Kulturell grenzüberschreitend: Die Provinz träumt vom Comeback

Sonderburg will Europas Kulturhauptstadt 2017 werden. Hat sie damit Erfolg, soll auch der Norden Schleswig-Holsteins profitieren. Heute fällt die Entscheidung.

Nicht cool genug trotz Winterschwimmverein? Die Bewerbung als Kulturhauptstadt soll die Sonderburger aus ihrem Trott holen. Bild: Jydske Vestkysten

HAMBURG taz | Auf den ersten Blick ist es eine ziemlich verrückte Idee, über die am heutigen Freitag in Kopenhagen entschieden wird: Die süddänische Kleinstadt Sonderburg will 2017 Kulturhauptstadt Europas werden – gemeinsam mit der ganzen Grenzregion: der deutschen und der dänischen Seite. Im Falle eines Sonderburger Erfolges wären so auch die Stadt Flensburg sowie die Landkreise Nordfriesland und Schleswig-Flensburg Teil der Kulturhauptstadt – so wie es das Ruhrgebiet 2010 zusammen mit Essen war.

Es geht dabei nicht darum, wer die berühmtere Oper, das renommiertere Museum oder das bekanntere Theater hat. Es zählen die Ideen und Konzepte hinter einer Bewerbung und die erwarteten Wirkungen für die Zukunft – nicht das, was schon da ist. Letztlich muss es eine gute, eine europäische Erzählung sein. Und da steht Sonderburg gar nicht schlecht da, auch im Vergleich zum konkurrierenden Aarhus. Dass eine dänische Stadt 2017 Kulturhauptstadt wird, ist gesetzt.

Die eine Erzählung Sonderburgs beginnt mit der Geschichte der Grenzregion: Wie die Feindschaft überwunden wurde, wie über Grenzen hinweg zusammen gearbeitet und mit Minderheiten umgegangen wird. „Die Bewerbung wird getragen von einer Versöhnungsbotschaft“, sagte die Sonderburger Projektleiterin Else Christensen Redzepovic schon zu Beginn des Verfahrens. Da passt es umso besser, dass der Initiator der Bewerbung einer ist, der einst selbst noch in der Schule gehänselt wurde: Stephan Kleinschmidt, einziger Vertreter der deutschen Minderheit im Sonderburger Stadtparlament.

Sonderburg will 2017 Europäische Kulturhauptstadt werden. Konkurrent ist das dänische Århus.

Die Kosten: Laut der Stadt Sonderborg hat die Bewerbung bisher rund 1,7 Millionen Euro gekostet. Etwa die Hälfte tragen die Stadt und die dänische Region, je ein Viertel kommt aus einem EU-Projekt für transnationale Zusammenarbeit und von Sponsoren.

Geld aus Deutschland gibt es, falls Sonderburg den Zuschlag erhält: Vom Land Schleswig-Holstein winken zwei Millionen Euro, eine weitere Million gäbe die Stadt Flensburg.

Die Entscheidung fällt eine Jury aus sieben EU-Vertretern und sechs dänischen Mitgliedern am heutigen Freitag um 16.30 Uhr.

Als Vorsitzender des Kulturausschusses entwickelte er 2008 die Idee. Heute sagt er: „Die friedliche Koexistenz ist der Status quo“. Er wolle noch einen Schritt weitergehen: aus den Gebieten dies- wie jenseits der Grenze eine Kulturregion machen, die Wachstumsimpulse gibt.

Gut in die Erzählung passt auch, wer auf der deutschen Seite das Projekt mit vorantreibt: Simon Faber, Oberbürgermeister von Flensburg, ein Vertreter der dänischen Minderheit. Und dass die die zweite Kulturhauptstadt 2017 im geteilten Zypern liegen wird. Doch es geht in der Sonderburger Bewerbungserzählung nicht nur um noch mehr Versöhnung, sondern auch um eine Vision für die Entwicklung der Region.

So hatte Kleinschmidt nicht nur Kultur im Sinn, als er die Bewerbung vorschlug, sondern auch ganz klassische Kommunal-, ja: Standortpolitik: „Wir haben in der Region eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit.“ Auch die Demographie macht ihm Sorgen: Die Bevölkerung altert, die Jungen, Gebildeten verlassen die Gegend und gehen in größere Städte, pulsierendere Regionen – für immer. Von einer „verlorenen Generation“ sprechen die Sonderburger in ihrer Bewerbung, beschreiben sich als eine „Region in der Rezession“. Es bestehe die Gefahr, eine „selbstzufriedene Gemeinschaft zu werden“, die so handelt, als könne es immer so weiter gehen.

Das Gegenmittel: Die Bewerbung will das Image umdrehen. Nicht mehr als Peripherie soll man wahrgenommen werden, sondern als „ländliche Metropole“: „Das Beste aus Stadt und Land vereinen“, nennt das Kleinschmidt. Quasi großstädtische Kultur soll die Region interessant machen. So gehören zur Bewerbung unter anderem auch Aufkleber mit dem Aufdruck: „Provincial is cool“.

„Das ist eine Vision, die für Flensburg fast noch besser passt als Sonderburg“, sagt Oberbürgermeister Faber. Auch er denkt an seinen Standort, erhofft sich Impulse für den Tourismus und die Kulturszene in der Stadt. „Das ist ein wunderbarer Anlass, Dinge endlich hinzubekommen“, sagt er. Und spricht von der Errichtung eines „Flaggschiff-Hotels“.

Stört es Kulturpolitiker, wenn derart standortpolitisch über den Titel der Kulturhauptstadt gedacht und geredet wird? „Ich habe nichts dagegen, wenn Kunst und Kultur als Wirtschaftsfaktor mit bedacht werden“, sagt die Grünen-Europaabgeordnete Helga Trüpel. Das dürfe nur nicht dazu führen, dass Kultur nicht mehr als Selbstzweck stattfinden könne. Trüpel ist Befürworterin des Konzepts Kulturhauptstadt – auch wenn sie nicht jede Umsetzung in der Vergangenheit gut fand. Der Bewerbungsprozess öffne Horizonte, schaffe europäisches Bewusstsein.

Und wie sehen die Kulturprojekte aussehen, die Sonderburg cool machen sollen? 80 Ideen hat die Kommission auf dem Tisch liegen. So soll ein kleines China Town entstehen: ein Gebäude in Form eines chinesischen Schriftzeichens am Alesund. Auf den Dübbeler Schanzen, Schauplatz des deutsch-dänischen Krieges, soll ein interaktives Gedenkprogramm die Versöhnung zwischen Deutschen und Dänen vorantreiben.

Auch mit der maritimen Tradition in der Region will die Bewerbung arbeiten – mit Shanty-Chor-Festival und einer Ausstellung von Wikingerbooten. Die meisten der 80 Ideen sind in Sonderburg selbst angesiedelt, die Grenzregion kommt in der Bewerbung nur mit Begleitprojekten vor. Aber: „Dieses Programm ist nur für die Kommission“, sagt Flensburgs OB Faber. Im Falle einer Zusage werde das alles neu entwickelt. Mit mehr auch auf der deutschen Seite.

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