Kommentar Angebliche Genitalverstümmelung: Die Märchen-Fatwa

Die Isis wolle die Genitalien von Frauen beschneiden, behauptet eine UN-Mitarbeiterin. Medien verbreiten das Gerücht ungeprüft. Das ist typisch.

Isis (Islamischer Staat in Irak und Syrien) hat keine Fatwa zur Genitalverstümmelung ausgegeben. Bild: AP

Wer Frauen den Schleier aufzwingt, Ungläubigen den Kopf abschlägt und ein islamisches Kalifat ausruft, der ist zu allerlei Schandtaten bereit. Nun wolle die Extremistengruppe Islamischer Staat alle Frauen und Mädchen in den von ihr kontrollierten Gebieten beschneiden lassen, hieß es am Donnerstag. Der selbst ernannte Kalif Abu Bakr al-Baghdadi höchstpersönlich habe das in einem religiösen Gutachten befohlen.

Die Empörung war groß. Endlich die nächste Schreckensnachricht, auf die alle gewartet hatten! Aufmerksam gemacht auf die vermeintliche Fatwa hatte Jacqueline Badcock, stellvertretende UN-Gesandte im Irak. Die hatte Journalisten in einer Videokonferenz gesagt, die IS-Führung beabsichtige, Frauen im Alter zwischen elf und 46 Jahren massenweise die Genitalien zu verstümmeln.

Quellenangaben? Keine. Doch das störte kaum einen. Die Granden der Presselandschaft bliesen die Nachricht hinaus. Die BBC brachte die Story, der Guardian, Al Jazeera. „Islamisten befehlen Genitalverstümmelung“, titelte die Faz und auch die taz veröffentlichte in ihrer gedruckten Ausgabe eine Meldung der Nachrichtenagentur AFP.

Komisch nur, dass die vermeintliche Fatwa, die im Netz kursiert und auf der offenbar auch Badcocks Märchen beruht, auf den 11. Juli 2013 datiert ist. Woher das Dokument stammt ist unklar – und auch unwichtig, scheint es sich doch um eine Fälschung zu handeln. Nichts weist darauf hin, dass es wirklich vom Islamischen Staat kommt.

Noch am Abend ruderten die UN und viele Medien zurück: „UN zweifeln an Echtheit der Fatwa über Genitalverstümmelung“, lauteten die Schlagzeilen. Die falschen Berichte verschwanden aus dem Netz.

Eine UN-Mitarbeiterin, die, ohne ihre Quellen zu prüfen, an die Öffentlichkeit geht, handelt verantwortungslos. Beschämend aber ist die Leichtgläubigkeit der Medien. Geht es um die Fakten? Oder darum, wer den Aufreger zuerst in die sozialen Netzwerke hinauspustet?

Dass Genitalverstümmelung – anders als etwa in Ägypten – im Irak und Syrien kaum verbreitet und auch unter islamischen Gelehrten höchst umstritten ist, ließ kaum jemand zweifeln. Denn die Irren vom Islamischen Staat – so unmenschlich die Jihadisten auch handeln mögen – bieten die perfekte Projektionsfläche für die westliche Abscheu gegen den Nahen Osten: religiös verblendet, blutrünstig und natürlich: frauenfeindlich. Fakten sind da zweitrangig.

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