Kolumne Fernsehen: Das Dilemma

Putins Spiele machen einem das Olympiagucken zur Qual: Darf man etwas schauen, das man verabscheut, aber doch immer geliebt hat?

Also dem spanischen Eiskunstläufer Javier Fernandez scheint's zu gefallen in Sotschi Bild: reuters

Wenn am Freitag die Olympischen Spiele eröffnet werden, ist es wieder da: das Fernsehdilemma. Ein von der Wissenschaft bisher sträflich vernachlässigter Forschungsbereich.

Darf man entspannt vorm Fernseher Passivsport betreiben, obwohl man doch weiß, welche Verbrechen diesen Spielen vorausgingen? Wie Menschen umgesiedelt wurden, wie die Umwelt zerstört wurde, wie korrupt das Internationale Olympische Komitee und welch homophober Clown dieser Putin ist.

Und ich meine damit nicht dieses Mit-einem-Augenzwinkern-Fernsehen, mit dem mittlerweile jede und jeder alles guckt: „Dschungelcamp“, „Germany’s next Topmodel“, „Let’s dance“. Nur ein bisschen ironische Metaebene reinrühren in die eigene Rechtfertigung – und schon darf von der Trash-TV-Müllkippe gefressen werden.

Nein, ich meine das Hinschauen, wenn es richtig weh tut. Etwas gucken, das man eigentlich von ganzem Herzen liebt, einen aber doch quält. Denn nach monatelanger Berichterstattung über das schlimme Olympia werden nun – mit Beginn der Spiele – auch die Jubelbilder kommen: Sport verbindet, gute Laune, Michael Vesper, tralala.

„Gute Stimmung rundherum“

Wie am Mittwochabend bei den „Tagesthemen“: Es schmerzte, zu sehen, wie vor dem deutschen Haus die schwarz-rot-goldene Flagge gehisst wurde und dabei am Ende ein Nachrichtenbeitrag herauskam, der von einem „ganz besonderen Moment für alle Beteiligten“ erzählte, „der vor allem bei den Athleten für Herzklopfen sorgte“. Anschließend versuchten ein paar Offizielle zu launiger russischer Popmusik ein bisschen Stimmung zu imitieren – und der Sprecher berichtete aus dem Hintergrund im Stile der Wochenschau: „Die Mitglieder der deutschen Mannschaft gerieten richtig in Schwung. Gute Stimmung rundherum.“

Die typischen Symptome des Fernsehdilemmas traten auf: Übelkeit, Wut, Wegschauen, hektisches Fernbedienung suchen.

Wie tolerant darf man sich selbst gegenüber sein, fragt das Hirn. Darf man etwas schauen, das man doch eigentlich ablehnt? Und kann man sich bei den Putin-Spielen überhaupt fallen lassen und genießen?

Aber, meldet sich das Gefühl, man hat doch immer schon Olympische Spiele geguckt, hat sich mitreißen lassen, ist um sechs Uhr morgens aufgestanden, um zuzuschauen, wie drüben in Vancouver das deutsche Eishockeyteam gegen Weißrussland spielte – und verlor.

Kein Eurosport, nur ARD und ZDF

Immerhin, diesmal sind die Eishockeymänner nicht dabei. Das befreit mich ein wenig aus dem Dilemma. Auch überträgt der unkritischste Sender von allen, Eurosport, zum ersten Mal seit 22 Jahren keine einzige Sekunde live. Ein Ärgernis gerade für all diejenigen, die sonst auch Tour de France gucken wollen – ohne immer diese Dopingbrille und so Kritisches und so.

Es bleiben die oft scheinheiligen ARD und ZDF mit ihrer immer wiederkehrenden Aufbereitung: Einem gemäßigt kritischen Ton folgt die Jubelarien auf unsere Jungs und Mädels.

Am Ende wird es mich wieder packen. Ich werde hinschauen. Putins Glück, dass ich so tolerant bin.

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Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.

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