Energie-Volksentscheid in Berlin: Worum gehts eigentlich?

Am Sonntag stimmen die BerlinerInnen darüber ab, wie die Energieversorgung der Stadt künftig gestaltet wird. Die wichtigsten Fragen & Antworten.

621.000 Ja-Stimmen brauchen sie. Bild: dpa

Am Sonntag ist Volksentscheid. Was ist das Problem?

Es geht nicht um ein Problem. Sondern um eine Chance: In vielen Städten laufen die Verträge für den Betrieb der Stromnetze aus, so auch der in Berlin mit Vattenfall. Die Stadt könnte ihr Netz ab 2015 wieder selbst betreiben.

Ist das alles?

Außerdem gründen Kommunen landauf, landab neue Stadtwerke oder kaufen sie von den großen Energiekonzernen zurück. Das wollen auch die Initiatoren des Volksentscheids vom Berliner Energietisch: ein Stromnetz in öffentlicher Hand und ein ökologisches, soziales, demokratisches Stadtwerk.

Das klingt kompliziert. Wen interessiert das überhaupt?

Der Energietisch hat Anfang des Jahres immerhin 227.748 Unterschriften in Berlin für sein Volksbegehren gesammelt und damit den Volksentscheid am Sonntag erzwungen. Wenn es darum geht, die Daseinsvorsorge in öffentliche Hand zu bekommen, interessiert das die BerlinerInnen durchaus. Das weiß auch der rot-schwarze Senat: Er hat den Abstimmungstermin absichtlich nicht auf den Tag der Bundestagswahl gelegt, um die Beteiligung niedriger zu halten.

Warum ist der Senat dagegen?

Ein Grund ist die weitreichende Bürgerbeteiligung, die der Energietisch will: Direkt gewählte Bürger sollen bei Stadtwerk und Netzbetreiber mitbestimmen. Die Regierung fürchtet um ihre Macht. Das gilt auch für Berlins mächtigstes Energieunternehmen: Vattenfall leistete sich eine große Plakatkampagne und schaltete Anzeigen in Zeitungen, die wie redaktionelle Texte aussahen. Derweil erklärt die CDU ganz offen, dass sie Bürgern nicht mehr Einfluss auf die Energieversorgung zukommen lassen will.

Wer ist dafür?

Eigentlich alle, die sich irgendwie politisch links einordnen. Der Energietisch ist ein Bündnis aus 56 Organisationen, darunter Attac, BUND für Umwelt und Naturschutz und Berliner Mieterverein. Ihr Logo unter die Kampagne gesetzt haben außerdem Grüne, Linke, Piraten – und selbst die SPD. Die aber macht inzwischen lieber gemeinsame Sache mit der CDU und will nur ein Mini-Stadtwerk mit Mini-Etat. Daneben werben auch viele linksradikale Gruppen wie FelS für ein Ja – im Grunde also die gesamte inner- und außerparlamentarische Opposition.

Worum geht es beim Netz?

Um Geld und den Erfolg der Energiewende. Mehr als 150 Millionen Euro Gewinn hat Vattenfall mit Berlins Stromnetz 2012 gemacht, im Durchschnitt der vergangenen sechs Jahre knapp 50 Millionen. Künftig soll das Land diese Gewinne erwirtschaften und sie nach dem Willen der Volksentscheid-Initiatoren vor allem in den Umbau der Energieversorgung stecken: Das Netz soll nicht mehr auf große Kraftwerke, sondern auf viele dezentrale Ökostrom-Einspeiser und Speicher für viel Sonnen- und Windkraft ausgelegt sein.

Und die BerlinerInnen können sich das Stromnetz am Sonntag per Volksenscheid zurückholen?

Nein. Wer Berlins Stromnetz ab 2015 übernehmen wird, das kann der Volksentscheid nicht entscheiden. Eine Kommune muss ihr Netz allen interessierten Unternehmen anbieten, auch wenn sie es gern für sich allein hätte – so sehen es die Gesetze vor. Der Senat bewirbt sich zwar schon im laufenden Vergabeverfahren, aber dass er Mitbewerber wie Vattenfall ausstechen wird, daran zweifeln derzeit viele. Denn nicht nur die CDU und Wirtschaftssenatorin Yzer kritisieren immer wieder die eigene Bewerbung des Landes, auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hält nichts davon, Vattenfall abzulösen – das ist ein offenes Geheimnis.

Warum dann mit Ja stimmen?

Mit einem Ja können die Bürger laut und deutlich sagen: Seht bloß zu, dass ihr unser Netz zurückholt!

Wieso braucht Berlin ein Stadtwerk?

Nicht nur, um mehr grünen Strom zu erzeugen und zu verkaufen. Sondern auch, um einen Paradigmenwechsel einzuläuten: Bisher besteht das Geschäft von Energieunternehmen vor allem darin, möglichst viel Energie zu verkaufen. Und wenn ein Kunde seine Rechnung nicht bezahlt, wird ihm über kurz oder lang der Saft abgedreht. Das Stadtwerk, das der Energietisch will, soll möglichst auf solche Stromsperren verzichten und mit den Kunden etwa per Energieberatung gemeinsam nach einer Lösung suchen.

Ein Unternehmen für alle BerlinerInnen also?

Ja. Generell soll das Stadtwerk alle dabei unterstützen, ihre Energiekosten zu senken: durch den Austausch von Stromfressern im Haushalt und bei energetischen Gebäudesanierungen etwa. Es geht vor allem auch um die Senkung des Energieverbrauchs in Berlin.

Wird der Entscheid Erfolg haben?

Schwer zu sagen, das Quorum ist hoch: Mindestens ein Viertel aller Wahlberechtigten müssen auf ihrem Abstimmungszettel Ja ankreuzen – das sind etwa 621.000 BerlinerInnen. Außerdem müssen die Ja- gegenüber den Nein-Stimmen in der Mehrheit sein.

Klingt aussichtslos.

Nein. Ein Indiz für eine hohe Beteiligung ist die große Zahl der in den vergangenen Wochen gestellten Anträge auf Briefwahl: Mit rund 230.000 lag sie über der Zahl derer, die bei den bisherigen Volksentscheiden zu Wasser und Pro Reli tatsächlich per Brief abstimmten. Und schon beim thematisch nicht ganz einfachen, aber erfolgreichen Volksentscheid zur Offenlegung der Wasserverträge im Februar 2011 stimmten insgesamt mehr als 666.000 Menschen mit Ja.

Was passiert nach Sonntag?

Erreicht der Energietisch sein Ziel, dann wird aus seinem Gesetzentwurf ein gültiges Gesetz: Das Stadtwerk nach dem Entwurf des Energietischs kommt. Scheitert der Volksentscheid, liegt alles in den Händen der Regierung.

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