Gauck und die Außenpolitik: Moskau böse, Berlin gut

Bei seiner Gedenkveranstaltung zum Ersten Weltkrieg wirft der Bundespräsident Russland vor, in eine „Politik von Konfrontation und Gewalt“ zurückzufallen.

Bundespräsident Gauck beim Gedenken an den 100. Jahrestag des Attentats von Sarajewo im Schloss Bellevue. Bild: dpa

BERLIN taz | Den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren hat Bundespräsident Joachim Gauck jetzt zum Anlass genommen, Russland ein „altes Denken in Macht- und Einflusssphären“ vorzuwerfen. Auf einer Gedenkveranstaltung im Schloss Bellevue warnte Gauck am Freitag vor einem Rückfall „in eine Politik von Konfrontation und Gewalt“.

Zugleich sprach er sich dagegen aus, Vorgehen Moskaus auf der ukrainischen Halbinsel Krim einfach hinzunehmen. „Der Widerstand Russlands gegen eine Annäherung der Ukraine an die Europäische Union hat uns mit Denk- und Verhaltensmustern konfrontiert, die wir auf unserem Kontinent für längst überwunden hielten“, sagte er wörtlich. „Eine Sezession, die von einem Verstoß gegen das Gewaltverbot begleitet wird, kann nicht rechtens sein“.

Der Bundespräsident hatte am Freitag Historiker aus acht verschiedenen Ländern zu sich in seinen Amtssitz eingeladen, um dort über die Frage zu diskutieren, wie in den verschiedenen Staaten Europas heute an den Ersten Weltkrieg erinnert wird. Dabei ging es natürlich auch um die Frage, was der Kontinent aus diesem Krieg gelernt hat. Während der deutsch-französische Historiker Etienne François bedauerte, die Leiden das Ersten Weltkrieg würden in vielen Ländern vergessen, wandte sein russischer Kollege Boris Kolonitskii, mancherorts werde der Krieg noch heute zur politische Mobilisierung benutzt, das habe sich etwa im Ukraine-Konflikt gezeigt.

In seiner Rede am Mittag warb Gauck für mehr Einigkeit der westlichen Demokratien, warnte vor einem erstarkenden Populismus innerhalb der EU und einem Rückfall in nationalstaatliches Denken. „Der Rückzugsraum Nationalstaat, von dem manche träumen, existiert so gar nicht mehr“, sagte er. Denn der Nationalstaat könne „wichtige staatliche Grundfunktione allein – ohne Freunde und verbündete – schon längst nicht mehr erfüllen“. Ausdrücklich lobte Gauck die Politik der Bundesregierung, die sich in der Ukraine-Krise früh und „konsequent, prinzipientreu und zugleich deeskalierend“ engagiert habe. „Hier wird deutlich, was wir aktuell in Deutschland debattieren, nämlich dass Deutschland eine Verantwortung übernimmt.“

Mit dem Schlüsselwort von der „Verantwortung“ nahm Gauck direkt Bezug auf die Debatte, die er mit seiner Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Januar und seinen Einlassungen zur außenpolitischen Rolle Deutschlands in der Welt provoziert hat. Mehrfach hat der Bundespräsident ein aktiveres Engagement der Bundesrepublik angemahnt und dabei auch den Einsatz militärischer Mittel nicht ausgeschlossen.

Protest von Bürgerrechtlern

Weil der Brandenburger Linken-Landtagsabgeordnete Norbert Müller Gauck deshalb einen „widerlichen Kriegshetzer“ nannte, tobt darüber nun auch ein Streit zwischen SPD und Linkspartei. Auch SPD-Vize Stegner sieht Gaucks Plädoyer für mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr kritisch. Die Angriffe aus der Linkspartei auf den Bundespräsidenten seien aber „im Ton inakzeptabel, in der Sache wirr und insgesamt unverschämt“, sagte er dem Handelsblatt und forderte, die Linken-Parteispitze solle sich davon distanzieren.

Der stellvertretende Vorsitzende der Linken-Fraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, hat das gleich getan: An der Außenpolitik werde eine Koaliton von SPD und Linkspartei im Bund 2017 sicher nicht scheitern, zeigte sich der Linken-Realo gegenüber dem Tagesspiegel zuversichtlich, und lehnte Auslandseinsätzen der Bundeswehr auch nicht kategorisch ab.

Unterdessen sammeln eine Reihe ostdeutscher Pfarrer derzeit Unterschriften für einen Protestbrief gegen ihren Ex-Kollegen aus Rostock. Sie werfen Gauck vor, die Ideale der christlichen DDR-Friedensbewegung verraten zu haben. Der Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer ätzte, der Bundespräsident solle sich „zu sicherheitspolitischen Fragen dieser Tragweite“ lieber nicht äußern. Aber wenn er dies schon nicht lassen könne, sagte der ehemalige DDR-Bürgerrechtler der Berliner Zeitung, dann würde er gerne auch "mal eine Äußerung von Herrn Gauck zum Desaster im Irak hören".

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