Kommentar „Spiegel“-Redaktion: Unbedingt abwehrbereit

Das „Sturmgeschütz der Demokratie“, das Hamburger Nachrichtenmagazin „Spiegel“, sorgt selbst für Schlagzeilen. Wie konnte das passieren?

Enthüllungen statt Selbstbespiegelungen. Bild: reuters

Der Spiegel ist in diesen turbulenten Tagen selbst für altgediente Mitarbeiter kaum wiederzuerkennen. Das zuletzt etwas eingerostete „Sturmgeschütz der Demokratie“, wie Gründer Rudolf Augstein das Nachrichtenmagazin verpflichtend nannte, hat seinen Kampfgeist wiedergefunden.

Aber anders als von Augstein intendiert, ist es eine interne Schlacht, die im Verlagshaus an der Hamburger Ericusspitze tobt – oder besser: eine semiinterne. Denn Wolfgang Büchner, Spiegel-Chefredakteur ab dem 1. September, der im Zentrum dieses Konfliktes steht, hat sein Büro noch nicht mal bezogen. Und es wird immer unwahrscheinlicher, dass es überhaupt dazu kommen wird.

Die Berufung und das Festhalten an Bild-Vize Nikolaus Blome als Stellvertreter und Leiter des Berliner Hauptstadtbüros hat Büchner schon vor Amtsantritt so weit isoliert, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den neuen Kollegen trotz aller Charmeoffensiven kaum noch möglich erscheint.

Am Montag opponierten die Ressortchefs in nie dagewesener Eintracht gegen die Personalie Blome, am Mittwoch wird die mächtige Mitarbeiter KG höchstwahrscheinlich nachlegen. Selbst die letzten Befürworter für Blome als Spiegel-Vize sind verstummt. Als Hauptstadtbüroleiter jedoch könne der Spiegel von seinem Netzwerk profitieren, glaube einige weiterhin. Klar ist: Fällt Blome, fällt auch Büchner.

In diesem Fall befürchten Beobachter einen „Domino-Effekt“: Auch Geschäftsführer Ove Saffe müsste dann wohl gehen, weil er den Blome-Deal mit Büchner eingefädelt hat. Letzteren fallen zu lassen, wäre eine Möglichkeit, seinen eigenen Kopf zu retten. Ob die Geschäftsführung der Mitarbeiter KG sich halten kann, ist schon jetzt fraglich: Ob sie in die Verhandlungen mit Blome eingeweiht war, worüber widersprüchliche Aussagen kursieren, wird eine zentrale Frage der Veranstaltung am Mittwoch sein.

Dieser Super-GAU würde den durch die Schreckensherrschaft von Georg Mascolo und den unwürdigen Abgang der Doppelspitze mit Mathias Müller von Blumencron ohnehin schon gebeutelten Spiegel noch weiter schwächen. Aus Leserperspektive wäre eine weiter verlängerte Übergangszeit definitiv eine schlechte Nachricht: Ein Blatt, das zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, bleibt immer hinter seinen Möglichkeiten zurück. Umso verständlicher, dass im Spiegel nun Hoffnungen auf Augstein-Tochter Franziska als Vermittlerin gesetzt werden, um diesen Albtraum zu beenden. Bruder Jakob scheidet als Blome-Buddy aus.

Unerklärlich bleibt Medieninsidern, wie Wolfgang Büchner, der immerhin schon dpa saniert hat und den alle, die schon mal mit ihm zu tun hatten, als freundlichen, sympathischen Kollegen beschreiben, sich so deutlich ins Abseits manövrieren konnte. Insbesondere seine mantrahaft vorgetragenen Einlassungen, Blome sei Profi, anpassungsfähig und daher problemlos in der Lage, vom Bild- auf Spiegel-Kurs umzuschwenken, lösten nachhaltiges Befremden aus: Jemand, der Prinzipienlosigkeit zur Tugend erhebt, soll neuer Chef werden!?!

In Kombination mit seinem strategisch mehr als unglücklichen Vorgehen hat sich Büchner damit disqualifiziert. Offenbar mangelt es ihm an dem politischen Bewusstsein, das für den Job unentbehrlich ist. Das „Sturmgeschütz der Demokratie“ soll ja möglichst bald wieder im Sinne Rudolf Augsteins die große Politik in den Fokus nehmen und nicht weiter die hausgemachte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.