Ex-Staatsschützer über "Gefährderdatei": "Es existiert kein Rechtsschutz"

Die Innenminister beschlossen Ende Mai in Hamburg, den europaweiten Austausch von Daten "linksextremer Gefährder" zu prüfen. Verfassungswidrig, meint ein Ex-Staatsschützer.

Im Visier: Ohne Rechtsgrundlage kann die Polizei Menschen als "Gefährder" einstufen. Bild: dpa

taz: Herr von Denkowski, "linksextremistische Gefährder" - was ist an diesem Begriff anders als an der Staatsschutzdatei "Links", die die Polizei bundesweit seit Jahren nutzt?

Charles von Denkowski: Nach den Anschlägen auf das World Trade Center fand beim Staatsschutz bundesweit ein Paradigmenwechsel statt. Eine neue Kriminalstrategie gestattete präventive Ermittlungen unterhalb der Stufe konkreter Gefahren, auch gegen strafprozessual Unverdächtige. Auf Islamismus spezialisierte Staatsschutzdienststellen betreiben zur Früherkennung von Djihad-Zellen auf Polizeirecht gestützt eine nachrichtendiensttypische "Intelligence-Arbeit". Als deren Grundlage schuf die Arbeitsgruppe (AG) "Kripo" des Bundesinnenministeriums, in der BKA- und LKA-Präsidenten sitzen, 2004 den Begriff "politisch motivierter Gefährder".

Was muss man getan haben, um dazu zu zählen?

Nichts. Auf Basis des Begriffs durchleuchtet man Personen und deren Umfeld ohne strafprozessualen Anfangs- oder konkreten Gefahrenverdacht: Begangene Delikte, Umfeldkontakte und Gesinnung sowie sonstige - oft nachrichtendienstliche - Erkenntnisse reichen aus. Das betraf einige Jahre nur Djihadisten. Nun stuft der Staatsschutz laut Innenministerkonferenz auch Linksextreme als "Gefährder" ein, deren Daten man austauschen will, um effektiver in Strukturen einzudringen.

Was bedeutet das konkret?

Dass eine bisher auf Islamismus ausgerichtete Vorfeldstrategie nun auf Teile der "linken Szene" ausgeweitet wird. Dabei werden auch mögliche Radikalisierungen, die in die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes fallen, erfasst. Dadurch nähert sich der Staatsschutz dem Verfassungsschutz an. Denn für Einstufungen als "Gefährder" kommt es neben typischen Straftaten auch auf die Gesinnung und politische Aktivitäten der Zielpersonen an.

38, war von 2001 bis 2004 Staatsschützer bei der Hamburger Polizei im Bereich Rechtsextremismus, heute ist er Master-Studierender der Polizeiwissenschaft an der Universität Bochum und Mitglied des Netzwerks Terrorismusforschung.

Was für Personen sind "Gefährder"?

"Gefährder" sind keine Störer, also weder Menschen, die für eine Gefahr verantwortlich, noch einer Straftat verdächtig sind. Polizeirechtlich sind sie "Nicht-Störer", die zur Abwehr von Gefahren keinesfalls überwacht werden dürfen. Doch ihnen prognostiziert die Polizei, sie könnten zukünftig politisch motivierte Straftaten begehen und sich vom "Gefährder" zum Störer beziehungsweise zum Täter wandeln. Daraufhin stuft man sie ein.

Wer kontrolliert die Einstufung und Überwachung von so genannten "Gefährdern"?

Das tut kein Richter, sondern nur Polizeichefs. Im Gegensatz zum Verfassungsschutz, der ja parlamentarischer Kontrolle unterliegt, stuft die Polizei "Gefährder" ohne Aufsicht ein. Es existiert weder Rechtsschutz dagegen, noch richterliche oder parlamentarische Kontrolle. Die Polizei betreibt ohne Aufsicht Strafverfolgungsvorsorge, sie sammelt und verknüpft ohne Tatverdacht Daten. Das geschieht in allen Bundesländern, auch in denen, wo die Linkspartei mitregiert.

Was sind Ihre Bedenken?

Wer unsere Verfassung schützen will, kann die auf den Gefährderbegriff gestützte Vorfeldstrategie nicht akzeptieren. Es existieren keine gesetzlichen Befugnisse für den Begriff des "Gefährders" und heimliche Einstufungen. "Gefährder" können effektiven Rechtsschutz nicht erlangen. Diese insgesamt von parlamentarischer Aufsicht und rechtsstaatlichen Sicherungen zugunsten der Exekutive entkoppelte Kriminalstrategie halte ich für verfassungswidrig. Gefährlich an ihr ist: Sie ist ausbaufähig. Man schuf weitere "Gefährderkategorien", nämlich die "linksextremer Gefährder" und prüft den Austausch von deren Daten.

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