Glücksversprechen: Gefangen im Hamsterrad

In Osnabrück inszeniert Gustav Rueb Thomas Köcks Stück „Jenseits von Fukuyama“: eine Mischung aus Bürokrimi und philosophischer Abhandlung.

Immer im Kreis herum auf der Jagd nach dem Glück: Szene aus "Jenseits von Fukuyama"- Bild: Ute Lewandowski

OSNABRÜCK taz | Im Nachhinein betrachtet klingt es beinah niedlich: 1992 verkündete der neokonservative Politikwissenschaftler Francis Fukuyama in „Das Ende der Geschichte“, durch den Zusammenbruch der sozialistischen Ostblock-Staaten gebe es keine Widersprüche in der Welt mehr, fortan genieße die Menschheit bis ans Ende ihrer Tage den Wohlstand, den Frieden und das Glück des Kapitalismus – eine sehr eigenwillige Hegel-Interpretation.

Aber das war vor dem 11. September, vor der Finanzkrise und vor dem Ukraine-Konflikt. Nach der Invasion im Irak durch die Bush-Regierung distanzierte sich Fukuyama von fast allem, was er in seiner bisherigen akademischen Laufbahn vertreten hatte, und widmete seine folgenden Werke einer umfassenden Kritik an jedweder Form von naivem Optimismus.

Die Glücksversprechen des Kapitalismus, die „Das Ende der Geschichte“ noch so bejubelt hatte, hat sich der 28-jährige Nachwuchsautor Thomas Köck in seinem neuen Stück „Jenseits von Fukuyama“ vorgenommen. Inszeniert wird das Stück, für das Köck im Dezember den Osnabrücker Dramatikerpreis erhalten hat, nun im Theater Osnabrück von Gustav Rueb. Den Schluss haben Köck und Rueb dafür mit Bezug auf aktuelle Entwicklungen noch einmal neu gefasst: „Durch den Krim-Konflikt ist das Thema des Kalten Krieges wieder ins Gedächtnis gerückt, das wollte Thomas noch einbauen“, erzählt Rueb.

„Jenseits von Fukuyama“ ist eine Mischung aus Bürokrimi und philosophischer Textfläche: In einem Glücksforschungsinstitut sucht man nach nichts weniger als dem Sinn der menschlichen Existenz – natürlich messbar und vor allem: konsumierbar. Die Mitarbeiter des Instituts hingegen sind selbst weniger mit Glücklichsein beschäftigt als mit Intrigieren, Hauen und Stechen auf dem Weg an die Spitze der Karriereleiter – allen voran der junge Peer.

„Einerseits ist das Stück eine böse Zustandsbeschreibung unserer heutigen Arbeitswelt, andererseits aber auch eine philosophische Abhandlung über die Jagd nach dem Glück“, erklärt Rueb. Eigentlicher Protagonist des Stückes sei ein „Chor der enttäuschten Erwartungen“, der auf politisch-theoretischer Ebene 2000 Jahre Zeitgeschichte abhandele.

„Thomas Köck ist ein sehr politischer Autor, auch sehr böse und frech, das gefällt mir“, sagt Rueb über den aus Österreich stammenden Nachwuchsautor, dessen Stücke so klangvolle Namen tragen wie „25 Sandsäcke und ein Haufen Depression“ oder „Die hängenden Gärten der Biopolitik“. Köck überrasche „mit seinem Gespür für sprachlichen Rhythmus, auch wenn es im Text zunehmend brenzliger wird“, lobte Jürgen Berger, freier Theaterkritiker der Süddeutschen, in seiner Laudatio auf den Gewinner des Osnabrücker Dramatikerpreises.

Ernsthaft beschäftigt hat sich Gustav Rueb mit Fukuyamas „Das Ende der Geschichte“ jedoch nicht. Spannender findet er die Glücksforschung – die interessanterweise fast immer an ökonomische Institute angeschlossen ist. Das allgemeine Diktat, dass man in unserer Gesellschaft glücklich zu sein habe, sei ein Kennzeichen unserer Zeit. „Und dieses Glücksversprechen hat immer mit Kapitalismus und Konsum zu tun“, vermutet Rueb. Die Maxime, nach etwas zu streben und erfolgreich zu sein, habe zu einer merkwürdigen Verinnerlichung der Sehnsucht nach Glück geführt, „die uns letztlich immer unglücklicher und mittelmäßiger zu machen scheint“, erklärt er. Man sei gefangen wie in einem Hamsterrad, in dem man ständig irgendetwas nachlaufe, was Glück verspreche – ein Paradox, von dem man sich kaum frei machen könne.

Der Chor der enttäuschten Erwartungen ist nicht der einzige abstrakte Protagonist in „Jenseits von Fukuyama“: Auch die 1990er- und 2000er-Jahre treten als Figuren auf. Was kennzeichnet diese Jahrzehnte für Rueb? „Für mich waren die 1990er-Jahre ein sehr romantisches Jahrzehnt, auch wenn ich diese Romantik persönlich nie empfunden, sondern nur beobachtet habe“, erzählt der 39-Jährige. Viel mit Techno zu tun habe das Jahrzehnt für ihn, mit einer Glücksversessenheit im Tanzen und im Drogenkonsum. „Gleichzeitig war es der Beginn eines extremen Wirtschaftsliberalismus, der Dotcom-Blasen und der Hedgefonds“, fügt Rueb hinzu. Sowohl die Techno- als auch die neoliberalistischen Jünger seien Ausdruck einer Spaßgeneration, der im neuen Jahrtausend nach dem 11. September plötzlich klar gemacht worden sei, wie verwundbar unsere Gesellschaft ist.

Fukuyamas Fortschrittsoptimismus, der Anfang der 1990er-Jahre in den Feuilletons noch ausgiebig und ernsthaft diskutiert wurde, wirkt heutzutage geradezu absurd. „Den Gedanken, dass mit Ende der Blockbildung ein Utopia dasteht, halte ich für Quatsch“, erzählt Rueb. Die Frage nach dem Sinn der menschlichen Existenz, der die Glücksforscher in „Jenseits von Fukuyama“ nachgehen, ist weniger klar zu umreißen als die Versprechen und Enttäuschungen des Kapitalismus in den letzten zwanzig Jahren. Ein hohes Ironieniveau habe der Abend, „aber am Ende wollen wir vor allem Raum zur Trauer und zum Nachdenken lassen“, so Rueb. Denn am meisten berührt habe ihn an dem Stück, „dass aus einer Zeitgeistanalyse etwas Überzeitliches entspringt, eine Form von Leere und Trauer über verpasste Chancen und über alle schlimmen Dinge, die schon in der Welt passiert sind.“ Trauer, Leere, Nachdenken statt Rausch – vielleicht ist das ja die Romantik jenseits von Fukuyama.

■ Premiere: Sa, 17. 5., 19.30 Uhr, Theater Osnabrück, weitere Vorstellungen: Mi, 21. 5., Sa, 24. 5. und Di, 3. 6., je 19.30 Uhr
Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.