Rhetorik des Kalten Krieges: Die Rückkehr des Ostens

Putin wirft dem Westen Konfrontation vor, die Nato sagt, Russland bedrohe den Frieden. Warum sind „Wir“ und „Ihr“ so mächtig?

Bilder aus Vergangenheit und Gegenwart: Wladimir Putin in einem Museum in Weißrussland. Bild: dpa

Am Dienstag dieser Woche steht der russische Präsident Wladimir Putin an einem Pult vor einem dunkelroten Vorhang in Moskau und sagt, wie zu Zeiten des Kalten Krieges sei der Westen auf Konfrontation und nicht auf Zusammenarbeit aus.

Am Mittwoch dieser Woche steht der Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen an einem Pult vor einer atlantikblauen Wand in Berlin und sagt: „Was Russland tut, bedroht den Frieden und die Sicherheit, die wir nach dem Fall der Berliner Mauer wieder aufgebaut haben“.

In der Ukraine hatte die Armee gerade die zehntägige Waffenruhe nicht verlängert und ihren Einsatz gegen die pro-russischen Separatisten wieder aufgenommen. Mit dem Konflikt zwischen dem Osten und dem Westen des Landes geht auch der zwischen dem Osten und dem Westen der Welt weiter.

Anders Fogh Rasmussen ist nach Deutschland gekommen, um mit der Kanzlerin über die Krise zu beraten. In seiner Abschlussrede spricht er von einem Berlin, das sich, einst getrennt durch eine Mauer, die den Kalten Krieg verkörperte, nun neu erfunden habe – „Ost und West vereint“. Von einem Europa, dass seither frei und in Frieden lebe. Er sagt: „Wir können keine neuen Trennlinien in Europa gebrauchen“. Deswegen fordere er Russland auf, seinen Kurs zu ändern und den langen Prozess zu beginnen, Vertrauen, dass es versprochen habe, wieder aufzubauen.

Was passiert, wenn die Flüchtlinge aus dem Fernsehen plötzlich am eigenen Gartentor sitzen? Die Geschichte einer besonderen Nachbarschaft in Berlin-Kreuzberg, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 5./6. Juli 2014. Außerdem: Nach dem Psychiatrie-Skandal steht Gustl Mollath wieder vor Gericht. Angeklagt sind diesmal die anderen. Und: Was genau machen diese Winke-Katzen in den Schaufenstern? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Seine Botschaft ist klar: Russland ist der Aggressor, der Vertrauen zerbricht. Das westliche „Wir“ war es, das Sicherheit und Frieden schuf.

Einige tausende Kilometer weiter sieht die Welt schon anders aus. In der außenpolitischen Rede, die am Dienstag im russischen Staatsfernsehen übertragen wird, wirft Wladimir Putin dem Westen vor, er wolle durch die Ukraine-Krise die gesamte Region destabilisieren. Die Ereignisse dort seien Ausdruck einer gegen Russland gerichteten Politik. Sein Land werde mit Sanktionen unter Druck gesetzt.

Im Sendegebiet

Warum sind die Bilder vom „Wir“ und „Ihr“ aus den Zeiten des Kalten Krieges 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer wieder so mächtig geworden? Warum diskutieren viele immer noch so gern entlang der Dichotomie von Ost und West?

In der Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 5./6. Juli geht der taz-Autor Norbert Mappes-Niediek der Frage nach, welche historischen Bilder und Projektionen in unseren Vorstellungen vom Osten stecken. Dabei sieht er die europäische Geschichte der letzten 100 Jahre als eine Geschichte der Osterweiterungen: 1945 überschritt das Modell des liberalen Staates den Rhein, 1989 die Elbe und 2014 den Dnjestr, womit es in der Ukraine angekommen war.

„Das geografische Bild“, schreibt Mappes-Niediek, „leistet einem Missverständnis Vorschub: Es gibt kulturell nicht den Westen und den Osten, sondern, wenn schon, dann den Westen und den Nichtwesten.“ Der Westen sei der Sender, der Rest der Welt Empfangsgebiet. „Überall im Sendegebiet gruppieren sich Geisteswelt und Politik in prowestliche Empfänger und in Verweigerer. Die einen wollen es so machen wie die im Westen. Die anderen beharren auf ihrer hergebrachten oder einer neu konstruierten Identität. Je stärker die Signale des Senders West, desto heftiger streiten die beiden Fraktionen.“

So sieht Mappus-Niedeck etwa in Putins Anti-Homo-Politik und Protesten gegen Gay-Pride-Paraden auf dem Balkan eine solche gezielte Abgrenzung, die allerdings nichts mit kultureller Homophobie zu tun habe: „Noch vor zwanzig Jahren bekamen Schwule in Belgrad oder Warschau leichter ein Hotelzimmer als in Köln oder in Neapel.“

Ist es eurozentrisch, die politischen Entwicklungen im Osten als Reaktion auf eine West-Realität zu erklären? Spielen Ost-West-Vorurteile wirklich eine Rolle im Ukraine-Konflikt – oder werden sie nur vorgeschoben, um andere Motive zu kaschieren? Und kann man im Jahr 2014 überhaupt noch von Osten und Westen sprechen?

Diskutieren Sie mit! Die Titelgeschichte „Nicht Westen“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 5./6. Juli.

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