Medizin in Deutschlands Kanalisation: Wasser mit Schuss

Die Reste von zig Tonnen jährlich verkaufter Medikamente landen häufig in der Toilette statt im Müll. Im Trinkwasser wabern Spuren von Arzneimitteln.

Na denn, Prost! Wieviel Voltaren mit drin ist, wollen wir lieber nicht wissen. Bild: dpa

BERLIN taz | Antibiotika, Blutdrucksenker, Psychopharmaka: Was Ärzte verschreiben, landet tonnenweise in der Kanalisation. 47 Prozent der Deutschen kippen flüssige Arzneireste in die Spüle oder die Toilette. Das zeigt eine Untersuchung des Frankfurter Instituts für sozial-ökologische Forschung ISOE, für die 2.000 Frauen und Männer befragt wurden. Folge: Im Trinkwasser wabern Spuren von Arzneien.

Verbraucherinnen müssten umdenken, meint Konrad Götz, der die Befragung geleitet hat. „Medikamente, die nicht mehr gebraucht werden, müssen in den Hausmüll.“ Beim Verbrennen würden alle Wirkstoffe „restlos zerstört“.

Götz stützt sich dabei auf eine Empfehlung der Bundesregierung. Nur 15 Prozent der Bürger machten das aber „immer so“. Weitere 28 Prozent erklärten, Medikamentenreste häufig oder zumindest manchmal in den Hausmüll zu geben.

Werden die Präparate stattdessen im Abwasser entsorgt, entsteht darin ein wilder Cocktail: Mehr als 90.000 verschiedene Arzneimittel sind in Deutschland zugelassen. Allein im Jahr 2013 wurden 1,4 Milliarden Packungen Medikamente in deutschen Apotheken verkauft.

Wie ein Zuckerwürfel im Schwimmbecken

Etwa 150 Arzneimittelwirkstoffe haben Wissenschaftler in Flüssen, Bächen, Seen, in Böden und im Trinkwasser schon entdeckt. Zwar handelt es sich bei den meisten gemessenen Werten laut Stephan Gabriel Haufe, Sprecher des Umweltbundesamtes (UBA), „pro Liter Wasser um Bruchteile von Mikrogramm“.

Das entspreche der Konzentration eines Zuckerwürfels in einem 50-Meter-Schwimmbecken – was bedeutet, dass Menschen nicht akut gefährdet sind. Aber niemand weiß, welcher Schaden noch längerer Zeit entstehen kann. Forscher attestieren jedenfalls keine Unbedenklichkeit.

Dass Tiere und Pflanzen leiden, haben Studien bereits gezeigt. Die Verweiblichung von Fischen führen Experten auf Hormonreste der Pille zurück, Nierenschäden bei Karpfen und Forellen auf das schmerzstillende Mittel Diclofenac. Und Flussbarsche werden offenbar mutiger, wenn sie Rückstände von Diazepam fressen, das gegen Ängste und Schlafstörungen helfen soll.

Theoretisch könnten Kläranlagen das Gros der Arzneistoffe zurückhalten. Sie müssen dazu mit einer vierten Reinigungsstufe ausgerüstet werden, in der das Abwasser mit Aktivkohlefilter oder Ozon behandelt wird. Zusätzlich wird an neuen Techniken gearbeitet.

Voltaren besonders verbreitet

Trotzdem sagt Markus Rüdel, Sprecher des Ruhrverbandes, der Kläranlagen in Nordrhein-Westfalen betreibt: „Je nach Substanz erreichen wir mit neuen Verfahrenstechniken Reduktionsleistungen von 60 bis 90 Prozent.“ Das heißt: Ein Rest bleibt immer. „Man muss an der Quelle ansetzen.“

Besonders problematisch sei etwa Diclofenac, das weit verbreitet ist. Der Grund: „Die Substanz steckt in Sportlersalben wie Voltaren, die frei erhältlich sind.“ Rüdel plädiert deshalb für eine „Rezeptpflicht“.

Bis zum Jahr 2009 konnten Pillen und Salben in den Apotheken zurückgegeben werden, die Pharmaindustrie musste sich dann selbst um die professionelle Entsorgung kümmern. Doch dann brach die Finanzierung zusammen, das System wurde aufgekündigt. Apotheker bieten die Rücknahme allenfalls noch als Service an. ISOE-Experte Götz und die Experten des Umweltbundesamtes würden gerne „zurück zum alten System“.

Das Bundesumweltministerium erteilt einer flächendeckenden Sammlung in Apotheken jedoch eine Absage. Es gebe keine „ökologische Notwendigkeit“ dafür, erklärte eine Sprecherin, „wenn Medikamente im Hausmüll entsorgt werden“. Bleibt noch eins: den eigenen Medikamentenschrank nur mit dem Nötigsten füllen.

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