Die „FAZ“ nach Frank Schirrmacher: Der das Ganze zusammenhielt

Wie erhält die „Frankfurter Allgemeine“ den Schirrmacherismus? Will sie das überhaupt? Und wer soll das machen?

Neuer Anstrich bei der „FAZ“? Oder Schirrmacherische Kontinuität? Bild: dpa

Zu behaupten, die Frankfurter Allgemeine Zeitung halte sich in der Nachfolgefrage bedeckt, wäre untertrieben. Auf die Frage, ob es einen Zeitpunkt gebe, wann ein neuer Herausgeber fürs Feuilleton spätestens benannt sein soll, sagt eine Sprecherin, man wolle das „nicht kommentieren“. Das kann bedeuten, dass man die Frage für überflüssig hält, weil man die Entscheidung eh zeitnah bekannt geben wird. Kann aber auch heißen, dass es noch sehr lange dauern wird, bis die oder der Neue in Frankfurt die Nachfolge des im Juni verstorbenen Frank Schirrmacher antritt. Dabei hängt an der Frage viel, vor allem in welcher Form der Schirrmacherismus bei der FAZ weiterleben wird.

Anfang des vergangenen Monats meldete die Springer AG bereits, dass Dirk Schümer, der in Venedig stationierte „Europakorrespondent“ des FAZ-Feuilletons, in gleicher Funktion zur Welt wechseln werde. Schümer gilt als einer der Protagonisten des Schirrmacherismus, er war dem Verstorbenen auch freundschaftlich verbunden, wie auch der Nachruf deutlich machte, den der Mann aus Venedig verfasste. „Ruhe gab es für ihn so gut wie keine“, schrieb er.

Schümer, Jahrgang 1962, hat 1991 als Redakteur bei der FAZ angefangen, und lange konnte man davon ausgehen, dass er alt würde bei dem Blatt – wie so viele Feuilletonredakteure. Mehr als ein halbes Dutzend von ihnen ist dem Laden seit den 80ern treu, Rekordhalter ist in dieser Hinsicht Jochen „Das Hieberle“ Hieber, der seit 1983 dort arbeitet.

Ob Schümers Entscheidung pro Welt eine Änderungskündigung vorausging, wie taz-Informationen besagen, wollte die FAZ-Sprecherin ebenfalls „nicht kommentieren“.

Treffen mit Döpfner

Wie auch immer: Es ging alles sehr schnell. Schirrmacher starb am 12. Juni, und Schümers letzter Text erschien am 5. Juli. Dass es ihn zur Welt zieht, kam zumindest nicht überraschend für jene, die in der FAZ den Nachruf von Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner auf Schirrmacher gelesen hatten. In dem Artikel erzählte der Konzernboss von einem Treffen in Rom wenige Tage vor Schirrmachers Tod: „Später sind wir dann noch mit Dirk Schümer zusammen in die Villa Massimo gegangen. Und während wir zwischen Zypressen der stechender werdenden Mittagssonne auszuweichen versuchten“, habe sich Schirrmacher „vor allem für den Stifter der Villa“ interessiert.

Dass die Sitten rau geworden sind in Frankfurt, zeigen nicht nur die Umstände von Schümers Wechsel. Zu Beginn der vergangenen Woche konnte der Spiegel, selbst von allerlei Negativberichterstattung gebeutelt, mit Genugtuung Details aus einer ziemlich unkuscheligen Redaktionskonferenz in Frankfurt referieren.

Für Unruhe gesorgt hatte ein dreiseitiger Text im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, in dem es unter anderem darum ging, dass das Internet die „Autorität“ der Zeitungen „untergräbt“ und Journalisten „entmachtet“. Der Artikel enthielt allerlei Beobachtungen zur Krise der Branche, die nicht fürchterlich originell waren, aber Kritiker in der Konferenz darüber schimpfen ließen, die Autoren hätten sich „gegen das eigene Haus gewendet“, wie der Spiegel schrieb.

Ein Artikel, der wiederum in der FAZ zu den Verwerfungen beim Spiegel erschienen ist, ließ ebenfalls Interpretationen zur Lage in Frankfurt zu. Manche „Pressehäuser“ bräuchten „gar nicht die übermächtigen Onlinekonzerne, um schlecht auszusehen. Sie zerfallen in Fraktionen, ergehen sich in Machtkämpfen und zerlegen sich selbst. Beim Spiegel kann man sehen, wie das geht“, schrieb Michael Hanfeld, einer der Stellvertreter des Feuilleton-Chefs. Das klang so, als meine Hanfeld nicht nur den Spiegel, sondern auch das eigene „Pressehaus“.

Es fehlt das Dringliche

Fragt man FAZ-Autoren, was sich im Feuilleton seit Schirrmachers Tod geändert habe, lautet die Antwort im Kern so: Es erschienen weiterhin sehr gute Texte, in denen die Positionen des Verstorbenen zum Ausdruck kämen, etwa in Evgeny Morozovs wöchentlicher Technologiekritik-Kolumne „Silicon Demokratie“. Aber: Es fehle jemand, der das Ganze „zusammenhält“, es fehle „das Interventionistische“ und „das Dringliche“.

Eine nicht ganz unmaßgebliche Frage bei der Nachfolge ist allerdings, ob das FAZ-Feuilleton dieses „Dringliche“ braucht. In der August-Ausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik erschien ein //www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2014/august/von-habermas-zu-schirrmacher:Artikel Albrecht von Luckes, der Schirrmacher verantwortlich macht für einen „Kampagnenjournalismus“, der „die deutsche Öffentlichkeit tiefgreifend verändert“ habe. Einen „Zug zum völlig Maßlosen“ und „Marktschreierischen“ konstatiert von Lucke mit Blick auf Schirrmachers publizistisches Wirken. Der Verstorbene sei zudem der „Prototyp einer neuen Spezies von Netzwerkern und primär an Macht orientierten ’Alpha-Journalisten‘ “ gewesen.

Spitzt man den Text zu, war Schirrmacher für fast alles verantwortlich, was schlecht ist am heutigen Journalismus. Von Lucke fragt: Werden sich „neue intellektuelle Autoritäten in den jüngeren Generationen herausbilden“? Das hänge „nicht zuletzt“ davon ab, „ob die Gesellschaft die abstumpfenden Erregungsexzesse der Ära Schirrmacher überwindet und zu einer Form leidenschaftlicher Sachlichkeit zurückfindet“. Wer Nachfolger Schirrmachers wird, ist auch in dieser Hinsicht von Belang.

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