Anleitung Reden über schwule Fußballer: Der Yeti auf dem Platz

Nun wissen wir nicht nur, sondern können auch beweisen: Es gibt schwule Profi-Fußballer. Aber wie reden wir am besten über sie? Das taz-Abc hilft.

Auch Lesben und Schwule schwitzen beim Sport. Aber ruhig Blut – sie duschen nicht anders als Heterosexuelle. Bild: imago/Fernando Baptista

Analsex ist keine rein schwule Sexualpraktik, auch alle anderen können das machen. Und nicht alle Schwulen haben Analsex. Trotzdem ist Analsex für viele Teil der Assoziationskette „schwul = schmutzig“, weil fäkal. Deswegen schwurbelte Hitzlsperger bei seinem Coming-out so rum.

Bekenntnis Man bekennt sich zu einem Glauben, einer Schuld, einem Fehlverhalten oder einem kriselnden Fußballklub. Homosexualität ist nichts davon. Es ist also falsch, von einem „bekennenden Schwulen“ zu reden. Aber immer noch besser als „Geständnis“.

Combo, schwule Als „Schwulencombo“ verspottete Ballack-Berater Michael Becker das DFB-Team nach der WM 2010, vor allem weil sein Schützling nicht mitdurfte. Auch so funktioniert Homophobie im Profifußball: Als schwul gilt jeder, der – wie Bundestrainer Joachim Löw – nicht auftrumpft oder große Töne spuckt.

Duschen, getrennte forderten praktisch veranlagte Heterosexuelle in Onlineforen. Wahr ist: Auch Lesben und Schwule schwitzen beim Sport. Unwahr ist, dass sie besondere Duschen benötigen. Homosexuelle Menschen duschen nicht anders als heterosexuelle.

Ecke, schwule Ecken können nicht schwul sein, und wenn, dann wären sie lesbisch. Trotzdem tauchen sie auch in der taz auf, um Orte zu bezeichnen, an denen Homosexualität existiert. Ein Grund, sich in die Ecke zu stellen und sich zu schämen.

Fake-Spielerfrauen begleiten gerüchteweise schwule Fußballprofis bei offiziellen Anlässen, um jeden Zweifel an deren Heterosexualität zu zerstreuen. Bisher hat sich noch keine geoutet. Allein die Gerüchte zeigen schon Geschlechterklischees des Profifußballs: Frauen gelten als schmückendes Anhängsel und sind auch als mietbare Lebenspartnerinnen denkbar.

Geständnis, auch Hitzlspergers „mutiges Geständnis“. Man kann aber nur gestehen, was man zuvor verschuldet hat.

Heterosexualität eignet sich als Gegencheck, wenn man nicht weiß, ob man gerade seltsame Formulierungen benutzt. Ein Beispiel: „Hitzlsperger gesteht: Ich bin schwul.“ Aha. Dagegen: „Matthäus gesteht: Ich bin heterosexuell.“ Überflüssig, oder nicht?

Ikone (eigentlich: Heiligenbild) „einer Schwulenbewegung im Sport“ will Hitzlsperger laut faz.net nicht werden. Auch verwahrt er sich davor, „von gewerblichen Vorurteilsjägern instrumentalisiert“ zu werden. Wen er genau meint, bleibt offen. Hitzlsperger wäre nicht der erste Schwule, der fürchtet, mit seinem Coming-out in eine vermeintlich monolithische Homo-Szene eingemeindet zu werden: inklusive Abba-Zwang und Demo-Pflicht am CSD. Zu seiner Beruhigung: Auch nach seiner Erklärung kann er tun und lassen, was er will – ein Homo-Maskottchen ist er sowieso.

Jones, Steffi war letzte Woche die kleine Agenturmeldung neben dem Aufmacher über Hitzlspergers Coming-out. Die Nationalspielerin verpartnerte sich mit ihrer Freundin. Und zeigte so, dass in Sachen Homo-Fußball-Entspanntheit die Damen den Herren voraus sind.

Kenntnis, keine hatte Oliver Bierhoff von der Homosexualität Hitzlspergers. Der Manager der Fußballnationalmannschaft betonte in seiner Erklärung, dass sich Hitzlsperger „erst nach seinem Karriereende“ gemeldet habe. War vielleicht besser so: Als 2011 Homosexualität und Fußball im „Tatort“ thematisiert wurden und ein Schauspieler über Schwule in der Nationalelf mutmaßte, echauffierte sich Bierhoff via Bild-Zeitung: „Das sehe ich immer auch als einen Angriff auf meine Familie – die Familie der Nationalelf. Und das ärgert mich.“

Lesben gibt es übrigens auch. Gerade Journalisten vergessen das immer wieder gern und schreiben über „Schwulenehe“ (statt eingetragene Partnerschaft) oder „Schwulenparade“ (statt Christopher Street Day). Andererseits sind Lesben gerade im Fußball präsenter als Schwule. Bei einem Empfang wunderte sich der damalige DFB-Präsident Theo Zwanziger, als ihm eine Nationalspielerin ihren Ehemann vorstellte: „Ach so? Ich dachte immer, Sie haben eine Frau!“

Mittelalter muss immer als Negativbeispiel der Schwulenverfolgung herhalten. Der Vergleich impliziert, dass die Akzeptanz von sexuellen Minderheiten eine fast natürliche Entwicklung ist, der sich kein Land entziehen kann. Aber so einfach ist Geschichte nicht. Die systematische Verfolgung von Homosexuellen, vor allem von Schwulen, begann in vielen Staaten erst mit der Moderne – im Gefolge von Rassismus und Eugenik.

Normal soll mit Homosexualität umgegangen werden, fordern alle. Aber so funktionieren Medien nicht: Je unnormaler etwas ist, je sensationeller man darüber berichten kann, desto quotenträchtiger ist es. Rein statistisch ist Homosexualität tatsächlich nicht normal: Rund 90 Prozent der Menschen sind heterosexuell. Das ist die Norm. Aber der Umgang mit Lesben und Schwulen könnte manchmal etwas normaler sein.

Outing, engl. „Landpartie“, also ein Ausflug ins Grüne; bezeichnet auch den Vorgang, wenn die sexuelle Orientierung eines Menschen ohne sein Zutun an die Öffentlichkeit gelangt. Meist gegen seinen Willen – deswegen ist „Outing“ etwas anderes als „Coming-out“ (der Prozess, sich seiner Sexualität bewusst zu werden und die selbstbestimmte Bekanntmachung davon). Bekanntestes Beispiel für ein Outing: Rosa von Praunheim outet in den 90ern Alfred Biolek und Hape Kerkeling als schwul.

Privatleben sei nicht Objekt der Berichterstattung, ließ das Fußball-Fachmagazin Kicker verlauten – und verweigerte die Thematisierung von Thomas Hitzlspergers Coming-out. Hitzlsperger selbst kommentierte cool im Interview mit faz.net: „Die Augen zu verschließen ist ein Statement.“

Queer ist hier keiner. Auch Hitzlsperger zeigt mit seinem Coming-out, dass ein „echter Mann“ auf Männer stehen kann – und hinterfragt an dieser Stelle nicht die Konstruktion von Männlichkeit oder von Geschlechtern allgemein.

Rassismus ist im Fußball ebenso ein Problem wie Homophobie. 2007 verhandelte das Sportgericht, weil der Dortmunder Torwart Roman Weidenfeller den schwarzen Schalke-Spieler Gerald Asamoah als „schwarze Sau“ beschimpft hatte. Zur Strafe sollte er für sechs Spiele gesperrt werden. Weidenfeller sagte, er habe „schwule Sau“ gesagt – und wurde nur für drei Partien gesperrt.

Schwul war ein Schimpfwort, bis die Schwulenbewegung der 70er es positiv belegte. Das ist nur teilweise geglückt, auf dem Schulhof und im Fußballstadion gilt es immer noch als Schimpfwort und gleichbedeutend mit „schwach“ (eher: scheiße). Deshalb meidet es Thomas Hitzlsperger auch im Interview. Schade eigentlich. Wer den Beinamen „The Hammer“ trägt, muss keine Angst haben, als schwach zu gelten. Er hätte einfach sagen können: „Ich bin schwul.“

Tackling ist Kampf um den Ball bei vollem Körpereinsatz. Lange dachte man, dass ein schwuler Profi-Fußballer unter den Tretern und Blutgrätschern zu finden sein müsste: den Gegner wegsäbeln, um nicht als verweichlicht zu gelten. Nach Hitzlsperger suchen wir nun das nächste intellektuelle Bärchen.

Unnatürlich ist Homosexualität für manche immer noch. Eine Petition, die fordert, in Baden-Württemberg sexuelle Vielfalt nicht im Schulunterricht zu thematisieren, hat schon über 100.000 digitale Unterschriften. In den Kommentaren fürchten Unterzeichner, Kinder würden zu Homosexuellen erzogen. Wenn es so einfach wäre, würden Schulen nur noch Weltfrieden und Nobelpreis lehren.

Verweichlicht zu sein, ist die große Angst vieler Männer – übrigens nicht nur heterosexueller. Viele Schwule tragen Bart, mühen sich um männliches Auftreten, trainieren eine tiefe Stimme an und schreiben „Keine Tunten und Spinner“ in ihre Grindr- oder Gayromeo-Profile. Sie verpassen etwas.

Wowereit war 2001 für die Politik das, was Hitzlsperger für den Fußball sein könnte. Lieferte aber auch ein gutes Feindbild für Homo-Hasser, die ihm regelmäßig Drohbriefe schicken.

X-Chromosom Frauen haben zwei, Männer eines, rein biologistisch gesehen jedenfalls. Aber wer lässt sich schon von einem Fetzen Protein reinreden, welche Geschlechterklischees er darstellen möchte?

Yeti War in etwa das Gleiche wie der schwule Fußballer: Manche wollten ihn in der Ferne schemenhaft erspäht haben oder kannten jemanden, der jemanden kannte, der jemanden kannte, der ihn ganz sicher im Himalaja oder auf Gayromeo getroffen hatte. Dank Hitzlsperger wissen wir: Es gibt ihn wirklich.

Zusammenleben mit einem Mann möchte Thomas Hitzlsperger gern. Aber natürlich leben Schwule nicht nur zusammen. Manche lieben sich, manche haben Sex. Aber über Sex reden ist schwierig, weil diese Assoziationskette bei „schmutzig“ enden könnte. Siehe „Analsex“.

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