Kommentar Demos in Frankreich: Die undenkbare Allianz

Die weltweite Geste der Solidarität war wichtiger als die vielen Differenzen. Demonstrations- und Pressefreiheit sind ein Gut, das es zu schützen gilt.

Menschen demonstrieren nach dem Anschlag auf der Place de la République. Bild: dpa

Es sind die zu Symbolen gewordenen Momentaufnahmen, die das kollektive Gedächtnis prägen. So wurde das Bild der nackten 9-jährigen Kim Phúc, die schreiend vor den Napalmbomben flieht, zur Chiffre des Vietnamkrieges, die einstürzenden Türme des World Trade Center markieren den Beginn des fatalen „Krieges gegen den Terror“.

Die Chiffre für den Mordanschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo werden nicht die Fotos von dem Terrorakt sein, keine Einschusslöcher, keine Blutlache. Was bleiben wird, sind die weltweiten Solidaritätsbekundungen, die Schilder „Je suis Charlie“. Vor allem aber wird der Marsch der Millionen in Paris dafür stehen, wie die Weltgemeinschaft unmittelbar reagiert hat. Es wird das Bild von den 44 Regierungschefs sein, die inmitten der Massen Arm in Arm marschieren, gemeinsam gegen den Terror.

Merkel und Hollande in einer Reihe mit Israels Premier Netanjahu und Palästinenserpräsident Abbas, daneben Malis Premier Keita ebenso wie Jordaniens Königin Rania. Eine Allianz, die eigentlich undenkbar ist. Und die nur möglich war, weil die Verantwortlichen die Symbolkraft eines solchen Bildes politisch zu nutzen verstanden.

Es war klug, dass den Vertretern westlicher Demokratien die große Geste wichtiger war als die vielen Differenzen. Es war wichtig, dass das Symbol mehr zählte als die Tatsache, dass bei diesem Marsch auch Menschen mitmachen konnten, die selbst verantwortlich sind für die Unterdrückung der Pressefreiheit und für staatlichen Terror.

Es ist eine Geste, die berührt. Eine Geste, die Mut macht in diesem noch jungen Jahr, das so schrecklich begann. Und eine Geste, an der sich jene, die mitmarschierten an diesem grauen Nachmittag in Paris, künftig messen lassen müssen. Die Terroranschläge von Paris stellen uns alle auf die Probe. Und alle, die sich jetzt so vollmundig zur Freiheit der Rede und Presse bekennen, müssen das in den kommenden Monaten umsetzen. Auch die aufgeklärte Linke, indem sie nicht in Abrede stellt, dass Menschen ihren Unmut auf der Straße äußern dürfen.

Selbst wenn es schwerfällt, zu sehen, wie schäbig die Attentate von Paris durch die Pegida funktionalisiert werden können: Die Demonstrationsfreiheit ist ein hohes Gut, das es zu beschützen gilt wie die Freiheit der Presse. Nicht nur dann, wenn man die Parolen oder Karikaturen gutheißt.

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Ines Pohl (Jahrgang 1967) war von Juli 2009 bis Juni 2015 Chefredakteurin der taz. Bevor sie als politische Korrespondentin für die Mediengruppe Ippen in Berlin arbeitete, leitete sie das politische Ressort der Hessischen /Niedersächsischen Allgemeinen. 2004/2005 war sie als Stipendiatin der Nieman Foundation for Journalism für ein Jahr an der Harvard University. Im Dezember 2009 wurde ihr der Medienpreis „Newcomerin des Jahres“ vom Medium-Magazin verliehen. Seit 2010 ist Ines Pohl Mitglied im Kuratorium der NGO „Reporter ohne Grenzen“. Außerdem ist sie Herausgeberin der Bücher: " 50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern" und "Schluss mit Lobbyismus! 50 einfache Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt" (Westend-Verlag)

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