Flüchtlingscamp in Hannover: Sichtbar mitten in der Stadt

Asylsuchende demonstrieren mit einem Protestcamp in Hannover für bessere Lebensbedingungen. Politiker sind gesprächsbereit.

Flüchtlingsprotest: das Camp an der Lister Meile Hannover. Bild: dpa

HANNOVER taz | Plötzlich waren sie da. Nicht mehr unsichtbar, versteckt, sondern unübersehbar mitten in der Stadt: Seit Samstagnachmittag protestieren bis zu hundert, zum Großteil aus dem Sudan stammende Flüchtlinge in Hannover für bessere Lebensbedingungen. Sie fordern ein Ende der Einschränkungen des „Asylbewerberleistungsgesetzes“, beschlossen 1993 als Abschreckungsmaßnahme.

„Wir sind Refugees, aber zunächst einmal sind wir alle Menschen“, steht auf einem Banner, das direkt am Weißekreuzplatz leuchtet. Nur wenige hundert Meter nördlich des Hauptbahnhofs am Anfang der Lister Meile, dem Tor zum linksliberalen Altbauviertel List, ist das Kulturzentrum Pavillon nur einen Steinwurf entfernt.

Auf der Rasenfläche, die der Stadt Hannover gehört, steht eine Art Volxküche. Daneben gibt es große Zelte, darum herum verteilt etwa ein Dutzend Iglus, in denen die Flüchtlinge zusammen mit bis zu 150 Unterstützern leben.

An einem Infostand direkt an der Straße verteilen die Flüchtlinge Flyer mit ihren Forderungen: Von „Isolation“ sei ihr Leben in Deutschland noch immer oft geprägt, schreiben sie. Dazu komme die „Einschränkung der Bewegungsfreiheit“ ebenso wie „Arbeitsverbote“ und eine „schlechte Gesundheitsversorgung“. Von den deutschen Behörden fühlen sie sich oft ungerecht behandelt: „Schikanen und Rassismus“ seien nicht selten – und stürzten die oft traumatisierten Schutzsuchenden in neue Depressionen.

Drohende Abschiebung jederzeit

Denn noch immer erhält nur eine kleine Minderheit der Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, Asyl. „Durchschnittlich 84 Prozent der Asylanträge werden abgelehnt“, fasst die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl zusammen. Was oft folgt, ist eine über Jahre immer wieder neu zu erkämpfende „Duldung“: Zwar sind die humanitären Bedingungen in den Heimatländern so schlecht, dass eine sofortige Rückkehr nicht möglich ist, erkennen selbst die Ausländerbehörden. Trotzdem droht die Abschiebung jederzeit.

„Wir fordern die Abschaffung aller Asyl-Gesetze, wir fordern den sofortigen Schutz unserer Menschenrechte“, schreiben die Besetzer des Weißekreuzplatzes dazu – und solidarisieren sich so mit den „Lampedusa“-Demonstranten in Hamburg und den Organisatoren des im April aufgelösten Flüchtlingscamps am Berliner Oranienplatz.

In Hannover zeigen sich Lokal- wie Landespolitik gesprächsbereit. Am Montag liefen Gespräche zwischen den Flüchtlingen und Vertretern von Oberbürgermeister Stefan Schostok (SPD), in die sich auch die Sprecherin für Flüchtlingspolitik der grünen Landtagsfraktion, Filiz Polat, und ihr Fraktionskollege Belit Onay eingeschaltet haben.

Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Sven Kindler war vor Ort. „Gerüchte, nach denen eine Räumung des Protestcamps durch die Polizei droht, sind falsch“, sagte Onay zur taz.

Unterstützung kommt auch von der Stadtratsfraktion der Linkspartei: „Es kann nicht sein, dass medizinische Betreuung nur in schmerzhaften, akuten Fällen bezahlt wird, dass Feld für Sprachkurse fehlt und dass Schutzsuchende über Jahre in Flüchtlingsheimen leben müssen, die dann auch noch vom billigsten Anbieter betrieben werden“, findet die Ratsfrau Gunda Pollok-Jabbi, die in der Nachbarschaft wohnt.

Schwieriger Alltag

Unmittelbar nach der Regierungsübernahme habe sich die rot-grüne Koalition in Niedersachsen bemüht, die Lebensbedingungen von Flüchtlingen zu verbessern, betont Polat. So sei die Residenzpflicht – das Verbot, eine bestimmte Stadt oder einen bestimmten Landkreis zu verlassen, durch das Innenministerium aufgehoben worden.

Auch der Zugang zu einer diskriminierungsfreien Krankenversorgung sei in Arbeit: Wie Bremen wolle auch Niedersachsen eine Chipkarte einführen, mit der Arztbesuche abgerechnet werden können.

Im Alltag aber werden Flüchtlinge immer wieder an ihrer Integration gehindert. „In Göttingen konnte jemand eine bereits zugesagte Lehrstelle als Bäcker nicht antreten, weil er gezwungen wurde, im Landkreis zu wohnen – und morgens nicht früh genug in die Stadt kam“, sagt Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen. „In Öffentlichkeit und Medien werden Asylsuchende noch immer als Problem für Deutschland dargestellt“, klagt Weber. „Dabei sind nicht einmal zehn Prozent der von Politik und Wirtschaft doch erwünschten Einwanderer Flüchtlinge.“

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