Generalbundesanwalt über Spionage: „Wir sind nicht die NSA“

Vorratsdatenspeicherung und Bundestrojaner seien notwendig, sagt Generalbundesanwalt Harald Range. Neidisch auf die NSA ist er aber nicht.

Noch immer prüft Harald Range mögliche Ermittlungen gegen die NSA. Bild: dpa

taz: Herr Range, seit Beginn des NSA-Skandals, also schon seit einem Dreivierteljahr, prüfen Sie, ob hier der Anfangsverdacht einer Straftat vorliegt.

Harald Range: Das ist ein äußerst komplexes Thema.

Kann es sein, dass Sie so lange prüfen, bis sich niemand mehr an den NSA-Skandal erinnert?

Nein, keine Sorge, das wird keine unendliche Prüfung. Und hier wird auch nichts künstlich hinausgezögert.

Sie werden also noch in diesem Jahr entscheiden, ob Sie nun ermitteln oder nicht?

Natürlich. So bald wie möglich.

Warten Sie immer noch auf Antworten der Bundesregierung?

Nein, inzwischen haben alle angefragten staatlichen Stellen Informationen geliefert. Jetzt bewerte ich diese und andere Informationen. Dann treffe ich meine Entscheidung.

66, ist seit 2011 Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, der auf dem Gebiet des Staatsschutzes als oberste Strafverfolgungsbehörde Deutschlands fungiert. Zuvor war Range Generalstaatsanwalt in Celle. Er ist Mitglied der FDP.

Hat die Kanzlerin um Rücksicht gebeten, weil die Amerikaner in der Krimkrise enge Partner sind und nicht verärgert werden sollen?

Nein. Die Bundesregierung blockiert mich nicht und sie drängt mich auch nicht. Ich habe freie Hand.

Sie müssen also in eigener Verantwortung entscheiden, ob ein Ermittlungsverfahren gegen US-Geheimdienstler die deutschen Interessen beeinträchtigen könnte?

Darum geht es im Moment nicht. Derzeit prüfe ich, ob überhaupt ein Anfangsverdacht für eine verfolgbare Straftat vorliegt. Nur wenn ich das bejahe, komme ich zu der Frage, ob überwiegende öffentliche Interessen einem Ermittlungsverfahren entgegenstehen – was bei Spionagedelikten zu prüfen ist.

Liegt der Schwerpunkt Ihrer Prüfung auf dem mutmaßlich abgehörten Handy der Kanzlerin oder auf der Massenüberwachung der deutschen Bevölkerung?

Greifbarer ist die mögliche Überwachung der Kanzlerin. Mehr kann ich dazu derzeit nicht sagen.

Haben Sie Kontakt zu Edward Snowden?

Sein Anwalt hat sich an mich gewandt. Über diesen habe ich angefragt, ob Herr Snowden konkrete Anhaltspunkte für eine gegen Deutschland gerichtete geheimdienstliche Agententätigkeit geben kann. Bisher habe ich noch keine Antwort erhalten.

Sind Sie manchmal neidisch auf die NSA?

Wie meinen Sie das?

Na, hätten Sie gerne auch so viele Daten zur Verfügung?

Ich bin Staatsanwalt, kein Geheimdienstler.

Das weiß ich. Das war jetzt auch keine juristische, sondern eine emotionale Frage: Denken Sie nicht manchmal, was Sie alles aufklären könnten, wenn Sie auch so viele Daten zur Verfügung hätten wie die NSA?

Nein. Ganz ehrlich, das habe ich bisher noch nie gedacht. Das wäre auch nicht mit meinem Verständnis einer rechtsstaatlichen Strafverfolgung vereinbar.

Brauchen wir dann die Vorratsdatenspeicherung?

Verbindungsdaten der Telekommunikation können bei Ermittlungen in vielerlei Hinsicht nützlich sein. Mit wem hat das Opfer zuletzt gesprochen? Ist das Alibi glaubwürdig? Wer kennt wen? Bei schweren Taten sollten die Ermittler auf solche Verbindungsdaten zugreifen können.

Wie oft fehlen Ihnen derzeit Verbindungsdaten, weil sie von den Telefonfirmen zu schnell gelöscht wurden?

Das kann ich nicht sagen, darüber führe ich keine Statistik.

Finden Sie es nicht unverhältnismäßig, wenn der Staat verlangt, dass die Telekom- und Internetverkehrsdaten der ganzen Bevölkerung monatelang auf Vorrat gespeichert werden, nur für den Fall, dass die Polizei diese Daten mal benötigt?

In den Grenzen, die das Bundesverfassungsgericht 2010 gezogen hat, finde ich die Vorratsdatenspeicherung verantwortbar. Insbesondere die Beschränkung des Zugriffs auf schwere Straftaten ist mir wichtig.

Wie lange sollten die Daten zwangsgespeichert werden?

Drei Monate dürften genügen – wie es im Koalitionsvertrag vereinbart ist.

Anderes Thema: Würden Sie gerne Trojaner nutzen, um Internet-Telefonate, die via Skype geführt werden, abzuhören?

Ja, das ist bei schweren Straftaten notwendig. Da solche Telefonate zwischen den Teilnehmern verschlüsselt sind, müssen wir an der Quelle, also am Computer, ansetzen, um die Kommunikation vor der Verschlüsselung ausleiten und überwachen zu können. Wir nennen das Quellen-Telekommunikationsüberwachung, kurz: Quellen-TKÜ.

Geht es dabei auch um verschlüsselte E-Mails?

Ja. Auch hier kann die Quellen-TKÜ helfen.

Gehören auch Screenshots von E-Mails, die gerade geschrieben werden, zur Quellen-TKÜ?

Nein. Erst wenn eine E-Mail verschickt wird, handelt es sich um Kommunikation. Auf Entwürfe nicht versandter Mails wollen wir mit der Quellen-TKÜ nicht zugreifen.

Wie relevant ist Ihr Problem?

Es beschäftigt uns zunehmend. Terrorverdächtige, vor allem im rechten Bereich, sprechen am normalen Telefon oft nur noch über Alltägliches. Sobald es für uns interessant wird, wechseln sie auf verschlüsselte Kommmunikationskanäle.

Warum bitten Sie nicht einfach Skype um Hilfe?

Nach unseren Informationen bietet Skype keine Möglichkeit, Gespräche zu entschlüsseln. Deshalb macht es auch keinen Sinn, Anfragen an Skype zu stellen.

Der Geheimdienst NSA scheint aber Zugriff auf Skype-Telefonate zu haben …

Wir sind nicht die NSA.

Was also brauchen Sie?

Eine Rechtsgrundlage für die Quellen-TKÜ.

Sind Sie sicher? Viele Staatsanwaltschaften der Länder praktizieren die Quellen-TKÜ schon seit Jahren und stützen sich dabei auf die allgemeine Befugnis zur Telekommunikationsüberwachung.

Wir glauben, dass das nicht genügt, weil die Installation einer speziellen Software auf dem privaten Computer ein zusätzlicher, schwerwiegender Eingriff ist.

Sie verzichten derzeit also auf den Einsatz von Trojanern zur Quellen-TKÜ?

Natürlich. Wir handeln nicht ohne gesetzliche Befugnisnorm.

Und wer müsste diese schaffen?

Der Bundestag. Erforderlich ist eine Regelung in der Strafprozessordnung – selbstverständlich mit einem Richtervorbehalt.

Laut Koalitionsvertrag will man die Vorschriften über die Quellen-Telekommunikationsüberwachung „rechtsstaatlich präzisieren“. Verstehen Sie, was damit gemeint ist?

Nicht im Detail. Es zeigt mir aber, dass die Politik sich der Problematik annehmen will.

Gibt es denn derzeit überhaupt einsatzfähige Trojaner?

Das BKA arbeitet daran und will bis Ende 2014 fertig sein.

Sie wünschen sich also eine Rechtsgrundlage für die Quellen-TKÜ, obwohl es noch keine einsatzfähigen Trojaner gibt?

Auch Gesetzgebung braucht Zeit. Wir gehen davon aus, dass ein Trojaner, der allen Anforderungen genügt, rechtzeitig bereitsteht.

Wo liegt eigentlich das Problem mit den Trojanern?

Der Chaos Computer Club hat 2011 auf Schwachstellen hingewiesen, die jetzt beseitigt werden.

Geht es darum, dass die Trojaner, die manche Bundesländer eingesetzt haben, sich nicht zwingend auf die Überwachung von Telefonaten und E-Mails beschränken, sondern auch Zugriff auf den Inhalt des Computers nehmen können?

Wohl ja.

Das heißt, die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts von 2008 können immer noch nicht erfüllt werden?

Wie gesagt, das BKA arbeitet daran. Es führt derzeit selbst keine Quellen-TKÜ durch und hat auch den Ländern empfohlen, bis auf Weiteres auf diese Maßnahme zu verzichten.

Braucht die Bundesanwaltschaft auch eine Befugnis zur heimlichen Ausspähung von Computer-Festplatten mit Hilfe von Trojaner-Software?

Das steht für mich nicht auf der Tagesordnung. Das Bundesverfassungsgericht hat hierfür hohe Hürden aufgestellt – zu Recht, wie ich meine. Letztlich handelt es sich aber um eine politische Entscheidung.

Ihr früherer Stellvertreter Griesbaum hatte die Einführung der Onlinedurchsuchung zur Strafverfolgung gefordert.

Das war seine private Meinung.

Das BKA darf seit 2009 – zu präventiven Zwecken – heimlich Computer-Festplatten ausspähen. Wie oft hat das BKA davon Gebrauch gemacht?

Das müssen Sie das BKA fragen. Mir sind aus unserer Zusammenarbeit mit dem BKA aber keine Ermittlungserfolge bekannt, die so gewonnen wurden.

Als Folge aus dem Ermittlungsdesaster gegen den rechten NSU-Terror soll der Generalbundesanwalt gestärkt werden. Um was geht es dabei?

Grundsätzlich sind für die Strafverfolgung die Staatsanwaltschaften der Länder zuständig. Künftig soll es einfacher für uns sein, die Ermittlungen bei schwersten Straftaten mit einem möglichen politischen Motiv zu übernehmen. Außerdem sollen die Länder gesetzlich verpflichtet werden, uns bei in Frage kommenden Fällen sehr früh zu informieren, damit wir unsere Zuständigkeit prüfen können.

Hätten Sie die NSU-Morde frühzeitig aufgeklärt und so die Mordserie unterbrochen?

Das kann niemand sagen. Aber wenn es eine auf Terror-Ermittlungen spezialisierte Staatsanwaltschaft gibt, ist es wichtig, dass sie bei Fällen mit einem denkbaren terroristischen Hintergrund frühzeitig einbezogen wird.

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