Kommentar DFB-Team: Hymnen schießen keine Tore

Was auch immer zu dem kuriosen 4:4 gegen Schweden geführt hat, an der Hymne lag es nicht. Die lautesten Sänger machten die größten Fehler.

Per Mertesacker war nicht der einzige, der beim Singen eine bessere Figur machte als beim Spielen. Bild: imago

Kaum hatte die deutsche Nationalelf im Juni das EM-Halbfinale gegen Italien verloren, wussten einige, woran das gelegen hatte: „Die Stars mit Migrationshintergrund (Ausnahme Klose) bleiben generell stumm. Sie haben den deutschen Pass, aber verweigern die Hymne. Das kann’s nicht sein“, fand die Bild-Zeitung, und Fußballer von gestern (Franz Beckenbauer, Hans-Peter Briegel) forderten im Einklang mit Provinzpolitikern von heute (Volker Bouffier, Uwe Schünemann), sich ein Beispiel an den inbrünstig singenden Italienern zu nehmen.

Dass diese Italiener im Finale von einer Mannschaft zerpflückt wurden, in der niemand mitsingt, weil es nichts zum Mitsingen gibt, die aber das Maß aller Dinge im Weltfußball darstellt, nämlich der spanischen, fiel manchen auf – Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich etwa, der sich gegen eine Hymnenpflicht aussprach –, anderen nicht. Zum Beispiel Peer Steinbrück nicht, der erst kürzlich wieder das Singen forderte.

Die Nationalelf aber ist zum Glück weiter. Sie hat sich unter Theo Zwanziger, Joachim Löw und Jürgen Klinsmann vom Rumpelfußball von einst befreit. Weder sieht sie deutsch aus, noch spielt sie deutsch – jedenfalls nicht im Sinne dessen, wofür der deutsche Fußball jahrzehntelang berühmt und gefürchtet war. Darum haben Löw und andere Verantwortliche des Deutschen Fußball-Bundes eine Hymnenpflicht auch als abwegig zurückgewiesen.

Interessant ist diese Debatte trotzdem, zeigt sie doch, wie es hierzulande um die demokratische Kultur bestellt ist. Staat und Gesellschaft haben ihre völkische Verfasstheit abgelegt.

Aber die Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen; ssobald irgendetwas schief läuft, finden sich noch immer ein paar Knallchargen, die nicht begriffen haben, was eine freiheitlich-republikanische Nation von einer Volksgemeinschaft unterscheidet, in der es eben nicht reicht, dass jeder dieselben Rechte genießt und dieselben Gesetze einhält, sondern in der man Mitsingen und Mitschunkeln muss, um dazuzugehören.

Wer will, soll diese musikalisch öde und historisch nicht ganz koschere Hymne mitsingen. Wer nicht, der lässt es. So oder so: Hymnen schießen keine Tore. Sie verhindern nicht mal welche. Stimmt doch, Herr Badstuber?

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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