Pirat Bernd Schlömer über Shitstorms: „Man braucht ein dickes Fell“

Parteichef Schlömer traf der Shitstorm nach einem Zitat in der „taz.am wochenende“ mit voller Wucht. Offline gehen ist seine Lösung. Und: Dieses Interview hat er autorisiert.

„Ich hatte eine andere Wahrnehmung des Gesprächs“: Bernd Schlömer (links, mit Johannes Ponader). Bild: dpa

taz: Herr Schlömer, in der vergangenen taz.am wochenende druckten wir folgendes Zitat von Ihnen: „ ’Uns fehlen die Kraft und die Motivation für den Wahlkampf‘. Aber das komme bestimmt noch.“ Es folgte ein Shitstorm. Und Sie erwähnten gegenüber anderen Medien, den Satz „so nie gesagt“ zu haben. Was meinen Sie damit?

Bernd Schlömer: Dass ich die Aussage anders in Erinnerung habe. Als wir beide uns trafen, hatte ich auf Ihre Frage, wie es um die Piraten angesichts von prominenten Austritten stehe, ob sie keine Kraft und Motivation mehr habe, geantwortet, dass es vielleicht so wirke, als seien wir ohne Kraft und Motivation. Aber dass sich das bald ändern werde.

Ich erinnere das ganz anders und habe es auch anders mitgeschrieben. Und obwohl Sie gesagt hatten, Sie legten keinen Wert auf Autorisierung, schickte ich Ihnen dennoch eine Mail mit den Zitaten. Bekam aber keine Antwort. Warum haben Sie nicht reagiert, wenn das Zitat Sie nicht richtig wiedergegeben hat?

Weil ich das erste Mal in meiner Amtszeit als Vorsitzender drei Tage offline war. Statt Mails zu lesen, bin ich ab dem 1. Mai von Hamburg nach Berlin geradelt, 388 Kilometer. Man kann und sollte nicht immer online sein. Zudem haben Sie die Mail an einem Feiertag mit 24-Stunden-Fristsetzung geschickt.

Wir gaben Ihren Satz an die Nachrichtenagenturen weiter. In Online- und Printmedien verbreitete sich die Nachricht, so läuft das Geschäft. Und Twitter lief über von Kommentaren wütender Piraten. Dann schalteten Sie Ihren Computer ein.

Ja. Und wurde erschlagen von der Wucht.

Trotzdem plädieren Sie dafür, es mit den Autorisierungen in Zukunft gut sein zu lassen.

Ja, weil wir Politiker aufrichtig und natürlich wirken sollten. Es kann nicht sein, dass manche bei der Autorisierung das Interview quasi neu schreiben. Das erzeugt eine konstruierte Wahrheit. Wir sollten zu unseren Aussagen stehen. Deshalb möchte ich auch einen Appell an alle Politiker und Journalisten richten: Lassen wir die Autorisierungen! Das ist ja international durchaus üblich.

Das Zitat: In der taz.am wochenende (4. Mai) kommt Bernd Schlömer (42), der Vorsitzende der Piratenpartei, mit dem Satz vor: „,Uns fehlen die Kraft und die Motivation für den Wahlkampf.' Aber das komme bestimmt noch.“

Der Mittelfinger: Die Piraten aus Hessen twittern ein Foto, auf dem 13 Piraten ihrem Parteichef den Mittelfinger zeigen. „Unsere Motivation gegenüber deinen Aussagen“, schreibt der Politische Geschäftsführer dazu. „So beginnt eine Treibjagd gegen Menschen“, twittert Schlömer. In der Bild wird der Parteichef auf Seite eins zum „Verlierer des Tages“ gekürt.

Die Antwort: Schlömer twittert, dass das Zitat aus der taz.am wochenende unautorisiert gewesen sei, und „ich hatte diesen Satz nie so gesagt“. Die taz antwortet im Hausblog, dass Schlömer keinen Wert auf die Autorisierung gelegt habe. „Gleichwohl schickten wir ihm seine Zitate per Mail. Und bekamen keine Antwort.“

Was bräuchte es dafür?

Voraussetzung wäre ein gutes Arbeits- und Vertrauensklima, dann kann das funktionieren. Viele Journalisten aber lassen ein paar Sätze autorisieren, verwenden dann nur einen kurzen Satz, der die komplette Aussage komplett verzerren kann. Das geht nicht.

Was in unserem Text nicht der Fall war. Bei der Weiterverbreitung jedoch fiel Ihr relativierender Nachsatz irgendwann weg.

Ja. Nach meiner Bewertung haben Sie zwischen beiden Sätzen mit Absicht einen Punkt gesetzt. Ich habe da Kalkül vermutet, gerade taz und andere Medien berichten ja sehr kritisch über Piraten.

Ich habe einen Punkt gesetzt, weil ich kurze Sätze mag, Herr Schlömer. Und ist es nicht etwas naiv, auf Autorisierungen verzichten zu wollen? Immerhin kamen aus Ihrer Partei schon oft verstörende Aussagen, ein Kollege von Ihnen verglich den Aufstieg der Piratenpartei mit dem der NSDAP. Hätten Sie in unserem Fall nicht auf eine Autorisierung bestehen sollen? Um sicherzugehen?

Naiv war ich nicht, ich hatte ja eine andere Wahrnehmung des Gesprächs. Und ich wollte ja autorisieren. Ich hätte dieses Zitat von mir so nie freigegeben.

Dürfte Ihrer Meinung nach ein Parteichef, rein hypothetisch, sagen, seine Partei sei kraftlos?

Nein, nicht, wenn in der Partei alle ehrenamtlich arbeiten. Das hätte mich als Basispirat auch verletzt. Aber ein Politiker sollte ehrlich sein dürfen. Wir sind alle nicht perfekt, wir machen Fehler und sollten auch Schwächen zeigen.

Aber in der Piratenpartei darf man doch keinen Fehler machen. Sonst wird man geschlachtet.

Also, solange ich Parteivorsitzender bin, darf man Fehler machen.

Und muss sich dann vor dem Shitstorm wegducken?

Nein, man muss Medienkompetenz entwickeln.

Aber das ist doch das Problem. Medienkompetenz haben die Piraten nicht. Obwohl sie sie haben müssten. Dass die CDU versehentlich falsch via Facebook einlädt, wundert nicht. Aber dass die Piraten sich gegenseitig auf Twitter zerfleischen …

Die allermeisten Piraten zeigen Medienkompetenz. Alle, die in Funktionen sind, auf Landes- und Bundesebene, die Abgeordneten, sie alle beweisen, wie es gehen kann. Die wenigen, die es offenbar nicht wissen, sind leider die, die auffallen. Wobei Twitter ja ein selbstreferenzielles Medium ist. Piraten reden über Piraten, sie bleiben weitgehend unter sich. Die einzigen staunenden Zuschauer sind oft Journalisten.

Die dann aber natürlich darüber berichten. Und was nützt der Ruf Einzelner nach Medienkompetenz, wenn der Schwarm alles kaputtmacht? Wird Twitter die Piratenpartei zugrunde richten?

Nein, wir haben über 30.000 Mitglieder. Es gibt einige, die die Diskussion gar nicht mitbekommen haben. Die haben zum Beispiel Wahlkampf in Schleswig-Holstein gemacht oder anderes. Außerdem ist über 99 Prozent der digitalen Kommunikation freundlich. Es gibt aber Ausnahmen. Einige legen Accounts nur an, um ununterbrochen Hasstweets zu senden.

Wenn man am vergangenen Wochenende auf Twitter war, konnte man den blanken Hass gegen Sie verfolgen, der dann in diesem Mittelfinger-Foto seinen Höhepunkt fand.

Ja, man braucht schon ein dickes Fell. Ich bin jetzt niemand, der sich gleich einen Strick nimmt, aber es gibt Menschen, die damit wirklich gar nicht umgehen können.

Was hat das mit Ihnen gemacht?

Es hat mich getroffen. Ich bekam ständig Anrufe, was da los sei, das ganze Wochenende. Das ist natürlich auch schwierig für mein privates Umfeld. Bei einem Shitstorm glaubt man, die ganze digitale Welt hat was gegen dich. Du seist ein Idiot, du machst alles falsch. Man kann es auch zugeben: Das Gefühl, ein Loser zu sein, ist dann auch immer da.

Was tun, wenn man zur Zielscheibe wird?

Erst mal nicht reagieren. Man wird immer persönlich angegriffen. Wenn man darauf reagiert, fühlt sich der Sender noch bestärkt. Also: Don’t feed the troll. Sonst heißt es: Ah, der reagiert, da muss doch was dran sein. Am besten 24 Stunden offline gehen, ein Eis essen, schwimmen gehen und einen schönen Tag mit seinem Hund verbringen.

Herr Schlömer, dürfen wir das Interview jetzt einfach so drucken?

Nein, ich möchte gern noch autorisieren. Es geht nicht ohne, weil andere Politiker es so wollen, sie wollen fehlerfrei wirken. Wenn alle Journalisten und Verlage aber den Schulterschluss wagen, dann werden wir Politiker gezwungen, aufrichtiger zu sein.

Haben Sie Angst, dass Sie wieder auf einen einzigen Satz festgenagelt werden, der sich weiter verbreitet?

Ja. Die Angst hat man immer. Aber ich sehe das sportlich.

Von Freitag bis Sonntag findet in Neumarkt in der Oberpfalz der Bundesparteitag der Piraten statt.

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