Recht auf Gesundheit: Frau Ibrahim will weg

Viele Flüchtlinge bekommen nie einen Arzt zu Gesicht - auch wenn sie dringend einen bräuchten. Ein Besuch bei Ranga Ibrahim im Lager Horst.

Hört Stimmen: Ranga Ibrahim in ihrem Zimmer in Horst Bild: Miguel Ferraz

HAMBURG | taz In der Einöde Mecklenburg-Vorpommerns liegt für viele Menschen der Vorhof zum Paradies. Hier, mitten im Nichts, gibt es ein kasernenartiges Gelände. Ob die Sonne scheint oder ob es regnet ist egal, auch welche Farbe die Häuser haben – gelb, orange, azurblau – ist nicht wichtig. Es sieht immer aus wie an einem Grenzübergang. Nicht wie wenn man nach Dänemark fährt, mit offenen Schranken und winkenden Zollbeamten, sondern wie damals, wenn man in die DDR einreisen wollte.

Für viele Menschen markiert dieser Ort die Grenze – die Grenze zu einer neuen Zukunft: Hier in Nostorf-Horst steht ein Flüchtlingsheim, welches von Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern betrieben wird. Doch obwohl sie sich mitunter ein Zimmer teilen, haben diese Menschen unterschiedliche Rechte.

Anders als die Flüchtlinge aus Hamburg bekommen die aus Mecklenburg-Vorpommern keine Versicherungskarte und sie dürfen den Landkreis nicht verlassen. Es ist darum schwierig für sie, einen Arzt für zu finden, von Fachärzten ganz zu schweigen. Auf dem Gelände des Flüchtlingslagers ist zwar eine medizinische Versorgung untergebracht, jedoch arbeiten dort nur Pfleger und Krankenschwestern des Malteser Hilfsdienstes. Kein Arzt ist vor Ort.

Eine, die dringend auf ärztliche Versorgung angewiesen wäre, ist Ranga Ibrahim. Die 46-jährige Ghanaerin hat sehr glasige Augen und ein weites offenes Lächeln, das sie auch dann lächelt, wenn ihr nicht zum Lächeln zumute ist. Vor vier Monaten hat sie ihren Antrag auf humanitäre Flüchtlingshilfe gestellt. Eigentlich bleibt man nur drei Monate in Horst, jetzt ist sie schon vier da.

In Berlin, wo sie in Deutschland ankam, wurde sie in der Charité behandelt, ohne Versicherung und ohne Geld. Sie bekam Medikamente gegen Bluthochdruck, gegen die Schmerzen in der Brust, gegen die Blasenprobleme, gegen die Knieschmerzen, gegen die Schmerzen von ihrem Bandscheibenvorfall.

Vor allem bekam sie einen Therapeuten. Denn ohne die Therapie und die entsprechenden Medikamente machen sich ihre psychischen Probleme bemerkbar.

Ranga Ibrahim wirkt sehr offen, auch wenn man genau zuhören muss, um sie zu verstehen – sie hat Probleme beim Artikulieren. Was man ihr nicht anmerkt, sind die Stimmen, die sie hört. „Ich kann nicht schlafen, die ganze Nacht höre ich Stimmen“, klagt sie.

Ibrahim leidet unter einer gespaltenen Persönlichkeit, unter Schizophrenie, und unter Paranoia. Vielleicht hat es mit ihrer Geschichte zu tun: Von ihrem Vater, so erzählt sie, wurde sie an einen Mann verkauft. Dieser hatte schon mehrere Ehefrauen und wollte sie nur als Haushaltskraft. Er zwang sie zur Prostitution. Ibrahim kennt Wörter wie „Bluthochdruck“ und „Blasenprobleme“, aber der Begriff „Prostitution“ ist ihr fremd. „Dieser Mann hat mich immer weiter verkauft“, heißt es bei ihr. Nie spricht sie von „ihrem“ oder „mein“ Mann sondern nur von „diesem Mann“. Trotzdem trägt sie immer noch ihren Ehering.

Ibrahim hat einen Antrag gestellt, um wieder zurück nach Berlin zu dürfen, zurück zu ihren Freunden und zur dringend benötigten medizinischen Versorgung. Noch steht die Entscheidung aus. Ihr Berliner Anwalt Bilal Alkatout ist wütend über das Verhalten der Behörden: Die Atteste der Berliner Ärzte seien einfach ignoriert worden, sagt er. Eine Anfrage nach einer Verlassenserlaubnis, um in Berlin den Psychiater ihres Vertrauens besuchen zu können, sei abschlägig beschieden worden. Die Behörden, sagt ihr Anwalt, handelten „mechanisch und ohne Einzelfallempathie“.

Stattdessen ist Ibrahim einfach getürmt. Raus aus der Gemeinde, raus aus Mecklenburg-Vorpommern, ab nach Berlin. Dort bekam sie die Behandlung die sie brauchte. Zurück in Horst gab es Ärger, weil sie sich unerlaubterweise entfernt hatte. Trotz Attest und Rezept bekam sie hier wieder die falschen Medikamente: Sie bekam Atemnot und ihr Körper quoll auf. Von ihren Krankheiten war keine Rede, nur davon, dass sie sich unerlaubt weggestohlen hatte.

Trotz Entlassungsbrief von der Berliner Charité bekam Ranga Ibrahim bis heute keinen Facharzt zu sehen. Nur einmal wurde sie wegen ihrer Blasenprobleme an eine Gynäkologin verwiesen, doch die Schmerzen hat sie noch immer.

Flüchtlinge, die aus Hamburg nach Horst geschickt werden, haben es etwas besser. Sie dürfen den Landkreis Nostorf verlassen und nach Lauenburg gehen, wo das Medibüro, ein Verein zur medizinischen Unterstützung von Flüchtlingen, alle 14 Tage Sprechstunde hat.

Eigentlich ist der Staat für die medizinische Versorgung von Flüchtlingen zuständig. Im Asylbewerberleistungsgesetz heißt es: „Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln zu gewähren.“

Offiziell regelt Hamburg es so, dass die Stadt ihre Flüchtlinge bei der AOK Bremen anmeldet, die als erste ein Modell für diesen Fall entwickelt hat. Von der AOK Bremen bekommen die Flüchtlinge eine spezielle Versicherungskarte, mit der sie zum Arzt können. Jedoch verschleppt die Hamburger Behörde derzeit das Verfahren: Die Behörde prüft, ob die Flüchtlinge vielleicht doch Bargeld oder Wertgegenstände haben und sich so selbst eine Krankenversicherung finanzieren können. Diese Prüfungen können sich schon mal sechs Monate hinziehen.

Die Flüchtlinge haben nur wenig Möglichkeiten, sich gegen diese Zustände zu wehren – sie bräuchten einen Anwalt, den sie erst einmal bezahlen müssten. Ibrahim hat Glück gehabt: Sie hat gute Freunde in Berlin gefunden, die das Anwaltshonorar für sie bezahlen. So kann sie hoffen, zurück nach Berlin zu kommen.

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