Nach sexistischer Bilderstrecke: Der blinde Fleck des Tilo Jung

Tilo Jung bleibt Teil der Krautreporter, wird aber in nächster Zeit keine Beiträge veröffentlichen. Das ist nobel gemeint, aber inkonsequent.

Hat nicht nur einen dummen Witz gemacht, abends, in der Kneipe: Tilo Jung. Bild: dpa

Tilo Jung hat einen „blinden Fleck“. So nennt er ihn nun, seinen digitalen Ausrutscher am Weltfrauentag. Am Montag hat die Krautreporter-Redaktion getagt und besprochen, welche Konsequenzen sie aus den frauenfeindlichen Bildern ziehen, die Jung bei Instagram gepostet hatte.

In den sozialen Netzwerken mutmaßten und forderten einige, Jung würde aus der Redaktion fliegen. So weit ist es nun nicht gekommen: Krautreporter-Chefredakteur Sebastian Esser hat in einem Artikel erklärt, dass Jung Teil von Krautreporter bleibe, in nächster Zeit aber keine Beiträge auf der Seite veröffentlichen würde.

„Krautreporter akzeptiert das Kokettieren mit Gewalt gegen Frauen nicht. Es macht mich wütend, diese Selbstverständlichkeit aufschreiben zu müssen“, schreibt Esser und wiederholt damit, was er Montag früh schon getwittert hatte. Tilo Jung bekäme nun Zeit, seinen „blinden Fleck“ auszuleuchten. Das klingt ein bisschen wie der Lehrer zu einem ungezogenen Kind: „Geh in die Ecke und schäm dich. Komm wieder, wenn du dich gebessert hast.“

Es ist nobel von Esser, Jung noch eine Chance zu geben. Denn einerseits: Das Netz ist gnadenlos. Was einmal in der Welt ist, verschwindet nicht so schnell, auch wenn man es, so wie Tilo Jung, löscht. Es bleiben die Retweets und die hunderte Antworten, die über Jung hereingebrochen sind. Wer einen Fehler macht, den straft das digitale Gedächtnis womöglich ein Leben lang.

Ignoranz und Selbstgerechtigkeit

Andererseits: Jung hat nicht irgendeinen dummen Witz gemacht, abends, in der Kneipe, angetrunken, rausgerutscht. Er hat Bilder gepostet, die sexistisch und chauvinistisch sind. Er hat sie untertitelt mit „Women's Day“ – ganz so, als sei Niedertreten das, was mit eben so macht, mit einer Frau. Er hat den Shitstorm, der danach folgte, als „symbolische Selbstverbrennung“ bezeichnet, ganz so, als wären seine Posts ein heroischer Akt.

Der Weltfrauentag stammt aus einer Zeit, als Frauen nicht wählen durften. Später kamen die Forderungen nach gleichem Lohn, menschlicheren Arbeitsbedinungen und dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch dazu. Dass wir heute noch über Frauenquote, Pay – und Care Gap reden, zeigt, dass der 8. März als politische Mahnung immer noch nötig ist. Wenn Tilo Jung diesen Tag nun nutzt, um Gewalt an Frauen zu rechtfertigen, zeugt das nicht nur von einem blinden Fleck, sondern von massiver Ignoranz und Selbstgerechtigkeit.

Die Aufregung in den sozialen Medien der vergangenen zwei Tage zeigt: Jungs Bilder fallen auch auf die Krautreporter zurück, Distanzierung hin oder her. Die Redaktion steht vor einer neuen Finanzierungsrunde. In wenigen Monaten muss sie wieder Geld von Lesern einsammeln. Auf Twitter empören sich jetzt schon einige, dass ihr Geld fehlinvestiert gewesen sei. Ein klares Bekenntnis gegen Jung hätte sie vermutlich versöhnt.

Ganz zu schweigen von Krautreporter-Kollegen, vor allem den weiblichen, die mit Tilo Jung nach seiner Zwangspause zusammenarbeiten. Ein Sexist im Team dürfte das Arbeitsklima ziemlich drücken.

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