Den Haag ermittelt in Zentralafrika: Den Horror aufklären

Der Internationale Strafgerichtshof startet Ermittlungen gegen Milizen der Zentralafrikanischen Republik. „Die Liste der Gräueltaten“ sei endlos.

Anti-Balaka-Milizen plündern den Markt des muslimischen Viertels PK13 in Bangui, Januar 2014. Bild: ap

BERLIN taz | „Die verfügbaren Informationen bilden eine ausreichende Grundlage für die Annahme, dass im Kontext der Situation der Zentralafrikanischen Republik Kriegsverbrechen begangen worden sind.“ Mit diesem dürren Satz fasst die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag ihren Beschluss vom Mittwochabend zusammen, ein Ermittlungsverfahren wegen der Massaker und Gräueltaten in Zentralafrika zu eröffnen. „Die Liste der Gräueltaten ist endlos,“ sagte Chefanklägerin Fatou Bensouda.

Im Einzelnen nennt Bensoudas Behörde folgende Verbrechen: Mord, Verstümmelung, brutale Behandlung und Folter; Übergriffe gegen die Menschenwürde; bewusstes Anführen von Angriffen gegen die Zivilbevölkerung sowie gegen humanitäre Hilfsmissionen und Kulturgüter; Plünderung; Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt; und schließlich Rekrutierung von Kindern unter 15 Jahren. Diese Begriffe sollen den Horror fassbar machen, der sich seit knapp zwei Jahren in der Zentralafrikanischen Republik abspielt.

Erst ergriff im März 2013 die mehrheitlich muslimische Rebellenallianz Séléka nach drei Monaten Vormarsch die Macht. Im Dezember 2013 landeten französische Truppen in der Hauptstadt Bangui und erzwangen im Januar 2014 den Rücktritt der Seleka-Regierung. Gleichzeitig durften die in Reaktion auf die Seleka-Gewaltherrschaft gebildeten Anti-Balaka-Milizen ungestraft die Muslime des Landes terrorisieren und vertreiben. Die Gewalt ist seit einigen Monaten abgeflaut. Aber die verfeindeten Milizen bleiben intakt, eine funktionierende Regierung gibt es bis heute nicht, niemand ist wegen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen worden.

Nachdem Seleka sich aus Bangui zurückzog, seien „muslimische Zivilisten in Bangui und dem Westen des Landes Anti-Balaka-Angriffen ausgesetzt gewesen, einschließlich Vergewaltigungen, Tötungen und der Verstümmelung von Leichen“, so die Ankläger in ihrem Begründungsschreiben. Anti-Balaka-Führer hätten von „Säuberungen“ gesprochen. In Bangui wurden 99 Prozent der Muslime verjagt, im ganzen Land 80 Prozent.

Insgesamt aber erheben die Ankläger ihre schwersten Vorwürfe gegen die Seleka-Truppen während deren Zeit an der Macht. Bereits ab Februar 2013, als sie auf Bangui vorrückten, hätten die muslimischen Kämpfer einen „verbreiteten und systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung“ verübt, heißt es. Die Anti-Balaka, die ab September 2013 zurückschlugen, hätten ebenfalls einen „verbreiteten und systematischen Angriff“ verübt, aber nur „auf die muslimische Zivilbevölkerung“.

„Orgaisatorische Kontinuität“ und „gemeinsame Politik“

Wichtig in der Argumentation der Ankläger ist die Annahme, dass sowohl Seleka als auch Anti-Balaka organisierte bewaffnete Gruppen sind – Voraussetzung dafür, ihre Führer vor Gericht zu stellen. Seleka, heißt es, zeige „organisatorische Kontinuität während der gesamten Entwicklung der Bewegung von bewaffneter Oppositionsgruppe zu Staatsmacht und zurück zu bewaffneter Oppositionsgruppe“ mit „verantwortlichem Kommando, hierarchischer Struktur“ sowie territorialer Kontrolle.

Die Anti-Balaka seien zwar weniger straff organisiert, aber durchaus eine Organisation „mit den Ressourcen, den Mitteln und Fähigkeiten“ zu Angriffen sowie einer von allen Fraktionen geteilten „gemeinsamen Politik, bewusst alle Muslime Zentralafrikas zum Ziel zu erklären“.

Den Vorwurf des „Völkermordes“ erheben die Ankläger nicht, anders als zahlreiche Beobachter vor einem halben Jahr, als die Gewalt gegen Muslime in Bangui ihren Höhepunkt erreicht hatte. Dies sei derzeit nicht abschließend zu klären, heißt es.

Insgesamt spricht der Bericht von 1.488 Opfern der Seleka und 1.248 Opfern der Anti-Balaka – gezählt ab Ende 2012. Das sind vorsichtige Zahlen. „Ärzte ohne Grenzen“ zählte im Juli bei einer Erhebung unter Flüchtlingen 2.599 Tote allein zwischen November 2013 und April 2014. Eine vor zwei Wochen veröffentlichte Untersuchung der Nachrichtenagentur AP, die alle bekannten Massakeropfer in 50 Gemeinden zusammenzählte, kam sogar auf 5.186 Tote seit Dezember 2013.

Mit seinen Ermittlungen reagiert der Strafgerichtshof auf ein im Mai eingegangenes Gesuch der amtierenden Übergangsregierung in Bangui, Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Zentralafrikanischen Republik seit dem 1. August 2012 zu untersuchen. Bis jetzt wurde lediglich vorhandenes Material geprüft. Nun wird die Anklagebehörde Ermittler losschicken. Man erwarte, so Fatou Bensouda, die „volle Zusammenarbeit“ der zentralafrikanischen Behörden.

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