Kommentar Deutschland – Algerien: Prima Beinahe-Havarie

Die Deutschen spielen eher hässlichen Fußball. Und kommen weiter – noch. Im Viertelfinale wird diese Leistung nicht ausreichen.

Die beiden haben mit ihren Treffern die Blamage verhindert: Schürrle (l.) und Özil. Bild: dpa

Offenbar war nicht die Partie gegen Ghana die wichtigste Prüfung der DFB-Mannschaft auf dem Weg zum Titel – und um den geht es –, sondern das Spiel gegen Algerien. Es brauchte die schrecklich beherzten Algerier, um die Mannen von Joachim Löw an den Rand des Turnier-Aus zu bringen.

Die überwiegend in Frankreich fußballerisch ausgebildeten Nordafrikaner zeigten, wie schöner Fußball geht. Alles bei den Männern um Islam Slimani klappte besser als bei den Deutschen. Kombinationen, Pässe, Manndeckung – und das alles wesentlich präziser, millimetergenauer. Niemand hätte sich beschweren dürfen, wenn das Team, das niemals zuvor gegen die Bundesrepublik verloren hatte, schon zur Halbzeit deutlich vorne gelegen hätte.

Tormann Manuel Neuer tat das Seine, diese Niederlage zu verhindern. Faktisch war er der Libero, nicht nur der Toreverhinderer, der mit dem Spielverständnis Joachim Löws nicht vereinbar ist. Er musste nach dem Abpfiff der Partie der entnervteste Spieler der DFB-Auswahl gewesen sein: Auf die Spieler vor ihm konnte er sich niemals verlassen.

Kurzum: Algerien spielte ein wenig Borussia Dortmund – und hatte die Deutschen, die es wie ein FC Bayern probierten und dabei ziemlich minderbemittelt aussahen, meist im Griff. Das mag auch daran gelegen haben, dass ein Außenverteidiger wie Mustafi eher wie ein Zuträger der Algerier agierte. Misslich für den Gesamtaufbau der Partie der Deutschen, dass auf dessen Seite meist alles darauf gerichtet war, den Ball auf Neuer zurückzupassen. Es sah aus wie bei der WM 1982: Deutschland gibt den Ball gern mal das Spiel verlangsamend zurück.

Dass am Ende doch die Deutschen gewannen, muss den Algerier wie eine krasse Ungerechtigkeit vorgekommen sein. Hatten sie nicht schöner gespielt? Ansehnlicher und also auch technisch anspruchsvoller?

Keine B-Note

Allein: Für die Leistungen im Schönen gibt es keine B-Note – was zählt sind Tore. Und zwei davon erzielten die Deutschen, Schürrle mit einem reingewürgten Hackending, Özil kurz vor dem Ende zum 2:0 durch einen lehrbuchreifen Schuss. Dass die Algerier gleich darauf das hübscheste Tor noch schafften, ist einerlei: Sie hätten es vorher klarmachen können. Konnten aber nicht!

Anders als bei den WM-Turnieren 2006 und 2010 – und abgesehen vom 4:0-Auftakt gegen Portugal – spielen die Deutschen eher hässlichen Fußball. Und kommen weiter, noch. Das ästhetische Empfinden mag nun beim Publikum verletzt sein. Aber, so ist das beim Fußball nun einmal: Tore zählen. Weiter kommt, wer eines mehr als der Gegner schießt.

Das Publikum, das deutsche, erwartet nichts sehnlicher als angenehm überrascht zu werden. Wer Algerien anhing, muss traurig sein. Fast wäre man weiter gegen die Bundesdeutschen ungeschlagen geblieben. Aber, eben: nur fast. Man hofft jetzt schon, sie in vier Jahren in Russland wiederzuerleben.

Frankreich ist ein Viertelfinalgegner, der im Hinblick auf das Finale passt: Haben auch kein berauschendes Ding gegen Nigeria abgeliefert – und ist technisch keineswegs zwingender als die DFB-Auswahl. Welche Schlüsse Löw und seine Berater aus diesem Achtelfinale ziehen, ist selbstverständlich offen. Sicher scheint nur: Die Männer um Karim Benzema sind extrem ehrgeizig und haben Appetit auf mehr. Ob der Hunger der Lahms und Schweinsteigers ausreicht, den Siegeswillen der Franzosen zu übertreffen, scheint momentan eher unwahrscheinlich.

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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