PR-Strategie: Medien tappen in Strafanzeigen-Falle

Manche Strafanzeigen haben von Anfang an keine Aussicht auf Erfolg. Sie werden nur gestellt, damit die Medien darüber berichten.

Nicht ausgewogen: Alle Medien berichteten über die Vorwürfe gegen Berlins Finanzsenator, niemand widmete sich seiner Entlastung Bild: dpa

Kurt Wansner ist Serientäter: Seit Jahren beschäftigt der Berliner CDU-Landesabgeordnete die Justiz, indem er immer wieder Strafanzeigen stellt, die ohne Aussicht auf Erfolg sind. Jedenfalls rein strafrechtlich gesehen. Aber medial kommt er damit groß raus: Regelmäßig berichten Journalisten darüber, wen Wansner jetzt wieder angezeigt hat. Dass die Verfahren später allesamt eingestellt werden - das berichtet dann keiner mehr.

Wansner ist allerdings kein Einzeltäter. Auch Initiativen und Verbände kalkulieren gezielt mit der PR-Wirkung von Strafanzeigen, um mit ihren politischen Botschaften in die Medien zu kommen. Für den 17. Januar 2014 zum Beispiel luden Wassertisch, Bund der Steuerzahler und der Verband Deutscher Grundstücksnutzer eigens zu einer Pressekonferenz ein, um dort ihre Strafanzeige gegen Finanzsenator Ulrich Nußbaum vorzustellen. Sie warfen ihm vor, beim Rückkauf der Wasserbetriebe zu viel Geld ausgegeben zu haben. Sie sahen darin einen Fall von Untreue, auf den laut § 266 Strafgesetzbuch bis zu fünf Jahre Haft steht.

Medien wittern Anklage, Rücktritt, Neuwahl

Die Alternative zur Strafanzeige wäre gewesen, einfach nur eine Pressemitteilung mit der inhaltlichen Kritik zu verschicken. In den Redaktionen wäre die Meldung wohl im Papierkorb gelandet. „Wassertisch kritisiert Senat“ ist so erwartbar und schon so oft vorgekommen wie „Hund beißt Mann“. Bei einer Strafanzeige wittern die Medien dagegen eine Geschichte: Hat ein Amtsträger sich womöglich strafbar gemacht? Kommt es zu Anklage, Rücktritt, Neuwahl?

Die Medien bissen an: Abendschau, Morgenpost, Inforadio, Deutsche Presseagentur, Berliner Zeitung, B.Z., rbb-online.de, Tagesspiegel, Neues Deutschland und weitere berichteten darüber, dass Nußbaum eine Straftat vorgeworfen wird. Kein einziges Medium hat die Leser, Hörer oder Zuschauer dann später über das Ergebnis der Prüfung der Staatsanwaltschaft informiert: Das Verfahren wurde eingestellt, Nußbaum ist kein Straftäter.

Immer wieder Untreue

Auch bei den Strafanzeigen des CDU-Abgeordneten Kurt Wansner geht es immer wieder um angebliche Untreue. So zum Beispiel im Jahr 2012, als der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg den Bewohnern einer Wagenburg ein Grundstück in Friedrichshain für eine Miete von zwölf Cent pro Quadratmeter überließ. „Wir prüfen eine Anzeige wegen Untreue gegen das Bezirksamt“, zitierte ihn der Berliner Kurier. Und die Berliner Zeitung schrieb: „Wansner prüft eine Anzeige gegen das Bezirksamt – wegen Untreue gegen das Land Berlin.“

Im November 2012 war Wansner wieder in den Medien, diesmal ging es um das Flüchtlingscamp am Oranienplatz, das von Grünen-Bezirksbürgermeister Franz Schulz geduldet wurde. „Wansner hat Anzeige gegen Schulz wegen Untreue erstattet“, schrieb die Berliner Zeitung. Die Morgenpost berichtete über Wansners Begründung für die Anzeige: „Weil ich das für eine unzulässige Nutzung einer öffentlichen Parkanlage halte.“ Auch die taz schrieb: „Wansner hat zudem Strafanzeige wegen Untreue gegen das Bezirksamt erstattet, weil die Flüchtlinge den Platz kostenlos nutzen dürfen, anstatt dafür das nach Ansicht von Wansner vorgeschriebene Entgelt zu bezahlen.“

Behinderung der Staatsanwaltschaft

Im Sommer 2013 trat Franz Schulz als Bezirksbürgermeister zurück, und so änderte sich auch das Ziel von Wansners Anzeigen. Im Januar 2014 schrieb der Tagesspiegel: „Der Kreuzberger CDU-Abgeordnete Kurt Wansner will wegen der von Flüchtlingen besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule am heutigen Montag Strafanzeige gegen die Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann stellen. Dies sagte Wansner am Sonntag dem Tagesspiegel. Der CDU-Politiker wirft Herrmann Untreue und Förderung von Straftaten vor.“ Auch Berliner Zeitung, Morgenpost, B.Z., Berliner Kurier, RBB und TV Berlin berichteten:

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Nach sechs Monaten teilte die Staatsanwaltschaft auf taz-Anfrage mit: Auch dieses Verfahren wurde eingestellt. Jede von Wansners Strafanzeigen muss trotz ihrer offensichtlichen Aussichtslosigkeit wieder erneut geprüft werden. Die Zeit fehlt dann bei der Verfolgung von echten Straftätern.

Schutz vor Querulanten ausgehebelt

Wansner und Konsorten haben bei ihren Anzeigen nichts zu befürchten. Zwar gibt es den Straftatbestand der falschen Verdächtigung, der Unschuldige vor unberechtigten Vorwürfen und die Justiz vor unnützer Arbeit durch Trolle und Querulanten schützen soll. Die nutzen hier aber eine Gesetzeslücke: Von Straftatbestand erfasst sind nur Lügen darüber, was jemand getan oder nicht getan hat. Man darf also zum Beispiel nicht behaupten, man habe eine Ohrfeige von einer Person bekommen, wenn das in Wirklichkeit gar nicht passiert ist.

Hier aber passiert etwas anderes: Die Anzeigensteller geben korrekt wieder, wer wie gehandelt hat. Sie behaupten dann lediglich zu unrecht, es würde sich bei diesem Verhalten um eine Straftat handeln – und dabei ist Lügen erlaubt. Und so lange die Medien darauf hereinfallen, gibt es keinen Grund für die Anzeigensteller, es bleiben zu lassen.

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