Pirate Bay und die Musikindustrie: Sind Filesharer Diebe oder Kunden?

Verliert die Musikindustrie Geld durch die File-Sharer? Oder geben diese ihr Geld weiter an die Künstler, nur für Konzerte statt CDs? Im "Pirate Bay"-Prozess hatten die Gutachter das Wort.

Kaufen keine Platten, dafür überteuerte Konzertkarten: Fans im Zeitalter von Tauschbörsen. Bild: dpa

STOCKHOLM taz Die Frage, welche möglichen Verluste ein BitTorrent-Tracker wie "Pirate Bay" der Musik- und Filmbranche beibringt, stand im Zentrum der zweiten Prozesswoche gegen die vier angeklagten Macher dieser Webbseite in Stockholm.

Dabei machte es sich John Kennedy, Vorsitzender der "International Federation of the Phonographic Industry" (IFPI) am einfachsten. Jeder illegale Download eines Musikstücks sei ein potentielles Geschäft gewesen, das der Branche damit verloren gegangen sei: "Hätten sie es nicht gratis bekommen, hätten sie es sich gekauft", sagte er.

Seit 2001 habe sich der Verkauf von Tonträgern fast halbiert. Rechne man die Verkäufe über legale Download-Dienste heraus, müsse illegales Filesharing in vollem Umfang für diesen Rückgang verantwortlich gemacht werden. Dies bedrohe die Existenz nicht nur der Branche, sondern auch der Künstler. Um mit dem Piraten-Problem fertig zu werden, gebe man jährlich etwa 100 Millionen Euro aus.

Auch Ludwig Werner, Vorsitzender der schwedischen IFPI-Sektion sprach von einer "nahezu exakt linearen Entwicklung" zwischen illegalem Filesharing und sinkenden Verkaufszahlen für CDs. Er wollte allerdings nur 75 bis 80 Prozent des Verlusts auf Filesharing schieben. Woher der Rest stamme, wisse er auch nicht.

Das Problem beider IFPI-Vertreter: Als Unterstützung für ihre Thesen konnten sie sich nur auf von der Musikbranche selbst in Auftrag gegebene Studien stützen. Darauf, warum diese in ihrem Ergebnis so auffallend vom Resultat von Studien abweichen, welche im öffentlichen Auftrag von Universitäten und anderen Forschungsinstituten vorgenommen worden sind, blieben sie eine überzeugende Antwort schuldig.

Diese anderen Studien seien entweder "veraltet" oder hätten einen "falschen Ansatz", lautete ihr Einwand. Oder, dass der von ihnen behauptete Zusammenhang "doch logisch" sei.

Die Experten der Verteidigung widersprachen den IFPI-Vertretern gründlich. Die Musikbranche schneidet sich ins eigene Fleisch, wenn sie versucht, Filesharing über Internet zu erschweren oder zu kriminalisieren, meint Kjell Erik Eriksson. Er ist Forscher an der Königlich-Technischen Hochschule (KTH) in Stockholm und hat eine EU-finanzierte Studie zur Frage des Einflusses der technischen Entwicklung auf die Einkünfte der Musikbranche geleitet - mit dem Ergebnis, dass Filesharing das Musikinteresse der Internet-User insgesamt steigert.

Konzertkarten statt CDs

Selbst wenn sie weniger CDs kaufen sollten, gingen sie beispielsweise mehr auf Konzerte: Der Kuchen für die Musikbranche verteile sich nun lediglich anders. Er sei insgesamt jedenfalls als Folge von Filesharing nicht kleiner geworden.

Eine Studie der Harvard-Business-School geht zwar nicht so weit, findet aber auch keinen Beleg dafür, dass Filesharing für den rückgängigen Tonträgerverkauf der Musikindustrie verantwortlich gemacht werden könne. Und ein Forscher der Universität Uppsala hat herausgefunden, dass sich das Kaufverhalten der meisten Nutzer von Filesharing-Diensten nicht vermindert habe.

Die Vertreter der Filmbranche hatten es noch etwas schwerer. Sie konnten nämlich gar nicht mit generell sinkenden Verkaufszahlen als angebliche Folge von Filesharing argumentieren. Zwar geht die Zahl von Kinobesuchern weltweit zurück, dafür steigen aber die Einnahmen an.

Tatsächlich gibt es gerade unter Jugendlichen ein sinkendes Interesse an Kinobesuchen. Doch die meisten Studien führen das auf ein insgesamt geändertes Freizeitverhalten zurück - speziell diese Altersgruppe verwende einen grösseren Anteil ihrer Freizeit für Computerspiele wie "World of Warcraft".

Früher versuchte man, Radio zu unterbinden

Roger Wallis, Medienprofessor an der Stockholmer KTH und selbst Komponist stellt das Bild, das Musik- und Filmbranche zur Filesharing-Problematik vermitteln, grundsätzlich in Frage. Die Musik-Branche habe zwei Drittel ihrer Einkommensverluste beim CD-Verkauf durch gestiegene Einnahmen bei Live-Konzerten wieder ausgeglichen: "Und hier sind es vor allem die Künstler selbst, die davon profitieren."

Ohne Filesharing wäre die Branche schon kollabiert, meint Wallis: "Diejenigen, die jetzt noch CDs kaufen sind, die aktivsten Filesharer - und bei Filmen sind es die eifrigsten Kinogänger." Außerdem zieht er eine Parallele zu einer ähnlichen Attacke der Musikverlage vor 90 Jahren, mit der sie gescheitert sei - zu ihrem eigenen Besten, wie sich später herausstellte: "Damals versuchte man die Ausstrahlung von Musik im Radio zu verbieten."

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