SCHAF e. V.

ERZÄHLUNG Die taz veröffentlicht den Text der Gewinnerin des 20. Open Mike in Berlin

■ Die Autorin: geb. 1977, studierte Germanistik und Anglistik/Amerikanistik in Halle, Newcastle und Berlin. In Berlin arbeitete sie als Deutschtrainerin, Performerin, Dramaturgin und Festivalorganisatorin.

■ Die Texte: Juschka schreibt unter anderem „Wunschgeschichten“ auf Bestellung unter www.joeyjuschka.com

VON JOEY JUSCHKA

Hey, Tarzan! Was hast ’n heut gemacht?“ Bulldog kommt auf mich zu.

Bulldog heißt Bulldog, weil er mal so einen Hund hatte, aber nur für eine Weile. Dann war der Hund wieder weg, aber der Name blieb. Bulldog.

„Na“, sag ich und grinse. „Weibern hinterher, was denn sonst.“

„Den ganzen Tag nichts anderes?“, fragt Bulldog.

„Und die halbe Nacht“, bestätige ich.

Bulldog lacht.

„Willste nicht auch?“, frag ich ihn.

Bevor er antworten kann, haut mir K. C. von hinten auf die Schulter und umarmt mich dann. K. C. heißt K.C., weil, wenn man’s deutsch ausspricht und ohne die Punkte, klingt das wie „Katze“. Also, fast jedenfalls. Und so ist er ja auch – leise, schnell, und schnurren tut er auch manchmal. Man muss ihm nur einen Joint reichen.

Nicht dass unsere ganze Truppe aus Tieren besteht oder so; ich heiß ganz normal, Tarzan eben. Und dann gibt’s noch Jarro und als Letztes den Kleinen, der nur selten auftaucht und eh nicht so richtig dazugehört. Deswegen hat er auch noch keinen Namen oder eher: Ich kann mir nie merken, wie er heißt. Irgendwas mit M vorne. Und T hinten.

„Wo ist denn der Kleine?“, frag ich dann aber doch, wenn ich schon an ihn denke.

„Und Jarro?“, fragt Bulldog. „Ist er nicht aufm Amt? Irgendwas mit ’nem 1,50-Euro-Job, hat er nicht so was gesagt?“

„Ach?“, mach ich nur und überleg, ob sie Jarro jetzt auch dahin schicken, wo ich seit zwei Wochen bin. SCHAF e. V. Gar nicht so übel, der Laden. Und Leute brauchen die schon, auf jeden.

„Wann ist er denn fertig da aufm Amt?“ K. C. fragt das. K. C. hat eine tolle Stimme. Wenn er will, kann er über den ganzen Platz brüllen. Oder so leise flüstern, dass man denkt, man träumt. Dann bewegt sich sein Mund, und irgendwie schwingt die Luft, aber hören tut man nichts. Aber verstehen schon. Irre, das. Voll der Trip, der Typ. K.C.

„Ey, weißte“, fängt Bulldog an, obwohl keiner beantwortet hat, wann Jarro denn nun so kommt. Antworten sind irgendwie nicht wichtig. Fragen sind gut.

„Weißte“, redet Bulldog weiter, „ich hab da ’ne Handtasche gefunden. Was meinst ’n dazu?“ Und schon hält er uns die Handtasche hin. Weiß ist sie, so gut wie neu und leer. Drinnen gibt’s nur einen Klecks Lippenstift, so ’n dunkles Rotbraun, ans Futter geschmiert, aber davon ’ne ganze Menge.

„Ist das nicht Blut?“, will Bulldog wissen. „K. C.? Was meinste?“

K. C. meint erst mal gar nichts, und ich zuck auch erst mal zusammen. Blut, ey?

„Wann kommt denn nun Jarro?“, frag ich dann erneut; irgendwie scheint das jetzt wichtig zu sein. Bestimmt haben sie ihn auch zu SCHAF e. V. geschickt. Bestimmt.

„Wie is ’n dein neuer Job so?“, fragt K. C. mich da, als ob er Gedanken lesen könnte.

„Ist cool“, will ich sagen, aber das wär ja ’ne Antwort gewesen.

Wir haben die Regel, dass wir nur in Fragen miteinander sprechen, sobald wir zu dritt sind. Einfach so, manchmal. Klingt vielleicht blöd, so ’ne Regel, Kinderkacke und so. Aber man braucht doch Regeln, sonst hat man nichts zu tun und knallt weg oder so, geht kaputt. Wie Bio, der war auch mal in der Gang. Dann ist er durchgedreht und mit dem Kopf vorm Baum. Immer wieder, bis sie ihn geholt haben. Eines Tages.

Also Regeln. Regeln, die man befolgen kann, wo man drauf achten kann, dass sie eingehalten werden. So ’ne Art Sinn fürs Leben. Das hat dem Bio gefehlt. Mit dem Verband um den Kopf haben wir ihn noch mal gesehen später, aber er hat nicht mehr geredet. Nicht mit uns, nicht mit niemand. Hat sich gewiegt, sogar im Stehen. Arme um den eigenen Körper und hin und her.

Regeln also, eine Regel ist so gut wie jede andere. Fragen also, nur Fragen sind erlaubt.

„Mein neuer Job?“, frag ich also. „Was denkst ’n, wie der ist?“

„Was denkst du, dass ich denke?“, schießt K. C. zurück.

Das wird ja schnell albern, denk ich. „Willste nicht lieber raten?“, sag ich, und K. C. tut’s.

„Machste was mit Tieren?“, fragt er.

„Nee“, sag ich und schüttele den Kopf. Beim Raten ist antworten okay – auch so ’ne Regel. „Nix mit Tieren“, sag ich.

„Noch nicht mal was mit Schafen?“, fragt K. C. trotzdem.

„Nee, überhaupt keine Tiere“, sag ich.

K. C. überlegt kurz. „Was mit alten Omis?“, fragt er dann.

Ich will ja auch nicht erst beschützt werden und dann aber doof angemacht, und das vom selben Typ

Dumm ist er nicht. Das fragt er wegen Verein und so. In ’nem Verein sind doch immer nur alte Leute, die sonst nichts zu tun haben. Aber hier nicht. „Nee“ also.

„Opis?“

Auch nicht.

„Sitzte vorm Computer? Und füllst Formulare aus?“

Nee, nee.

„Ist das überhaupt hier in Kreuzberg?“

Ich nicke erst – das schon. Aber überall sonst in Berlin arbeiten wir eigentlich auch. So-so halt. Ich schüttele den Kopf.

„Arbeiteste allein?“, schaltet sich Bulldog ein. Bulldog mag nicht allein sein, davor hat er Angst.

Ich überlege kurz, schüttele dann den Kopf. Ist nicht ganz ’ne Lüge. Bulldog sieht erleichtert aus. Ich lächele ihn an.

Noch zwei Fragen geb ich ihnen, dann ist vorbei mit Raten, und ich hab gewonnen.

„Kinder?“, fragt K.C.

Nein. In der Regel nicht jedenfalls.

„Frauen?“, fragt Bulldog.

Ich seufze. Mist – bei der letzten Frage. Aber musste ja so kommen. „Ja“, sage ich. „Hab ich dir doch gesagt vorhin: bin den ganzen Tag Frauen hinterher.“

Bulldog lacht und K. C. auch ein bisschen, aber nicht lange. Ich bleib nämlich ernst und kram auch noch ’ne Visitenkarte aus meiner Hosentasche und halt sie ihnen hin. Bulldog und K. C. starren mich an.

Ich muss für die wohl aussehen wie so ’n Missionar in Afrika oder von Scientology oder so, denk ich und lache dann doch.

Bulldog beugt sich vorsichtig vor und liest von der Visitenkarte ab. In die Hand nimmt er sie nicht. „Verein zum Schutz alleinlaufender Frauen“, liest er, zweifelnd. „Was soll ’n das?“

„Schutz alleinlaufender Frauen – Sch A Eff. SCHAF e. V.“, sag ich.

„Nee, nicht wegen dem Namen“, winkt Bulldog ab. „Was machen die denn?“

„Na, laufen Weibern hinterher. Sag ich doch schon die ganze Zeit.“

Bulldog starrt mich an.

Ich will es gut erklären. Irgendwie find ich den wichtig, meinen neuen Job. Ist der erste Job, den ich wichtig finde. Nicht, dass ich schon so viele gehabt hätte, stellt mich ja eh keiner ein sonst. Aber ich denke, Bulldog würden sie auch einstellen, und er würde es mögen. SCHAF e. V. Ich räuspere mich.

„Hier, die Handtasche“, fang ich an und halt sie hoch. Bulldog hatte sie ins Gras gelegt. „Denkste nun, es ist Blut oder nicht?“

Bulldog nickt. Blut.

K. C. ist einen Schritt zurückgetreten und beobachtet uns beide. Vereine. Missionare. Das ist sein Baum, wo er den Kopf gegen haut. Und ich bin ja jetzt wirklich auf einer Mission – Bulldog soll zu SCHAF e. V. kommen. Und K. C. auch. Aber vorerst beachte ich K. C. nicht und wende mich wieder Bulldog zu.

„Blut“, sage ich. „In der Handtasche. Und wer trägt Handtaschen?“

Bulldog runzelt die Stirn.

■ Für diesen Text erhielt Joey Juschka im November 2012 beim Open Mike in Berlin den Publikumspreis. Der Publikumspreis wird durch eine in Zusammenarbeit mit der taz benannte Publikumsjury vergeben. Im Preis enthalten ist dieser Abdruck.

■ Der Open Mike in Berlin ist einer der wichtigsten deutschsprachigen Wettbewerbe für literarische Neuentdeckungen.

„Frauen“, sag ich. „Frauen tragen Handtaschen. Und meinste, das hier wär passiert, das Blut, meine ich, wenn die Frau nicht allein rumgelaufen wär?“

Nicht allein. Das sitzt.

Bulldog hat ’ne Schwester, ’ne kleine, die soll am liebsten immer zu Hause bleiben. Oder zumindest nicht allein rumlaufen, in den Park laufen oder so. Unseren Park. Wir können hier alleine hin, aber wir sind ja auch Jungs. Richtige Männer schon fast.

„Nee, siehste“, sag ich. „Aber SCHAF e. V. schützt alleinlaufende Frauen. Wir.“ Jetzt hab ich’s gesagt: „Wir.“ Aus den Augenwinkeln seh ich K. C. zwischen den Bäumen verschwinden. Zu viel Wir für ihn, zu viel Verein. Der kommt schon wieder.

Und Bulldog ist am nächsten Tag mit dabei. Ich stell ihn der Erna vor. Die ist begeistert. Bulldog ist ja auch ziemlich breit gebaut.

„Der läuft aber nicht gern alleine, weißte“, sag ich zu ihr, als sie ihn einteilen will. „Kann der nicht mit mir laufen, erst mal?“

Erna grummelt. „Da kriegen die Weibsen doch Angst, wenn gleich zweie hinter ihr herlaufen.“

„Na, Angst ist besser als Blut“, sag ich und erzähl von der Handtasche. Erna wird ganz traurig, das wollt ich nicht, aber erst mal darf Bulldog mit mir zu zweit auf Streife.

Ich drück ihm einen Stift und Papier in die Hand. „Wenn eine in irgendein Auto steigt, schreibste die Nummer auf. Selbst wenn’s ein Taxi ist, und selbst wenn der Fahrer schnieke aussieht.“

Bulldog nickt. „Und was machen wir jetzt?“, fragt er dann. So ganz hat er’s noch nicht kapiert, aber wir laufen trotzdem mal los. Der lernt das schon, so kompliziert ist es nun auch nicht.

„Zur U-Bahn“, bestimme ich. Um diese Zeit treiben sich da meist ganz schön viele Spinner herum. Bulldog nickt.

Und richtig: Gleich auf der Treppe zur U-Bahn runter haben wir unseren ersten Einsatz. Da sitzt ein Punk, das ist ja nicht schlimm, aber der hier ist echt aggressiv, das seh ich von hier aus. Das ist so einer, der nur so nebenbei bettelt; eigentlich sitzt er da, weil so schön viele Frauen vorbeilaufen, die er alle doof anmachen kann. Und wenn er von einer ’ne Abfuhr kriegt, also wenn eine sich traut, nicht auf ihn zu reagieren oder zurückzubellen, dann macht er eben bei der nächsten weiter, und das umso schlimmer. Laufen ja genug Frauen vorbei. Eigentlich könnten wir auch den ganzen Tag hier unseren Job tun, auf der Treppe neben dem Punk stehen und die Frauen an ihm vorbeieskortieren.

Ich seh schon die erste Frau zum Beschützen: Direkt vor uns läuft eine Blondine die Treppe runter, so dunkelblond, gewelltes Haar, enges T-Shirt und Stöckelschuhe. Die ist so ein typisches Opfer: Die guckt ganz verletzlich, und auf so was fahren die ab, die Spinner. Ich nenn die einfach Spinner, weil sonst haben die nichts gemeinsam: Das geht querbeet, durch alle Rassen und Altersstufen und durch alle Grade von Blödheit.

Der Punk-Spinner macht sich bereit, die Blondine anzugraben.

Schon pfeift er nach ihr. „Hey, Süße!“, ruft er. „Sü-ße! Sü-ße! Haste nichts für mich übrig, hmm?“

So ein schmieriger Typ, da kommt mir die Galle hoch. „Mach hin“, sag ich zu Bulldog und lauf selbst schon mal schneller. In drei Schritten hab ich aufgeholt, schieb mich zwischen die Frau und den Spinner. Mein Körper ist kräftig, ich heiß nicht umsonst Tarzan. Und dann ist auch Bulldog da mit seinen breiten Schultern. Wir starren den Spinner an, der schaut zurück und hört sofort auf zu pfeifen. Jetzt tut er so, als ob die Blonde ihn gar nicht interessiert. Soll mir recht sein. Ich werf ihm noch einen letzten Blick zu, ganz böse, dann sind wir auch schon an ihm vorbei.

Die Blondine hat gar nichts gemerkt. Für sie sind wir einfach nur zufällig neben ihr aufgetaucht, grad als der Spinner sie echt anmachen wollte. Aber Bulldog und ich, wir pflügen ihr den Weg frei, nach unten auf den Bahnsteig, und dann auch noch gleich den Bahnsteig entlang. Da sind noch mehr Spinner, da unten. Die schauen und starren, aber nachpfeifen tut ihr jetzt keiner mehr. Das trauen die sich nicht, so wie ich die anguck, die Typen. „Das ist meine Schnalle!“, signalisiere ich nach allen Seiten, „Hände weg! Augen weg!“ Und schon wird sie in Ruhe gelassen.

Als die U-Bahn einrollt, schau ich genau hin, in welches Abteil sie reinwill, die Frau. Sieht gut aus: eine Großfamilie, eine Gruppe Touristen. Ein paar einzelne Männer, aber die lesen. Das geht schon. Ich lasse sie einsteigen, allein, lasse sie gehen. Wie immer fühl ich mich ein bisschen traurig. Irgendwie hatten wir ja doch eine Beziehung, die Blondine und ich, ich war ihr Macker, wenn auch nur kurz und auch nur zur Show, und auch wenn sie gar nichts gemerkt hat davon. Aber ich war ihr Typ, und wegen mir haben die Spinner sie in Ruhe gelassen. Tarzan, jawoll.

Ich schau zu Bulldog. Er schaut ihr auch hinterher, wie sie so an uns vorbeirollt im U-Bahn-Waggon. Sie sitzt schon, schminkt sich die Lippen. Rot. Bulldog seufzt.

Und so geht der Tag weiter: Bulldog und ich im Team. Wir nehmen Frauen an unsere Seite oder vielmehr packen uns an sie ran, unauffällig, begleiten sie. Erna hatte schon recht gehabt: Die sollen keine Angst vor uns haben, vor zwei Typen, die ihr plötzlich an der Ferse kleben, eher im Gegenteil. Wir sollen wie Ritter sein, galant und im Hintergrund, immer da bei Gefahr und danach gleich wieder weg. Mir macht das Spaß und Bulldog wohl auch. Er macht seine Sache ganz gut, fast wie automatisch, vielleicht weil er’s schon kennt wegen seiner kleinen Schwester. Kurz vor Feierabend lob ich ihn, aber das kann er nicht ab.

Am nächsten Tag liest uns Erna den Polizeireport vor. Das tut sie manchmal, wohl um uns zu motivieren. Mich macht’s eher traurig. „Opfer eines brutalen Überfalls wurde in der vergangenen Nacht eine Frau in Prenzlauer Berg“, liest Erna da, und ich denke, Mist, wären wir doch mal da langspaziert statt nur immer bei uns im Kiez. Aber hier in Kreuzberg gab’s auch was, und kurz fühl ich mich schuldig, denn am Planufer war ich, nur eben zur falschen Zeit. Wenn ich nur ’ne halbe Stunde später da langgegangen wär ? Ein elfjähriges Mädchen in den Hausflur gezerrt, das trifft auch Bulldog. Ich seh ihn die Zähne zusammenbeißen; seine Kaumuskeln treten hervor. Seine Schwester ist auch grad so alt, glaube ich.

Die Blondine hat gar nichts gemerkt. Für sie sind wir einfach nur zufällig neben ihr aufgetaucht

Als Erna später zu uns kommt und uns fragt, ob wir immer noch zusammen laufen wollen, sagt Bulldog: „Nein“. Dabei wär ich bereit gewesen, dafür zu kämpfen, dass wir das weiter können. Ich weiß, wie schlecht Bulldog allein sein kann. Ich hab ihn schon ein paar Mal von zu Hause abholen müssen, als er es einfach nicht hingekriegt hat loszugehen in den Park, allein. Dabei ist der Park praktisch vor seiner Tür. Ich find ihn tapfer, dass er das jetzt so sagt. Aber wir als zwei Einzelne können eben doppelt so viele Frauen beschützen als wir im Team. Und Mädchen.

„Hey, Bulldog“, sag ich trotzdem später zu ihm. „Wenn du mich vermisst, wa, ruf an. Ich komme sofort.“

„Bin doch nicht schwul, eh“, sagt Bulldog, aber ich kann sehen, dass es ihn freut. Seine Augen leuchten, und dann schluckt er, und dann geht er los, allein.

Ich steh noch kurz vor der Tür rum, und das ist auch gut so, sonst hätt ich Jarro und den Kleinen verpasst. Hunt heißt er, fällt mir ein, als ich ihn sehe, doch kein M vorne, aber zumindest weiß ich jetzt, wie er heißt.

„Hunt“, sag ich gleich probeweise. „Wie geht’s, wie steht’s, wie hängt’s?“

Hunt freut sich, dass ich mich an seinen Namen erinnere, und ich klopf ihm auf die Schulter. Er ist wirklich klein; ich könnte seinen Kopf locker unter meine Achseln stecken oder so.

Jarro grinst mich an. Offenbar mag er Hunt mehr, als ich dachte. Na ja, wem’s gefällt.

„Auch hier, wa?“, sagt Jarro dann. „Frauen beschützen, ausgerechnet wir.“ Und er zeigt erst auf sich und sieht plötzlich ganz schwul aus und dann auf Hunt, und der sieht immer noch einen Kopf zu klein aus, um irgendwem Respekt einzuflößen.

„Tja“, mache ich und weiß plötzlich nichts mehr zu sagen. Das ist dann doch überraschend, das mit Jarro und Hunt. Aber vielleicht ist es auch gar nicht so. Ich schau Jarro noch mal an, und jetzt sieht er aus wie immer: mein Freund mit dem komischen Haarschnitt, eine Locke, die ihm immer ins Gesicht fällt, und eine Jeans, die ich ihm mal irgendwann geschenkt hab. Von der Statur her sind wir wie Zwillinge.

„Muss den Kleinen hier vorstellen“, sagt Jarro. „Und mich eigentlich auch.“ Er holt einen Zettel aus der Hosentasche, in der ich auch immer meinen Kleinkram aufbewahrt hab, als die Hose noch meine war. „Frau Liebermann“, liest er vor. „Kennst du die?“

Ich muss kurz überlegen. „Die Erna“, sag ich dann. „Die ist voll in Ordnung. Ihr kriegt den Job schon.“

Ich geb Küsschen, links, rechts, wie immer, und mach eine Faust und box gegen Jarros, dann gehe ich los.

Hunt und Jarro, denke ich, fehlt nur noch K. C. Also, nicht mit dem Männermögen, das ja nun nicht, aber bei SCHAF e. V. Weiß auch nicht, warum ich von dem Verein so begeistert bin, aber irgendwie bin ich’s. 1,50 Euro die Stunde fürs Rumlaufen; Rumlaufen, was ich sowieso sonst den ganzen Tag tu, was soll ich denn anderes machen? Ich hoffe, Erna mag Jarro, ganz bestimmt tut sie das. Und wie sie heute früh drauf war, nimmt sie auch den schmächtigen Hunt, ohne mit der Wimper zu zucken. Jetzt müssen wir den Vergewaltigern schon dankbar sein, denke ich, sonst gäb’s diesen Job nicht. Den Räubern, Verfolgern, den Anmachern. Ein Hoch auf die Spinner! Ich lach und lauf in den Park, da find ich K. C. bestimmt. Da hängt er doch immer rum.

Aber heute tut er das nicht, und auch die nächsten Tage ist er nicht aufzutreiben. Ich geh bei ihm klingeln, aber nicht mal seine Mutter ist da, die macht doch sonst immer auf.

„Na, Urlaub“, sagt Bulldog, als ich ihn etwas ratlos frage. „Die ganze Familie ist ab in die Heimat.“

Ja, denk ich. Und was machen wir hier? Manchmal denke ich, das mit dem Frauenbeschützen ist ja ganz gut, aber die sollten auch langsam mal Selbstverteidigung lernen.

„Machen sie ja“, erklärt mir Erna, als ich das ansprech, gleich am nächsten Tag. „Aber in der Zwischenzeit?“ In der Zwischenzeit müssen halt wir ran.

Aber man braucht doch Regeln, sonst hat man nichts zu tun und knallt weg oder so, geht kaputt

Okay, das seh ich ein. Ich hab auch Jahre gebraucht, bis ich meine große Schnauze perfektioniert hab, und Muckitraining, das mach ich immer noch, jeden Tag. Vor der Arbeit, nach der Arbeit. Meist allein, ich kann gut allein, aber auch immer mal wieder klingele ich Bulldog raus. „Komm doch“, sag ich dann. „Komm runter, Alter. Gibt’s ein paar nette Mädels im Park.“

Da sagt er nie nein. Nette Mädels beeindrucken ist sein Liebstes. Nur ansprechen tut er sie nicht. Ich ja auch nicht so richtig. Und manchmal denk ich, unser neuer Job ist da auch nicht das Beste, um uns das abzugewöhnen. Da laufen wir ja immer nur hinterher, aber ansprechen? Schützen sollen wir, nur schützen, sonst nichts. Ist ja auch klar. Ich will ja auch nicht erst beschützt werden und dann aber doof angemacht, und das vom selben Typ.

Bloß zugeben tu ich das nicht, dass ich kein Mädel anspreche und keine mich. Was ich dem Bulldog alles erzähle, von wegen was für Nette ich immer kennenlerne auf Streife. „Ja“, sag ich, „Stell dir vor: dreht sie sich rum auf einmal und sagt: ‚Willste was von mir? Meine Telefonnummer?‘ Und ich sag: ‚Klar!‘ Ganz cool.“

Bulldog runzelt die Stirn. Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu doll auftrage. Aber einer geht noch.

„Na und dann grad eben, glaubste nicht“, red ich weiter, „hält mich eine an, hier am Park, am Eingang da vorne, und meint: ‚Ich seh dich immer so auf den Straßen rumlaufen. Jeden Tag‘, sagt die. ‚Wollen wir nicht mal zusammen?‘, sagt die.“

Bulldog runzelt noch immer die Stirn.

„Echt, hat die gesagt“, bekräftige ich. „War aber nicht mein Typ.“

Bulldog holt tief Luft.

Scheiße, gleich kommt’s, denk ich. Gleich sagt er mir: „Zeig mir mal die Telefonnummer“ oder so.

Aber Bulldog sagt das nicht. Er fragt was, ein bisschen schüchtern, scheint mir. „Wie machst ’n das nur“, will er wissen, „mit den Mädels?“

Ich überlege, ganz ernsthaft. „Na“, sag ich dann, „kann ja auch nichts dafür, dass ich wie ’n Playboy ausseh.“ Ich lache.

Bulldog lacht auch, und ich hau ihm auf die Schulter, so mögen wir das. Rotzig sind wir und großkotzig auch, und aufschneiden tun wir, was das Zeug hält, und manchmal auch mehr. Und als endlich K. C. wieder da ist, wird’s nur noch schlimmer. Wir schleppen ihn mit, ganz freiwillig kommt er ja nun nicht das erste Mal, von wegen Missionieren und so, aber dann leckt er doch Blut. So viele Mädels, den ganzen Tag, und im Beschützen, da ist er ganz groß, der K.C.

Und so ist es nun, wir ziehen um den Block, Bulldog und ich und K. C. und der Kleine, Hunt, verdammt noch mal, so heißt er, und Jarro, mal zusammen, mal jeder für sich allein. Wir treiben uns rum, überall, wo sich sonst keiner hintraut. Haben wir früher auch schon gemacht. Nur eins ist jetzt anders: Jetzt schützen wir Frauen, wir beschützen die Welt. Echt ’n tolles Gefühl. Und das alles durch SCHAF e. V. So was kann ein Verein, und früher dachten wir, so ’n Verein ist nur was für Omis und Opis. Nee, du, denk noch mal nach.