Neonazi-Ermittlungen: Polizei misstraute Geheimdienst

Ermittler informierten den Verfassungsschutz vor einem Schlag gegen Neonazis bewusst nicht. Das belegt ein Vermerk des Innenministeriums.

Damit ist vieles gesagt. Bild: dpa

DRESDEN taz | Der Vermerk bestätigt schlimme Befürchtungen: Die Spitzel des Verfassungsschutzes in der rechtsextremen Szene sind mitunter ein Risiko für die Ermittlungen der Polizei. Um eine Maßnahme des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalts 2002 gegen Neonazis des eigentlich längst verbotenen Netzwerk „Blood & Honour“ (B&H) nicht zu gefährden, wurden die Verfassungsschutzbehörden bewusst nicht informiert – um „eine Weitergabe dieser Information an Dritte“ zu unterbinden, wie es in dem jetzt aufgetauchten Vermerk heißt.

Am 25. April 2002 führte das LKA im Auftrag der Staatsanwaltschaft Halle Durchsuchungen bei mehr als 30 Personen aus dem B&H-Netzwerk durch. Die ehemaligen Kader standen im Verdacht, nach dem Verbot des Netzwerkes im Jahr 2000 die Organisation weiter zu führen, Rechtsrockbands zu promoten, CDs zu vertreiben, Konzerte auszurichten und neonazistische Aktionen zu planen.

Aus genau jenem Milieu ist auch das NSU-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe sowie einige ihrer mutmaßlichen Unterstützer gekommen.

Wörtlich heißt es in dem Vermerk des Bundesinnenministeriums, der der taz vorliegt, am 3. Mai 2002, dass bei der Aktion das Bundesamt für Verfassungsschutz „aus ermittlungstaktischen Gründen“ nicht unterrichtet wurde und auch nicht der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalts. Weiter heißt es: „Nach Rücksprache (...) stützen sich die 'ermittlungstaktischen Gründe' vermutlich auf die Befürchtung, die Verfassungsschutzbehörden würden ihre Quellen über bevorstehende Exekutivmaßnahmen informieren.“

Soll heißen: Die vom Staat bezahlten V-Leute in der Szene könnten von der Aktion Wind bekommen und diese möglicherweise gefährden.

Das Papier ist für die sächsische Landtagsabgeordnete der Linken, Kerstin Köditz, „eine Bankrotterklärung für die Geheimdienste“. Es lasse nur den Schluss zu, „dass Polizei und Staatsanwaltschaft zeitweise die Verfassungsschutzbehörden als Sicherheitsrisiko für ihre Maßnahmen gegen Neonazi-Strukturen angesehen haben“.

Dem Leipziger Internetrechercheportal „gamma“ liegen noch weitere Behördendokumente vor, die weitere Merkwürdigkeiten offenbaren. So habe das Bundeskriminalamt nach dem Verbot „trotz mehrfacher Anfragen“ vom Bundesamt für Verfassungsschutz niemals die Namen weiterer früherer Blood&Honour-Mitglieder erhalten. In einem Schreiben, so „gamma“, beschwert sich das BKA darüber - weil so die Strafverfolgung wegen illegaler Nachfolgetätigkeit erschwert worden sei.

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