Historische Berlin-Krimis: "Eins ist klar: Er wird nie Nazi werden"

Der Krimiautor Volker Kutscher schickt seinen Kommissar Gereon Rath in das Berlin gegen Ende der Weimarer Republik. Die eigentliche Hauptrolle der Krimireihe aber spielt die Hauptstadt im Übergang zur Nazidiktatur.

Berlin im Jahr 1930: Haupteingang des Flughafens Tempelhof Bild: AP

"Der stumme Tod" ist gerade als zweiter Band der Gereon-Rath-Krimis erschienen. In der Reihe schickt der Rheinländer Volker Kutscher (47) den aus Köln stammenden Kommissar in das Berlin am Ende der Weimarer Republik. Der erste Teil, "Der nasse Fisch", spielt 1929. Darin stößt Rath bei Ermittlungen zu mehreren Morden auf russische Waffenhändler. Im Mittelpunkt des zweiten Bands steht die Berliner Kinobranche an der Schwelle vom Stumm- zum Tonfilm.

Kutscher arbeitet bereits an einem dritten Band. Er will seine Protagonisten beim Wechsel in die Nazizeit begleiten. Die Romane bieten nicht nur eine Zeitreise in eine politisch spannende Ära. Auch die Aufgabe, das detailliert geschilderte damalige Berlin mit dem heutigen Stadtbild in Einklang zu bringen, hat seinen Reiz. Das von den Beamten "Burg" genannte Polizeipräsidium am Alexanderplatz lag übrigens auf dem Gelände der heutigen Alexa.

taz: Herr Kutscher, wie kommt man als Kölner dazu, ausgerechnet Berlin-Krimis zu schreiben?

Volker Kutscher: Ich mag Berlin ganz einfach. Seit den frühen 80er-Jahren bin ich regelmäßig in der Stadt. Der zweite Grund: Ich habe Kriminalgeschichten vermisst, die im Berlin der 20er-, 30er-Jahre angesiedelt sind.

Warum?

Weil diese Zeit in Berlin eine sehr spannende ist. Eine Zeit, die mich schon in den Kinderbüchern von Erich Kästner fasziniert hat. Außerdem mag ich amerikanische Gangsterkrimis aus dieser Epoche. Diese Noir-Geschichten aus San Francisco oder Chicago nach Berlin zu verfrachten, das erschien mir sehr naheliegend. Ich hätte so etwas jedenfalls gerne gelesen. Aber ich bin damals nur auf Philip Kerr gestoßen; dessen Geschichten spielen 1936, 1938 in der Nazizeit. Ich finde jedoch das Ende der Weimarer Republik viel spannender.

Was ist da so spannend für einen Krimiautor?

Die grundsätzliche Frage, die sich viele Leute stellen: Wie war es möglich, dass sich eine Republik mit vielen modernen Ansätzen in diese Diktatur verwandelte? Und diese Entwicklung will ich aus der - oft sehr naiven - Perspektive eines Zeitgenossen zeigen.

Ihr erster Berlin-Roman, "Der nasse Fisch", spielt 1929. Der Kölner Kommissar Gereon Rath wird in ein wildes Berlin versetzt. Er geht in Bordelle, Drogenkneipen, er begegnet russischen Exilanten und Waffenhändlern. Daneben treffen Kommunisten auf Nationalsozialisten, am 1. Mai 1929, dem Blutmai, gibt es zahlreiche Tote. Die Geschichte scheint sehr nah am politischen Geschehen.

Das ist auch so beabsichtigt …

aber Ihr gerade erschienener zweiter Band, "Der stumme Tod", spielt 1930 fast ausschließlich in der Berliner Filmindustrie. Das unweigerliche Zulaufen auf das Dritte Reich tritt weit in den Hintergrund. Warum?

Ich möchte möglichst verschiedene Milieus ausleuchten, auch solche, in denen Politik keine Rolle spielt. Und dann haben die Leute damals eben auch nicht nur an Politik gedacht. Niemand wusste, dass es auf das Dritte Reich hinausläuft.

Ihr Hauptprotagonist bekommt den Auftrag, die Beerdigung von Horst Wessel zu beobachten, den die Nazis zum Märtyrer hochstilisieren …

… aber er drückt sich davor, weil er sich von politischen Querelen lieber fernhält.

Schon Ihre früheren Krimis hatten Lokalkolorit. Aber sie spielten in Ihrer Heimat, dem Bergischen Land bei Köln. Da kennen Sie sich aus. Woher kennen Sie das Berlin Ende der 20er-Jahre?

Es gibt viele Ecken, an denen man die Vergangenheit noch sehen kann. Ansonsten lese ich viel, lese Bücher, alte Zeitungen, sichte alte Fotos und Filme. Etwa "Menschen am Sonntag". Oder "Emil und die Detektive", der viel draußen in der Stadt gedreht wurde. So bekomme ich viele Anregungen. Zum Beispiel habe ich ein wunderschönes Bild von dem Ende der 20er-Jahre zugeschütteten Luisenstädtischen Kanal in Kreuzberg gefunden. Da hab ich mir gedacht, da könnte mein Kommissar doch wohnen, am Luisenufer …

dem heutige Segitzdamm. Auch der Reichskanzlerplatz spielt ein Rolle, die Belle-Alliance-Straße taucht auf. Sie verwenden konsequent Namen, die man heute auf dem Stadtplan nicht mehr findet.

Viele Straßen haben eben heute einen anderen Namen, schon wegen der bewegten Geschichte der Stadt. Der Reichskanzlerplatz hieß zum Beispiel später auch mal Adolf-Hitler-Platz. Und heute ist es der Theodor-Heuss-Platz.

Haben Sie einen historischen Stadtplan?

In meinem Arbeitszimmer hängt tatsächlich ein alter Pharus-Plan an der Wand. Aber wenn ich die Schauplätze meiner Geschichte kenne, dann fahre ich immer auch hin und guck mir die heutige Situation an - mit den alten Bildern im Hinterkopf. Im ersten Roman tauchen eine Menge Orte auf, an denen Freunde von mir wohnen oder wohnten.

Ihre Detailkenntnis überrascht selbst gestandene Berliner. Etwa dass man einst eine Mark Maut für die Fahrt auf der Avus zahlen musste.

Ich lese alte Zeitungen, etwa die Vossische, da findet man solche Details. Etwa die kurze Notiz, dass im März 1930 der millionste Besucher des Funkturms gezählt wurde. Das war natürlich nicht Gereon Rath, wie jetzt im Roman, aber ich dachte, das passt.

Und woher haben Sie die Kenntnisse über den damaligen Polizeialltag?

Vor allem aus Büchern. Und dann war ich in Tempelhof in der polizeihistorischen Sammlung. Die haben Waffen, Telefone, Schreibmaschinen aus der Zeit und viele andere anschauliche Dinge.

Würde ein Historiker ihr Berlinbild als korrekt bezeichnen?

Ich hoffe doch - wobei ich glaube, dass nicht alle Historiker einen einheitlichen Blick auf die Vergangenheit haben. Mir ist es wichtig, die modernen Seiten der damaligen Zeit zu unterstreichen. Deshalb fahren meine Figuren nicht mit der Pferdedroschke, sondern mit dem Taxi. Und sie telefonieren viel: Berlin hatte damals die größte Telefondichte der Welt. Schon damals haben die Berliner sehr nach Amerika geschaut. In dem Film "M - eine Stadt sucht einen Mörder" von Fritz Lang steht in einem Süßwarengeschäft Micky Maus als Werbefigur. Der Film ist 1931 gedreht.

Es gibt auch eine überraschend offene Sexualmoral in Ihren Romanen.

Die es damals auch schon gab. Zwar war die Gesellschaft noch nicht so offen wie heute, aber es gab jede Menge moderne Ansätze. Die offene Sexualmoral etwa oder die Emanzipation der Frauen, Dinge, die durch das Dritte Reich abgewürgt wurden und sich in Deutschland dann erst wieder in den 60er-Jahren entfalteten. Allerdings darf die Moderne des damaligen Berlin nicht über die anderen Seiten hinwegtäuschen; es gab auch die, die sich nach dem Kaiser sehnten, und die, die den Faschismus wollten.

Dennoch kommen antisemitistische Ressentiments in Ihren Büchern nur am Rande vor.

Antisemitismus war damals salonfähig, aber nicht ständig präsent. Im Mittelpunkt steht das Thema im dritten Band, an dem ich gerade arbeite. Ich will nicht die ganze Geschichte verraten, aber da besucht ein amerikanischer Gangster Berlin - ein jüdischer Gangster aus Brooklyn, den besser kein SA-Mann anpöbeln sollte.

Wie wird sich Rath nach 1933 verhalten?

Eines ist klar: Er wird nie Nazi werden. Weil er von Politik überhaupt nichts hält, von keiner Partei. Er wird die Nazis als Vorgesetzte genauso verachten, wie er einen sozialdemokratischen Polizeipräsidenten verachtet, weil er denkt, der sitzt nur wegen seines Parteibuchs da und nicht wegen seines Fachwissens. Weiter denkt Rath nicht und wurschtelt sich durch. Ganz bewusst ist er kein strahlender Held; er macht eine Menge Mist. Ich hoffe, dass die Leser ihn dennoch mögen.

Immerhin hat er einen sehr sympathischen Vornamen.

Ich war auf der Suche nach einem typisch rheinischen Namen. Gereon war der, der am besten zu der Figur passte, die ich im Kopf hatte.

Es ist wenig realistisch, dass Rath nicht ständig nach der Bedeutung seines Vornamens gefragt wird.

Er wird ja gefragt, von Charly, seiner späteren Freundin, und erklärt ihr, das sei ein alter Kölner Heiliger. Ich habe selbst lange in der Nähe von St. Gereon in Köln gewohnt.

Sie haben offenbar eine klare Vorstellung, wie es weitergeht mit Ihrem Kommissar. Wie weit soll seine Reise in die Nazizeit noch gehen?

Bislang plane ich bis 1936; die Olympischen Spiele möchte ich mitnehmen, weil die als Kulisse für mich verlockend sind. Und Rath muss auch im Naziapparat arbeiten, um zu begreifen, dass er sich mit seiner angeblich unpolitischen Haltung eins in die Tasche lügt.

Wird Rath mit seiner Immer-wieder-mal-Freundin Charly glücklich?

Natürlich nicht! Wenigstens nicht auf die Dauer.

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