Hall of Fame: Pissflecken unter Glas

Die Hall of Fame ist ein zentrales Endlager von Träumen und Karrieren. Axl Rose von Guns N´Roses weigert sich in die Ruhmeshalle aufgenommen zu werden.

Will seine Kleidung nicht neben der von Elvis, Aretha Franklin und Michael Jackson sehen: Axl Rose. Bild: dpa

Downtown Cleveland/Ohio – ausgerechnet hier, direkt am Eriesee, steht die Rock and Roll Hall of Fame. Zwischen Clevelands stillgelegten Fabriken wirkt der Bau wie ein Raumschiff. Seit Jahren versucht die von der Rezession gebeutelte Stadt dem Niedergang mit der Ansiedlung von Biotech-Unternehmen zu entkommen, die Kliniken sind größter Arbeitgeber der Region. Wer es sich leisten kann, lässt sich hier von Herzspezialisten behandeln, die als beste der USA gelten. Von wegen Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll.

Immerhin ist die 91 Millionen Dollar teure Rock and Roll Hall of Fame schon von Weitem zu erkennen: ein Zwitter aus Glaspyramide und stilisiertem Plattenspieler. Der Turm symbolisiert die Spindel, die Brücke ist der Tonabnehmer. Den Bau hat der chinesisch-US-amerikanische Architekt I. M. Pei entworfen, auch Schöpfer der Glaspyramide im Louvre und des Ausstellungsbaus im Deutschen-Historischen Museum in Berlin.

Dass die Rock and Roll Hall of Fame bei einer Wahl der architektonischen Peinlichkeit nach dem Millennium Dome in London den zweiten Platz erhielt, stört Kuratorin Meredith Rutledge nicht im Geringsten. „Wir mögen vor allem die Idee!“, sagt sie. Die Idee heißt, drinnen wird die Geschichte des Rock ’n’ Roll erzählt. Sie beginnt mit den vierziger Jahren und mit Musikern wie Hank Williams, der Johnny Cash und Bob Dylan beeinflusste und 1953 starb. Und mit Lead Belly, dessen Lieder später Creedence Clearwater Revival und noch später Nirvana spielten und der in der Blues Hall of Fame und hier im Rock-and-Roll-Heiligtum aufgenommen wurde.

„Cleveland war in der Rockszene immer ein Begriff“, erzählt Rutledge, sie zählt auf: „David Bowie gab hier sein erstes USA-Konzert. 1952 hat ein weißer Discjockey zum ersten Mal den Ausdruck Rock and Roll für die schwarze Musik in seiner Radioshow reklamiert.“ Alan Freed, der Rock-’n’-Roll-DJ schlechthin, hat damals in Cleveland den ersten Open-Air-Rock veranstaltet.

„Das ist doch ziemlich cool, oder?“

Sechzig Jahre später geht es ins Museumskino. „Mystery Train“ heißt der Kompilationsfilm mit Szenen aus US-amerikanischen Wohnzimmern und Tanzhallen, mit zahllosen aneinandergereihten Songs über das Zugfahren von irgendwo nach nirgendwo. Was das mit Rock ’n’ Roll zu tun hat? Mit Rassendiskriminierung und dem Aufbegehren schwarzer Musik, mit Drogen und rastlosem On-the-Road-Lebensgefühl? Darüber erfährt man wenig.

Viele Besucher würden weder Howlin’ Wolf noch Willie Dixon kennen, sagt Rutledge. Dabei haben die beiden den Rock ’n’ Roll in seinen Anfangsjahren mitgeprägt. Ihre Lieder haben später die Stones, Led Zeppelin und die Doors gespielt. Deshalb präsentiere man Stücke von diesen Musikern, aber auch Artefakte. Etwa den Geldkoffer von Howlin’ Wolf. „Mein Lieblingsausstellungsstück!“, erzählt die 50-jährige Rutledge. Wolf war jemand, der den Banken misstraute. Deshalb wollte er vor jedem Auftritt seine Gage in bar. Das Geld habe er in einen Koffer gepackt und auf die Bühne genommen. „Das ist doch ziemlich cool, oder?“

Alles in der Hall of Fame ist multimedial. Aus allen Ecken tönen Geräusche, Musik- und Videoclips. Und es gibt es eine Menge Kuriositäten und Sammlerstücke zu bestaunen: den schwarzen Mantel von Otis Redding, die Lederjacke von Peter Gabriel, Plattencover der Beach Boys oder die Reisepässe der Beatles. Jimi Hendrix wird in einem größeren Ausstellungsbereich gewürdigt – unter anderem mit seiner berühmten Black-Widow-Akustik-Gitarre oder dem handgeschriebenen Voodoo-Child-Songtext auf liniertem Papier.

Gleich daneben kann man den Umhang aus Stars-and-Stripes- und Union-Jack-Flaggen von Mick Jagger bestaunen oder den Brief des Vaters von Jim Morrison, in dem er am Talent seines Sohnes zweifelt. „Wir beziehen die Ausstellungsstücke aus den verschiedensten Quellen. Wir wenden uns zum Beispiel an die Künstler oder, wenn sie bereits tot sind, an ihre Familien“, erzählt die Kuratorin.

Die Boots von Bowie

Die 1995 eröffnete Rock and Roll Hall of Fame ist auch eine Mix aus Modeatelier und Wäschetruhe für Bühnenoutfit. Überall Kostüme – die Klamotten von Michael Jackson aus „Thriller“ und die Boots von James Brown, den Supremes und David Bowie. Die Musikindustrie kämpft um Marktanteile, die Hall of Fame beschäftigt sich mit der historischen Bedeutung des Rock – mit dem Punkrock in London und in New York, mit Greatful Dead und dem Aufbegehren der 68er Generation gegen den Vietnamkrieg. Musikmetropolen werden vorgestellt: Memphis und der Rockabilly, Detroit und der Motown Sound, Seattle und der Grunge.

Und zwischen den Ausstellungsräumen parkt so manche Luxuskarosse, etwa der Lincoln Continental von Elvis Presley. Elvis hat ihn zusammen mit 13 weiteren Wagen dieses Typs gekauft, einschließlich einer Limousine, die er einer wildfremden jungen Frau geschenkt hat, die zufällig vor dem Schaufenster stand. Elvis hatte sie gesehen und angesprochen: „Hey, ich kauf’ dir einen, wenn du willst!“ Die alten Rock-’n’-Roll Stars waren spendabel wie kleine Kinder – und übermütig. Erst kaufte sich Elvis einen violettfarbenen Luxuswagen, dann ließ er seine Initialen eingravieren, und beim Fahren hörte er seine eigenen Songs im eingebauten Kassettenrecorder.

Jährlich kommen 500.000 Besucher hierher. Gegen den Vorwurf, die Hall of Fame erkläre keine Zusammenhänge, sondern bleibe im Anekdotenhaften stecken, verteidigt sich Kuratorin Rutledge vehement: „Ein solches Konzept rüberzubringen, das ist ungemein schwer. Die Hall of Fame ist ein Ort, den man selbst erkunden muss. Wir wollen bilden und zugleich unterhalten.“ Entertainment auf Amerikanisch – auch inhaltlich. Der europäische Rock and Roll ist eindeutig unterrepräsentiert. Frankreich, Osteuropa, der Balkan – unwichtig. Von afrikanischen Wurzeln, asiatischen oder australischen Spielarten ganz zu schweigen. Aber dafür sind Abba an diesem Wallfahrtsort vertreten. Ist das auch Rock ’n’ Roll? „Unser Schwerpunkt liegt auf Künstlern, die den Rock and Roll revolutioniert haben so wie Elvis Presley, Little Richard, Chuck Berry, also amerikanischen Musikern“, doziert Rutledge. Aber zukünftig werde man verstärkt internationale Künstler berücksichtigen.

Und deutsche Rock ’n’ Roller, die schon in die Hall of Fame aufgenommen wurden? Can? Kraftwerk? Die Neue Deutsche Welle? Die Toten Hosen? Nichts – mit einer Ausnahme. „In unserer Heavy-Metal-Abteilung haben wir einige Ausstellungsstücke der Scorpions“, beruhigt Meredith Rutledge. So etwa eine Gitarre von Rudolf Schenker und den Originaltext von „Wind of Change“.

Die Aufnahme in die Halle des Ruhmes kommt einem Ritterschlag gleich, ist dem Gewinn eines Oscars ähnlich. Die einzige formale Bedingung, die erfüllt werden muss, um aufgenommen zu werden, lautet: Das erste Album muss mindestens ein Vierteljahrhundert alt sein. Tom Waits, Neil Diamond und Alice Cooper gehören bereits zu den Heroen ebenso wie Marvin Gaye, B. B. King und Led Zeppelin. Große Namen, risikolos, manche Oscar-Entscheidung wirkt da gewagter.

Eingang in den Rock-’n’-Roll-Olymp finden auf der Zeremonie 2012 am Samstag unter anderem der inzwischen 65 Jahre alte Liedermacher Donovan, die HipHopper der Beastie Boys, die Red Hot Chili Peppers und Guns N’ Roses. Bei einer Zeremonie werden ihre Autogramme in Glas graviert. Anschließend wird jeder der Künstler mit persönlichen Ausstellungsgegenständen geehrt. „Wenn wir einen Künstler in die Hall of Fame aufnehmen, sagen wir Danke für die Jahre deines Einsatzes. Es ist auch eine Gratulation vonseiten der Musikindustrie“, umschreibt Kuratorin Rutledge ihr Anliegen.

Axl Rose hat keine Lust

So etwas will aber nicht jeder. Rocker Axl Rose, Mitbegründer von Guns N’Roses, hat der Hall of Fame am Mittwoch eine Absage erteilt. In einem Brief, den die Los Angeles Times veröffentlicht hat, kündigte er an, die Feier zu boykottieren. Er sei keinem anderen derzeitigen oder früheren Mitglied der Band böse, wenn es an der Feier am Samstag teilnehmen wolle, er selbst werde an der Ehrung nicht teilnehmen. Rose schreibt: „Weder ich noch irgendjemand aus meiner Umgebung hat irgendeinen Antrag an die Hall of Fame gestellt. Es ist deren Show, nicht meine.“ Die Hall of Fame ficht so etwas nicht an. „Wir werden weiterhin Guns N’Roses aufnehmen – und das schließt ihn mit ein“, verkündete sie.

Axl Rose ist nicht der Erste, der diese Weihe ablehnt. Im Jahr 2006 sollten die Sex Pistols aufgenommen werden. Die Punkrocker um Sänger Johnny Rotten lehnten ab. Ihre Begründung: Neben ihnen sähe „der Rock and Roll mitsamt der beknackten Hall of Fame aus wie ein Pissfleck“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.