Ausstellung in Hamburg: Kunst im Nadelöhr

Die Kunstwerke von Willard Wigan sind nur per Mikroskop zu betrachten. Sie sind mit Pinseln aus Stubenfliegenrückenhaar bemalt.

Der Schneider von Gloucester. Bild: Willard Wigan/MKG

HAMBURG taz | Das Pop-Monument einer Schere steht auf einem kühnen Bogen seitwärts vom metallenen Sockel. Sichtbar ist das alles allerdings nur unter dem Mikroskop. Denn das Tragewerk ist eine Augenwimper auf einer Stecknadel. Und dass jemand eine derartig kleine, so um die 0,005 Millimeter „große“ Schere herstellen kann, grenzt an ein Wunder: Zu bestaunen ist es derzeit im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe.

Arbeit bei der Müllabfuhr hat die Lehrerin dem Kind aus einfachen Verhältnissen einst prophezeit. Denn Willard Wigan war nicht nur Legastheniker, er war ganz und gar in seine eigene Welt versunken. Damals baute er im Waldversteck den Ameisen ein schöneres Haus mit maßstabsgerechten Tischen und Stühlen.

Sollten die in der Schule ihn ruhig für „ein Nichts“ halten, er hatte im Geheimen in diesem Nichts etwas sehr Wertvolles, was die anderen nicht einmal sehen konnten. Seit der Kindheit auf die verborgenen Mikrowelten fixiert, wurde Willard Wigan mit seinen besonderen Fähigkeiten Künstler mit eigener Galerie in London und Millionär, er wird international anerkannt und bekam zum 50. Geburtstag einen Orden von der Queen.

Klar, dass seine Arbeit im Guinness-Buch der Rekorde steht, und wenig überraschend, dass er keine Kunstkritik kennt: Aber auch jeder ist von der nahezu unmöglich scheinenden Arbeit beeindruckt. Wie mühsam diese ist, können am ehesten vielleicht Mediziner aus dem Bereich der Mikro-Chirurgie einschätzen.

Wigan verwendet feinstes Uhrmacherwerkzeug und baut es so um, dass es noch viel feiner wird. Er schleift staubgroße Sandkörner in Form und findet Haare recht grob – er verwendet sie erst mehrfach gespalten. Und um die Mikrofiguren zu bemalen, nutzt er das Rückenhaar einer Stubenfliege.

Fünf kleine Arbeiten pro Jahr

Aber nicht nur sein Werkzeug ist sehr speziell, um damit überhaupt arbeiten zu können, muss er auch seinen Körper trainieren. Äußerste Ruhe allein langt noch nicht: Für seine von ihm selbst als Quälerei bezeichnete Arbeit muss er in einer Art meditativen Trance seinen Lebensrhythmus verlangsamen. Er baut an den faserfeinen Figuren nur in den etwa 1,5 Sekunden zwischen zwei Herzschlägen und setzt gegebenenfalls seinen Puls wie einen Hammerschlag ein.

Dennoch ist schon die elektrostatische Aufladung der Hände ein echtes Problem und die unvermeidliche Notwendigkeit zu atmen. Gerne erzählt Wigan, wie er aus Versehen schon mal eine fast fertige Figur eingeatmet hat – ausgerechnet Alice im Wunderland hat er so zu einer unfreiwilligen Reise in seinen Körper verholfen.

Die Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe kam angeblich zustande, da die Kinder des Geschäftsführers aus einem Magazin etwas über die kleinen Wunderwerke erfuhren und ihren Vater bedrängten, die Objekte nach Hamburg zu holen. Von solch wunderbarer Wirkung der Medien wurde zumindest bei der Eröffnung berichtet.

Märchenfiguren wie Rotkäppchen oder Comic-Helden wie die drei kleinen Schweinchen und der Wolf, Kamele die gemäß einem Bibelspruch durch ein Nadelöhr gehen oder das Tadsch Mahal auf einer Stecknadel: Kaum mehr als fünf kleine Arbeiten im Jahr kann Willard Wigan herstellen.

Seine irgendwo zwischen luxuriöser Haarspalterei und der Tradition der technischen Wunderkammerstücke zu verortenden Mikroskulpturen kosten inzwischen sechsstellige Beträge und schmücken die Sammlungen der Reichen und Schönen. Aber nicht jeder muss bezahlen: In den Privatgemächern im Buckingham Palace steht als das „kleinste größte Geschenk“, das Elisabeth II. zum Thronjubiläum bekam, die Staatskrone des kleiner gewordenen britischen Empires auf einer Stecknadel.

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