Der Hybrid Michael Jackson: Beängstigende Männerwelt

Michael Jackson setzte sich über natürliche und gesellschaftliche Grenzen weg. Nach seinem Tod wird es neue Versuche der Vereinnahmung geben, die seine selbstgewählte Künstlichkeit ignorieren.

"Es ist egal, ob du schwarz bist oder weiß", singt Jackson 1991. Viele sehen das anders. Bild: dpa

In viele Nachrufe mischt sich Erleichterung. Endlich sind wir den Extremisten der Massenkultur los. Den Exzentriker, der trotz seiner Macken von Kindern jeden Alters geliebt wird. Endlich sind wir die Zumutung des Hybriden los, müssen nicht mehr seine Polyvalenzen ertragen, das ohne plausiblen Begründungsüberbau performte Surfen und Morphen zwischen den Polen von Geschlecht, Alter und Rasse. "Nach dem Tod ist Jackson plötzlich wieder schwarz", titelt leicht indigniert der Zürcher Tagesanzeiger. Jetzt wollen "die Schwarzen" ihn wiederhaben, dabei hatten sie ihm doch vorgeworfen, "seine Wurzeln zu verleugnen".

Auch weißen Linken war Michael Jackson nicht schwarz genug. Dass ein Schwarzer seine Haut zu Markte trägt, ist ja schon schlimm, aber dass ein Schwarzer seine Haut bleicht und auf den weißen Markt trägt, das ist vielen negrophilen Antirassisten ein Dorn im Auge.

Die sehen im globalen Superstar weniger Peter Pan als Onkel Tom. Der verleugnet seine "Wurzeln", dem fehlt der "authentische" Stallgeruch, der predigt hedonistische Verausgabung und Weltheilungskitsch anstatt die Diskriminierung seiner Leute vollinhaltlich anzugreifen. Diese Kritik bedient rassistische Stereotype vom unverbildeten, sexuell potenten Neger und begegnet Obamas Postulat einer postrassistischen Gesellschaft ratlos. "Es ist egal, ob du schwarz bist oder weiß", singt Jackson 1991 in "Black or White". Da hat er längst angefangen von Black nach White zu morphen.

Zunächst werden die Veränderungen ohne Argwohn quittiert. Schließlich gehört das Verschlanken von Nasen, der pharmazeutisch gestützte Aufbau von Muskeln und das Bleichen der Haut zur alltäglichen Aussehensarbeit vieler Afroamerikaner. Und die Haare! "Bei der Menge von Schwarzen, die sich die Haare entkrausen lassen, ist es ein Wunder, dass wir statt für Martin Luther King nicht einen Nationalfeiertag für Madame C. J. Walker haben, die Erfinderin der Entkrausungsmethode", meint der schwarze Literaturwissenschaftler Henry Louis Gates.

Wann aber schlägt die Arbeit am Aussehen um ins Anormale? Schon bei Pamela Anderson oder erst bei Lolo Ferrari? Von Ferrari, die an ihren Markenzeichen starb, ist ein Satz überliefert, den auch Jackson gesagt haben könnte: "Ich hasse die Realität, ich möchte ganz und gar künstlich sein."

Die Realität: Getrieben vom despotischen Vater wird Michael zum Kinderpopstar. Er singt Liebeslieder. "I want you back", die erste Nummer 1, da ist er elf. Sexuelle Aufklärung erlebt er auf Tour, die älteren Brüder mit Groupies, angeblich auch Vater Joe. Die Aussicht, ein Mitglied der Männerwelt zu werden, mit seinem Körper und seiner Stimme dieselben Dinge zu tun wie seine älteren Brüder, ist beängstigend. Schon früh kämpft Michael dagegen an, so ein schwarzer Mann zu werden. Seine Weigerung, den Stimmbruch als Eintritt in einen neuen Aggregatzustand des Körpers zu akzeptieren, trägt zum universalen Appeal seiner Musik bei. Die übergeschlechtliche Stimme bietet sich Kindern zur Identifikation an.

Künstlerisch korrespondiert Jacksons Weigerung, ein Mann zu werden, mit seiner Unfähigkeit, das seit den frühen Neunzigern dominante Pop-Zeichensystem HipHop in seine Musik zu integrieren. Noch so ein Dilemma, das er mit seinem ewigen Antipoden Prince teilt. Beide waren Repräsentanten einer androgynen Pop-Ära, in der, so das Versprechen, auch die Hautfarbe kein Problem sein sollte. Als diese Versprechen nicht eingehalten werden, setzt eine massive Remaskulinisierung ein. HipHop wird der Soundtrack zum alltäglichen Überlebenskampf, der muskulös aufgerüstete Ego-Fighter zum Rollenmodell. Gegen den Körperpanzer von Rappern wie 50 Cent ist der entblößte Oberkörper von Prince eine Hühnerbrust. Und Michael Jackson schrumpft sich zu Tode. Dass jetzt HipHop-Granden wie Sean "P. Diddy" Combs und Def-Jam-Gründer Russell Simmons besonders laut "Er war einer von uns" rufen, ist eine weitere Ironie der Geschichte.

Michael Jackson hat auf seine Art versucht, die Grenzen der Natur, aber auch die Barrieren seiner Gesellschaft zu überschreiten. Dass er daran gescheitert ist, das feiern Konservative als Triumph der gottgegebenen Ordnung.

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