Debatte Syrien und IS: Volltreffer für die Terroristen

Der eindimensionale Kampf gegen den IS entfernt uns von unseren eigentlichen Partnern: den moderaten syrischen Oppositionellen.

US-Kampfjet im Irak beim Einsatz gegen IS. Bild: ap

Die USA und ihre Verbündeten verlieren dieser Tage in Syrien eine entscheidende Schlacht. Nicht die um Kobani, nein. Sie verlieren die Unterstützung der Syrer. Denn statt ihnen beizustehen und an ihrer Seite zu kämpfen, werfen die USA Bomben ab, wo es ihnen passt, und verschließen vor dem Leid die Augen. Statt sich mit Kämpfern und Aktivisten vor Ort zu koordinieren, um militärische Ziele und Stellungen des IS zu identifizieren, zerstören die USA die Infrastruktur. Und statt gemäßigte Rebellen (Freie Syrische Armee und Kurden) mit modernen Waffen auszustatten, um gleichzeitig aus der Luft und am Boden gegen den IS vorzugehen, informiert man diese nicht einmal über Angriffsziele.

Dieser eindimensionale Kampf gegen den IS in Syrien ist nicht nur wirkungslos, sondern kontraproduktiv. Immer mehr Menschen haben den Eindruck, die Luftangriffe seien in Wirklichkeit ein Krieg gegen den sunnitischen Islam, der Assad verschont und womöglich heimlich mit ihm abgesprochen ist. Volltreffer für die Terroristen.

Warum viele Syrer das so sehen? Ganz einfach. Europäer und Amerikaner tragen mit Blick auf Syrien eine Augenklappe – auf manches reagieren wir mit Abscheu und Gepolter, auf anderes mit Gleichgültigkeit und Schweigen – und das in dreifacher Hinsicht.

Erstens unterscheiden wir zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Gewalt. Die staatliche, also die des Regimes, beachten wir kaum noch, obwohl ihr die meisten Zivilisten zum Opfer fallen – 1.707 im September, ein Drittel davon Frauen und Kinder. Im Durchschnitt sterben jeden Tag zehn Kinder durch die Bomben Assads. „Abstoßend“ und „menschenverachtend“ finden wir jedoch nur das, was der IS macht. Dabei sind die staatlichen Verbrechen durch Menschenrechtsgruppen im Land, internationale NGOs und die UN glaubwürdig dokumentiert: Chlorgas in Jobar, Aushungern und Bombardierung von Al-Waer in Homs, Fassbomben auf Aleppo, Raketen auf Ost-Ghouta bei Damaskus sowie Saraqeb in Idlib, um nur eine aktuelle Auswahl zu nennen. Wer will, kann fast täglich zuschauen, wie staubbedeckte Kleinkinder aus Schuttbergen gezogen werden, mal tot, mal lebendig. Aber wir wollen nicht hinsehen.

Kurden und Araber

Zweitens engagieren wir uns vorrangig für IS-Opfer, die religiösen Minderheiten angehören. Als die Dschihadisten (damals noch Isis) im Sommer 2013 die syrische Provinzhauptstadt Raqqa einnahmen und ihr Terrorregime etablierten, interessierte das niemanden – schließlich leben dort überwiegend Sunniten. Öffentliche Hinrichtungen und die Steinigung zweier Frauen waren kaum eine Nachricht wert. Erst als im Nordirak die Christen aus Mossul vertrieben wurden und die Jesiden in den Bergen saßen, entdeckte der Westen den IS. Den religiösen Minderheiten im Irak eilten die USA schnell zur Hilfe, der sunnitischen Mehrheit in Syrien nicht. Während die Welt auf das Sinjar-Gebirge starrte, massakrierte der IS in der syrischen Provinz Deir al-Sor 700 Mitglieder des Sheitat-Stammes, darunter viele Frauen und Kinder. Wieder nahm bei uns keiner Notiz davon.

Drittens befördern wir jetzt auch noch die Spaltung zwischen Arabern und Kurden. Seit der Belagerung von Kobani reden alle über die Kurden. Das ist gut so, denn diese fühlen sich zu Recht missachtet und verraten von der Welt. Ob 1920, als die Europäer ihnen einen eigenen Staat versprachen und nichts daraus wurde, 1962, als Damaskus Zehntausenden syrischen Kurden die Staatsangehörigkeit entzog, oder 2004, als die Kurden gegen das Assad-Regime aufstanden und sich niemand mit ihnen solidarisierte.

Das Misstrauen zwischen Arabern und Kurden wächst seit Jahren, jetzt schlägt es um in offenen Hass – eine Tragödie für Syrien. Im Internet fragen syrische Araber, warum alle auf den Kampf der PYD (Partei der Demokratischen Union) in Kobani schauen und nicht auf den Widerstand anderer Rebellengruppen gegen den IS bei Aleppo, in Deir al-Sor und Raqqa. Seinen Kämpfern sei bislang niemand zur Hilfe gekommen, sagt ein Oberst der Freien Syrischen Armee (FSA), dabei bekämpfe die FSA den IS doch „stellvertretend für die ganze Welt“.

Aus syrischer Sicht ist das Vorgehen der USA nicht nachvollziehbar. Offiziell bezeichnet Washington FSA-Einheiten als Verbündete im Kampf gegen den IS, doch sie werden nicht als solche behandelt. Assad wird über Luftschläge informiert, die FSA nicht. Immer mehr Oppositionelle sehen sich gezwungen, die US-Angriffe zu kritisieren, um nicht den Rückhalt ihrer Landsleute zu verlieren.

US-Schläge lassen Preise steigen

Bislang treffen die Kampfjets vor allem Ölraffinerien und Getreidesilos, die für die Syrer lebensnotwendig sind, auch wenn sie vorübergehend vom IS kontrolliert werden. In Raqqa sind die Preise für Nahrungsmittel und Heizöl seit den US-Angriffen deutlich gestiegen, berichten Aktivisten, die Menschen solidarisierten sich zunehmend mit dem IS.

Immerhin werfen die USA nun Waffen für die eingeschlossenen Volksverteidigungseinheiten der PYD in Kobani ab. Zwar besteht die Schwesterpartei der PKK nicht aus lupenreinen Demokraten und verfolgt Andersdenkende, aber wer sich im Kampf gegen den IS mit Ländern wie Saudi-Arabien verbündet, darf auch bei der PYD nicht so zimperlich sein. Schließlich geht sie seit einem Jahr effektiv gegen die Dschihadisten vor.

Kurden unterstützen, Araber nicht vernachlässigen, Sunniten zu Verbündeten machen und Assad als Ursprung des Terrors nicht aus den Augen verlieren – aus diesen Erkenntnissen lassen sich fünf Schritte ableiten, die aus planlosen Luftschlägen eine nachhaltige Strategie machen könnten.

Erstens müssen Luftangriffe gegen den IS mit Aktivisten und Rebellen vor Ort abgesprochen und Informationen über geeignete Ziele eingeholt werden. Zweitens sollten bereits identifizierte syrische Rebellengruppen in den Krieg gegen den IS miteinbezogen werden, indem sie moderne Waffen bekommen, um am Boden gegen den IS vorzurücken. Drittens wäre es ratsam, wenn US-Kampfjets nicht nur Bomben, sondern auch Lebensmittel für die notleidende syrische Bevölkerung abwerfen, deren Sympathie der Westen dringend braucht.

Viertens verdient jede Initiative, die ethnische und religiöse Grenzen überwindet – wie die Allianz zwischen FSA und PYD bei Aleppo – sofortige Unterstützung mit Geld und Waffen. Verständigung muss sich lohnen, denn es geht darum, die Syrer zu einen und nicht weiter zu spalten. Und fünftens sollten die vom IS befreiten Gebiete langfristig mit einer Flugverbotszone vor den Angriffen des Regimes geschützt werden, damit die Opposition (Araber und Kurden) dort alternative staatliche Strukturen aufbauen kann.

Gerade in Syrien muss jedes militärische Engagement die Menschen im Blick haben, einseitige unkoordinierte Terroreindämmung treibt sie nur in die Arme des IS.

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