Debatte Islam und Terrorismus: Die unbegrenzten Zumutbarkeiten

„Den“ Islam gibt es nicht. Doch die Gleichsetzung von Gegnern und Terroristen hat Tradition. So ging es auch deutschen Linken in den 70ern.

Islam ist nicht gleich Islam. Im Iran ist er anders als in Saudi-Arabien – oder im Taurusgebirge. Bild: dpa

Wer über Realitäten bloße Selbstverständlichkeiten verbreitet, sich jedoch beflissen mit einem „Aber“ rückversichert, will sich einen Ausweg für klotzige Zumutungen offenhalten. Exemplarisch geschieht dies in den Debatten über „den“ Islam. Die Kanzlerin zeigte Sinn fürs Selbstverständliche, als sie Christian Wulffs Satz wiederholte, „der Islam gehört inzwischen zu Deutschland“. Jetzt könnten sich auch die wertkonservativ-christlich-jüdisch-abendländisch geeichten Abgeordneten in der CDU/CSU mit den Realitäten vertraut machen.

Kaum hatte die Kanzlerin das Selbstverständliche wiederholt, ergänzte sie den nur Triviales berichtenden Satz mit einem „Aber“, mit dem sie ihn zur Hälfte widerrief. Wie vor ihr der Bundestagspräsident Norbert Lammert, fügte sie hinzu: „Aber“ die bloße Erklärung, man dürfe Islam und Islamismus nicht verwechseln, reiche zur Distanzierung von den Mördern nicht aus.

Sie verlange deshalb von der „Geistlichkeit des Islams“ Erklärungen dafür, warum sich viele Mörder „für ihre Taten auf den Islam beriefen“, wenn dieser mit dem Islamismus „angeblich“ nichts gemein habe.

Lammert und vor ihm der seichte Comedy-Clown Dieter Nuhr bemühten den biedermännischen „Man-darf-ja wohl-noch-sagen“-Verstand. Dieser leugne ja auch nicht, dass Kreuzzüge und Hexenverbrennungen etwas mit dem Christentum zu tun hätten. Nuhr merkte in der FAZ noch an, „so wie ich mich als Deutscher damit auseinandersetzen muss, was in deutschem Namen passiert ist“, so müssten sich Muslime dem Islamismus stellen.

Die Unschuld beweisen müssen

Das taten die Vorsitzenden der muslimischen Vereinigungen in Deutschland bei Mahnwachen und Demonstrationen sehr deutlich. Aber den konservativen Gesinnungsathleten genügt die Distanzierung von den Mördern nicht. Sie heben ihr Stöckchen hoch, über das „die“ Geistlichen hüpfen sollten, um zu widerlegen, was ihnen unterstellt wird: „Der“ Islam sei dafür verantwortlich, dass linke Zeitungsredakteure ermordet, Blogger ausgepeitscht und Frauen am Autofahren gehindert würden.

Der Gesinnungstest, der da gefordert wird, hat Tradition im „Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten“, wie der Philosoph Ulrich Sonnemann (1912–1993) in einer Essaysammlung schon 1963 anmerkte. Zumutbar ist nach der neudeutschen Tugendlehre, dass der Angeklagte seine Unschuld und nicht der Kläger dessen Schuld belegen muss; zumutbar ist auch, dass sich der seines Glaubens Bestohlene für Taten entschuldigen soll, die Diebe im Namen seines missbrauchten Glaubens begingen.

Der Geschlagene soll niederknien und öffentlich um Verzeihung und Vergebung bitten bei der in „pan-deutscher Gemeinsamkeit“ (Sonnemann) nach Sündenböcken jagenden Koalition der guten, willigen und rechtgläubigen Abendland-Unionisten.

Diese Zumutungen haben eine politisch-historische und eine theologische Facette. Politisch-historisch gleichen sie denjenigen, die Konservative – allen voran Alfred Dregger, Franz Josef Strauß und Heiner Geißler – gegen Linke in den 70er Jahren ausprobierten. Was immer Sozialdemokraten und Sozialisten damals sagten oder taten, sie mussten sich gegen die Unterstellung wehren, der demokratische Sozialismus sei nur eine milde Abart des Nationalsozialismus.

Viele verschiedene Ausprägungen

In einem Flugblatt der CSU stand im Wahlkampf 1972: „Vor 40 Jahren hieß es: Adolf wählen. Heute heißt es: Willy wählen“. Und Erich Mende von der FDP befürchtete, es seien „die letzten freien demokratischen Wahlen“, falls die SPD die Wahlen gewinne und die Ostverträge unterzeichne.

Von „dem“ Islam zu reden, ist bereits eine grobianische Vereinfachung. Überall, wo der Islam als Religion Fuß fasste, vermischte er sich mit den vorgefundenen Kulturen. Die Differenzen zwischen dem saudi-arabischen und dem iranischen Islam sind größer als die kulturell-politischen Unterschiede zwischen dem Iran und westlichen Demokratien.

Der in Saudi-Arabien seit der Staatsgründung 1932 als Staatsreligion installierte „Islam“ ist der Wahhabismus – benannt nach Mohammed Ibn Abd al-Wahhab (1703–1772). Der Wahhabismus ist nach dem tunesischen Theologen und Schriftsteller Abdelwahab Meddeb (1946–2014) eine „doktrinäre, mittelmäßige, ungebildete und simplifizierende“ Variante des Islam, die dem autoritären Regime und seinen archaischen Praktiken entgegenkommt.

Selbstmordattentate und Körperstrafen beruhen auf Lesarten des Korans, die dessen historische Kontexte völlig ausblenden, sowie auf der „Autorisierung durch Geistliche“ – wie der Religionsphilosoph Hans G. Kippenberger darlegte – und nicht auf einer obskuren Gewaltaffinität „des“ Islam.

Es geht um politische Macht

Der Zusammenhang zwischen Gewalt und Religion ist in allen Religionen evident, aber historisch-situativ bedingt und nicht strukturell-notwendig. Von den Kreuzzügen über die Hexenverbrennung bis zur Enthauptung von Geiseln durch Islamisten ist jeweils nicht „das“ Christentum beziehungsweise „der“ Islam verantwortlich zu machen, sondern spezifische politische, soziale und kulturelle Ausprägungen dieser Religionen.

Die Doktrinen der großen Religionen verfügen über eine immense historisch-politische Flexibilität und Knetbarkeit. Der Ägyptologe Jan Assmann betont deshalb: „Das semantische Dynamit, das in den heiligen Texten der monotheistischen Religionen steckt, zündet in den Händen nicht der Gläubigen, sondern der Fundamentalisten, denen es um politische Macht geht und die sich der religiösen Gewaltmotive bedienen, um die Massen hinter sich zu bringen“ oder das Publikum zu erschrecken.

Es ist deshalb ein Ausdruck der „unbegrenzten Zumutbarkeiten“, jetzt einzelne Gläubige oder gleich „die“ Muslime unter Verdacht zu stellen und deren Geistliche einem öffentlichen Druck zu Bekenntnis- und Loyalitätserklärungen auszusetzen. Rechts- und Gesetzestreue sind demokratische Selbstverständlichkeiten, Glaube und Gesinnung Privatsache – das gilt ohne „aber“ auch für Muslime.

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