Offensive in der Ostukraine: „Viele Tote in Slawjansk“

Ukrainisches Militär greift das von Auftständischen kontrollierte Slawanjsk an. Es gibt Tote auf beiden Seiten. Jetzt wächst die Angst vor einem Bürgerkrieg.

Festnahme von Separatisten in Slawjansk. Bild: dpa

DONEZK/KIEW taz | In der Ukraine haben die Streitkräfte der Regierung am Freitag mit die Offensive auf Slawjansk, die Hochburg der bewaffneten pro-russischen Aufständischen im Osten des Landes, gestartet. Interimspräsident Oleksander Turtschinow sprach am Freitag von „vielen Toten“ auf Seiten der Gegner Kiews. Turtschinow bestätigte in einer nationalen Fernsehansprache zudem den Tod von zwei ukrainischen Soldaten.

Um 4:40 morgens begann die Offensive auf Slawjansk, aus der Luft und auf dem Landweg. „Um fünf Uhr morgens ging ich auf die Straße. Überall waren Hubschrauber“, berichtet Stadtbewohnerin Vera, die für die Sozialisten im Stadtrat von Slawjansk sitzt, der taz. „Angeblich sollen es 20 Hubschrauber gewesen sein. Aber es waren sicherlich mehr. So viele, dass ich sie nicht habe zählen können. Ich habe gesehen, wie ein Hubschrauber abgestürzt ist.“

Die Äußerung der oppositionellen Lokalpolitikerin deckt sich im wesentlichen mit den Angaben des ukrainischen Innenministers Arsen Awakow in Kiew. Dessen Angaben zufolge begann die „antiterroristische Operation“ von Armee, Nationalgarde und Kräften des Innenministeriums gegen die Besetzer öffentlicher Gebäude im Slawjansk um 4:30 Uhr. „Die Stadt ist eingekesselt“ erklärte Awakow am Mittag. Die Operation laufe nach Plan.

Drei Hubschrauber verloren die Sicherheitskräfte bei ihrem Angriff. Alle wurden mit Raketen abgeschossen. Die Hubschrauber waren sehr niedrig geflogen, berichtet die Oppositionspolitikerin Vera. Die städtischen Sirenen und der Lärm der Hubschrauber hätten unter der Bevölkerung Panik ausgelöst. Fallschirmjäger seien unter dem Feuerschutz der Hubschrauber zu den besetzten Gebäuden vorgedrungen. Einige von ihnen seien in ziviler Kleidung abgesprungen.

Wenig später seien neun Checkpoints der Aufständischen von den Regierungseinheiten vernichtet, die Bewaffneten an diesen verhaftet oder in die Flucht geschlagen worden. Das berichten übereinstimmend Quellen der Separatisten und der ukrainische Innenminister Awakow.

Wohnungen nicht verlassen

Ob die Hubschrauber auch auf die Zivilbevölkerung der Stadt geschossen haben, ist unklar. Während dies nach Angaben von Vera getan worden sein soll, erklärte Awakow, die Aufständischen würden die Sicherheitskräfte von Wohnhäusern aus beschießen, weil sie wüssten, dass man dorthin nicht zurückschieße. Awakow forderte die Zivilbevölkerung auf, vorläufig die Wohnungen nicht zu verlassen und sich auch nicht in der Nähe der Fenster aufzuhalten. Die „Terroristen“ forderte der Innenminister auf, die Waffen niederzulegen, die besetzten Gebäude zu räumen und die Geiseln freizulassen.

Wenige Stunden nach Beginn der Aktion konnten die Sicherheitskräfte die bewaffneten Aufständischen aus dem Fernsehzentrum von Slawjansk vertreiben. Artillerie schützte daraufhin das Fernsehzentrum vor einer erneuten Einnahme durch die Separatisten. Bis zum Nachmittag waren bei der Aktion nach übereinstimmenden Angaben beider Seiten zwei Hubschrauberpiloten und ein bewaffneter Aufständischer ums Leben gekommen. Ein dritter Hubschrauberpilot wurde beim Absturz seiner Maschine schwer verletzt und anschließend gefangengenommen.

Am späten Nachmittag hielten Dutzende von Stadtbewohnern mit einem lebenden Schutzschild die Regierungstruppen von einem weiteren Vordringen in die Stadt ab. Gleichzeitig wurden zahlreiche Namens- und Straßenschilder demontiert. Den ganzen Freitag war Slawjansk von der Außenwelt abgeschnitten. Auch die Bahn stellten ihren Betrieb ein.

Die Sprache der Gewalt

In einer ersten Reaktion unterstützte der prominenteste Präsidentschaftskandidat für die ukrainischen Wahlen am 25. Mai, Petro Poroschenko, die Aktion. Endlich habe sich der Staat dazu durchgerungen, mit den Terroristen in der Sprache der Gewalt zu sprechen, so Poroschenko. Das seien genau die Schritte, auf die die Ukraine gewartet habe.

Auch Kiewer Maidan-Aktivisten unterstützten das Vorgehen der Regierung, wenngleich weniger selbstsicher. Ja, die Aktion sei schon richtig gewesen, sagt Taras, einer der Maidan-Aktivisten der ersten Stunde. Anderseits könnte das aber auch der Beginn eines Bürgerkrieges sein. „Wenn das so weitergeht, haben wir auch bald unser Nagornij Karabach“, sagt er unter Verweis auf die armenisch kontrollierte Bergregion innerhalb Aserbaidschans im Kaukasus, die seit zwanzig Jahren zwischen beiden Ländern umstritten ist.

Unter der Bevölkerung der Nachbarstädte von Slawjansk geht indessen die Angst um, dass der Krieg auch sie erreicht. Frauen schicken ihre Männer in den Kampf, weinende Kinder verabschieden sich von ihren Vätern, berichtet eine Einwohnerin einer Nachbarstadt telefonisch.

Gegen Abend schien sich die Lage in Slawjansk allerdings etwas zu beruhigen. Die Nationalgarde habe Slawjansk „praktisch von den Terroristen gesäubert“ erklärte der Kommandeur der Nationalgarde, Stepan Poltarak, auf der Homepage des ukrainischen Innenministeriums. Doch nach der Offensive von Slawjansk ist nichts mehr so wie vorher. Am Freitag Nachmittag kündigten uniformierte und bewaffnete Freiwillige auf der Krim an, sie würden sich auf den Weg in die Ostukraine machen, um ihre „slawischen Brüder“ zu unterstützen.

Derweil ist auch in Odessa am Schwarzen Meer bei Auseinandersetzungen zwischen prorussischen Separatisten und Anhängern der Regierung in Kiew ein Mann erschossen worden. Der Mann sei in die Brust getroffen worden, teilt die Polizei mit.

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