Rausschmiss von Vergewaltigungsopfer: Mitgefühl nicht zu erwarten

Eine junge Frau wird in ihrem Wohnhaus vergewaltigt. Ihre Vermieterin lässt sie nicht weiter in der Wohnung leben – weil sie „Ärger“ verursacht habe.

Eine Münchener Vermieterin straft eine vergewaltigte Frau ab: mit Aufkündigung des Mietvertrags Bild: dpa

Man kann Michaela F. durchaus als doppeltes Opfer bezeichnen: Opfer eines Mannes, den sie bis zum Sommer 2013 noch nie gesehen hatte. Und Opfer ihrer Vermieterin, die sie kurze Zeit danach auf eindrückliche Weise richtig kennenlernen sollte.

Michaela F. wurde im Juni 2013 von einem Unbekannten vergewaltigt, im Keller des Hauses, in dem sie damals in München wohnte. So berichtete es die Süddeutsche Zeitung am Mittwoch und so bestätigt es die Polizei in München.

Michaela F. war ein „Zufallsopfer“, der Täter überfiel noch zwei weitere Frauen, bevor er gefasst wurde. Die Vergewaltigung der damals 27-Jährigen war nicht nur für sie selbst ein starkes traumatisches Erlebnis, sondern auch für deren Freundin.

Die beiden Frauen wohnten zusammen als WG in dem Mehrfamilienhaus, in dem die Tat passierte. Die Freundin fühlte sich dort nicht mehr sicher, kündigte den Mietvertrag und zog aus. Michaela F. hatte aber keine Kraft, sich um eine neue Wohnung zu kümmern, und wollte die WG mit ihrer Schwester weiterführen. Sie soll die Vermieterin gebeten haben, die Wohnung behalten zu dürfen. Die soll abgelehnt haben mit dem Argument, die Mädchen-WG habe die Polizei ins Haus und damit nur Ärger gebracht.

Ein zweites Mal Gewalt

Das kann man verstehen. Wer hat schon gern die Polizei auf der Schwelle? Und an Leute, die ständig Ärger mit den Behörden haben, vermietet man besser nicht. Aber Michaela F. hat vor dem Überfall offenbar nie für Unruhe gesorgt. Sie ist keine Täterin, sondern ganz klar Opfer. Gewaltopfer. Eine Frau, die Hilfe braucht, möglicherweise sogar eine jahrelange Therapie. Die nicht dafür bestraft werden darf, dass ihr etwas zugestoßen ist, wofür sie gar nichts kann.

Doch das Gegenteil passiert – ihr wird ein zweites Mal Gewalt zugefügt, zwar nicht physisch, aber psychisch. Sie wird aus der Wohnung geworfen, die sie trotz des Überfalls im Keller als Schutzraum empfand.

Umkehrung der Täter-Opfer-Perspektive

Die Umkehrung der Täter-Opfer-Perspektive ist hierzulande kein einmaliges Phänomen. Gerade Vergewaltigungsopfer wissen, wie es sich anfühlt, wenn ihnen vorgeworfen wird, sie seien selbst schuld am Übergriff. Weil sie sich aufreizend angezogen hätten. Weil sie geflirtet hätten. Weil sie nicht eindeutig nein gesagt hätten. Die Liste der „Argumente“ ist lang.

Im Fall Michaela F. und ihrer Vermieterin drängt sich zudem der Verdacht auf, dass der Eigentümerin, die im Landkreis Starnberg wohnen soll, der Vorfall ganz recht kam. Wo Wohnraum Mangelware und teuer ist, kann man – selbst angesichts eines großen Leids – Profit schlagen: Raus mit den „Störenfrieden“ und her mit neuen Mietern. Denen kann man dann locker ein paar hundert Euro mehr abknöpfen.

Damit befindet sich die Eigentümerin ganz im Einklang mit dem Gesetz. Schließlich war die Wohnung gekündigt, als Michaela F. darum bat, weiter drin wohnen zu dürfen.

Juristisch ist die Vermieterin nicht angreifbar. Sie muss sich „lediglich“ den Vorwurf der Herzlosigkeit gefallen lassen. Doch dringt das zu ihr vor?

Kein einziger Tag Aufschub

Der Kriminalhauptkommissar, der die Akte Michaela F. bearbeitete, soll über das harte Vorgehen der Eigentümerin so erschrocken gewesen sein, dass er ihr einen Brief geschrieben haben soll: Ein Umzug würde die junge Frau zusätzlich belasten. Das soll die Vermieterin nicht interessiert haben. Stattdessen habe sie sogar Michaela F.s Bitte abgewiesen, die Wohnungsübergabe um einen Tag zu verschieben. Der Beamte war für die taz am Mittwoch nicht zu sprechen, er soll laut Polizeipressestelle im Urlaub gewesen sein.

Rauswurf. Absagen. Nicht mal ein einziger Tag Aufschub.

Solche Geschichten machen einen fassungslos. Und ratlos. Wo auf diese Weise das Geld regiert, ist Mitgefühl kaum zu erwarten. Nicht für Schwächere. Nicht für Gewaltopfer. Schon gar nicht für Flüchtlinge.

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