, die im Programm ein Ende der Sparneurose fordern…

Ralph Saxe: Ich würde anerkennen, dass die Linke eine engagierte und oft auch konstruktive Oppositionspolitik gemacht hat, im Gegensatz zu den Christdemokraten. Wäre das aber wirklich eine Debatte? Wie man aber in unserer Lage von einer Sparneurose sprechen kann – das kann ich nicht nachvollziehen. Wir haben in Bremen pro Kopf mehr als 30.000 Euro Schulden. Wir erhalten, kontrolliert vom Stabilitätsrat, 300 Millionen Euro jährlich, um diesen Weg der Konsolidierung zu gehen. Und sich darauf einzulassen – nennen Sie das neurotisch? Also mir leuchtet die Alternative nicht ein: Das hieße, auf dieses Geld zu verzichten, alles was sich noch irgendwie auftreiben lässt zu verpulvern und der kommenden Generation ein Gemeinwesen hinterlassen, das sich vor Schulden gar nicht mehr rühren kann.

Wäre es ökonomisch nicht sinnvoller, beim aktuellen Niedrigzinsstand werthaltig zu investieren… ?

Ralph Saxe: Also bei unserer Schuldenlage fände ich das nicht verantwortlich.

Wobei sich unter dem Primat des Sparens das Inhaltliche schnell darauf reduziert, zu fragen, wo man nun nicht spart. Wie demotivierend!

Henrike Müller: Man führt Debatten im Wissen darüber, dass kaum etwas da ist. So weit stimmt’s. Aber es gibt ja unterschiedliche Antworten auf die Frage, wo stecken wir das wenige, was wir zur Verfügung haben hin. Wir nutzen es, um nachhaltig die Situation zu verbessern….

Ist das nicht eine total defensive Grundhaltung, die dazu beiträgt, dass noch weniger Leute wählen gehen?

Henrike Müller: Also, wenn’s nach mir geht, Nein. Ist es nicht.

Ralph Saxe: Was verstehen Sie denn unter defensiv?

Es geht doch bloß darum, zu verhindern, dass etwas kaputt geht – nicht ums Gestalten!

Ralph Saxe: Nein. Das ist absolut falsch. Natürlich geht es ums Gestalten. Wir haben ja auch bei nicht gerade üppiger finanzieller Ausstattung unsere Schwerpunkte gesetzt. Wir haben, auch wenn das nicht überall ausreichend kommuniziert wurde, mehr ausgegeben für Kinderbetreuung, wir haben mehr ausgegeben für Bildung, wir haben viel mehr ausgegeben für Flüchtlingsbetreuung – ein wirklich drängendes Problem, wo unser Bremer Weg in ganz Deutschland als erfolgreiches Modell beachtet und teils auch nachgeahmt wird: Was ist das, wenn das nicht Gestalten ist?

Henrike Müller: Ich wünsche mir sehr, dass die BremerInnen unser Ja zur seriösen Finanzpolitik nicht als, wie Sie sagen, defensive Haltung missverstehen, sondern als Aufruf, fantasievoll und kreativ mitzuwirken. Denn mindestens bis 2020 lautet ja die entscheidende Frage, wie kriegen wir es in unserer Notlage hin, das gut ausgestattete Bremen, so lebenswert, wie es ist, zu erhalten und für die Zukunft weiterzuentwickeln. Dazu brauchen wir Fantasie und die Kreativität aller BürgerInnen, denn wir sitzen nicht auf einem Sack voll Gold, den wir nur hie und da anstechen müssen, und alles läuft.

Also: Mangel macht kreativ?

Henrike Müller: Ja. Ich kenne das so. Wenn nicht aus dem Vollen geschöpft werden kann, wundert man sich über so manche neue Lösung.

Ralph Saxe: Man darf auch, bei aller wie auch immer berechtigten Nörgelei am Standort, nicht aus dem Blick verlieren: Die BremerInnnen identifizieren sich mit ihrer Stadt in einem Maße, das keine andere große Stadt in Deutschland erreicht. Das ist so, das ist objektiv messbar, das muss man einfach zur Kenntnis nehmen. Auch bei den Tourismuszahlen eilen wir von einem Rekord zum nächsten, es gibt immer mehr Hotels. Die werden ja auch nicht gebaut, weil der Standort so schlecht ist. Viele Indikatoren sprechen dafür, dass sowohl die Leute von außerhalb als auch die Einheimischen Bremen positiv sehen. So würde ich auch gerne in den Wahlkampf reingehen.

Also mit rosa Brille?

Ralph Saxe: Nein, sondern so, wie die Leute dieses Land wirklich erleben. Denn das ist die Voraussetzung dafür, dass sie sich engagieren. Dieses Engagement für Bremen, das sehe ich ähnlich wie bei Werder: Als es denen in der Hinrunde schlecht ging, war das Stadion auch immer voll und die Fans sind gekommen, um zu zeigen: Jetzt erst recht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.