Kommentar Umsturz Ukraine: Kritische Solidarität mit dem Maidan

Das Regime in Kiew ist Geschichte. Wenn aus der Wut auf Janukowitsch und Konsorten aber eine Hetzjagd wird, könnte das fatale Folgen haben.

Originelle Soli-Aktion für die Ukraine in Sofia: angemaltes Weltkriegsdenkmal. Bild: dpa

Die Menschen auf dem Maidan haben gezeigt, dass die Kraft der Überzeugung stärker ist als Scharfschützen, Folter und Schlägerkommandos. Sie haben ausgeharrt, trotz Temperaturen von minus 20 Grad, Scharfschützen, Entführungen und Tränengas. Ihr Sieg über das korrupte Janukowitsch-Regime ist ohne Frage zu begrüßen.

Spätestens seit dem Samstag, als die Demonstranten vom Maidan einen Tag der offenen Tür in der Residenz von Präsident Wiktor Janukowitsch erzwangen, dürfte auch dem Letzten in der Bevölkerung klar geworden sein, dass Janukowitsch auf Kosten des Volkes in Saus und Braus lebte – während sich Rentner mit monatlich hundert Euro und Lehrer mit zweihundert Euro Gehalt nur mühsam über Wasser halten können.

Dass die Menschen sich im Schweiße ihres Angesichts ihren Lebensunterhalt erarbeiten müssen, während Janukowitsch auf Staatskosten eine Villa mit eigenem Zoo unterhalten hat, deren Garten man wegen seiner schieren Größe nur mit dem Fahrrad abfahren kann, lässt sogar den Bergarbeitern in der Hochburg von Janukowitsch, im Kohlegebiet des Donezk-Beckens, die Zornesröte ins Gesicht schießen.

Doch die Solidarität mit den Maidan-Demonstranten muss kritisch sein, sehr kritisch sogar. Da ist zum einen der Einfluss des „Rechten Sektors“, dessen Kämpfer nun in die Polizei integriert werden sollen. Dann geht es um die Bedeutung der rechtsradikalen Swoboda-Partei, deren Chef Oleg Tjagnibok in der Vergangenheit mit antisemitischen Äußerungen zeigte, wo die Partei steht.

Berechtigter Zorn

Dazu noch der Kampfruf von Julia Timoschenko, Janukowitsch müsse jetzt auf den Maidan zitiert werden. Das alles zeigt, dass die berechtigte Wut auf das Janukowitsch-System schnell in Gewalt ausarten kann – die mit einem Rechtsstaat nicht zu vereinbaren ist.

Nun gilt es darauf zu achten, dass bei den bevorstehenden Parlamentswahlen auch die Kräfte, die Janukowitsch in der Vergangenheit unterstützt haben – wie die Partei der Regionen oder die Kommunisten –, faire Bedingungen für ihre Kandidatur erhalten.

Sollte eine gewalttätige Hetzjagd auf die Träger des Janukowitsch-Regimes einsetzen, sollten gar Parteien verboten oder Politiker an der Präsidentschaftskandidatur gehindert werden, dann werden die Menschen nicht nur in der Ukraine um eine Hoffnung ärmer sein.

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Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.

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