Ralf Fücks zur Parteitag-Bilanz : "Die Grünen müssen sich selbst reformieren"

Als organisierte Kraft treten die Realos nicht mehr in Erscheinung, sagt Ralf Fücks, Leiter der Heinrich Böll Stiftung, nachdem die Delegierten in Erfurth ihren Fraktionschef im Bundestag, Fritz Kuhn, durchrasseln liessen.

Weil er als Vertreter des Systems Joschka Fischer gilt, zieht Fritz Kuhn bei der Wahl zum Parteirat den Kürzeren. Bild: dpa

taz: Herr Fücks, die Grünen haben in Erfurt einen neuen Vorsitzenden gewählt und ihren Fraktionschef abgestraft. Was ist Ihre Bilanz des Parteitags?

Ralf Fücks: Einerseits ein hohes Maß an inhaltlicher Gemeinsamkeit. Ein überzeugendes Wahlergebnis für die beiden Bundesvorsitzenden, das Cem Özdemir auf Augenhöhe mit Claudia Roth bringt. Und der Beginn eines Generationenwechsels.

Andererseits?

Dem Parteitag fehlte der Wille zur Macht. Er war sehr binnenorientiert. Zehn Monate vor der nächsten Bundestagswahl sind wir immer noch dabei, in der Opposition anzukommen. Dabei müssten wir in dieser Phase schon die Eckpunkte für ein grünes Regierungsprogramm 2009 diskutieren. Wir dürfen uns nicht mental in der Opposition einrichten.

In Hessen wollten die Grünen doch gerade eine neue Regierungsperspektive ausprobieren - gemeinsam mit Rot-Rot.

Das können Sie auf Bundesebene zumindest für 2009 vergessen. In der Nische zwischen Linkspartei und SPD verhungern wir, dort werden die Grünen als eigenständige Kraft nicht gebraucht.

Für 2013 vielleicht schon.

Jetzt geht es um einen Regierungs- und Politikwechsel 2009. Außer von einem ganz kleinen Kern der Stammwähler werden wir nicht für unsere Gesinnung gewählt, sondern als Partei, die einen Gestaltungsanspruch anmeldet.

Für alle Optionen jenseits von Rot-Rot würde die FDP gebraucht, die in Erfurt so heftig beschimpft wurde wie keine andere Partei.

Ob ein Dreierbündnis mit der FDP funktionieren kann, ist nicht ausgemacht. Es aber von vornherein auszuschließen und die FDP zum leibhaftigen Gottseibeiuns zu erklären, ist nicht sehr vorausblickend. Die Debatte, ob wir uns eher als Teil eines linken Lagers sehen oder als eigenständige Kraft, die in die liberale Mitte ausgreift, wird nicht wirklich ausgetragen. Kaum jemand hat auf dem Parteitag für das Offenhalten unserer politischen Optionen geworben - außer Anja Hajduk, die bei der Parteiratswahl trotzdem ein gutes Ergebnis bekam.

Es war das schlechteste Resultat auf den Frauenplätzen, und bei den Männern fiel der Realo Kuhn sogar durch. Ist das ein Zeichen für einen Linksruck?

Es stimmt, dass die linken Strömungen sehr viel besser organisiert sind. Sie sind angriffslustig und kämpfen für ihre Positionen. Was früher einmal die Realos waren, ist dagegen in einem ziemlich traurigen Zustand.

Gibt es den Realo-Flügel noch?

Nicht als eine handlungsfähige Kraft, die weiß, was sie will. Dass Fritz Kuhn nicht gewählt wurde, ist auch Querelen im realpolitischen Spektrum geschuldet.

Seine schwache Position ist auch eine Folge der Führungsstruktur: Es gibt zwei neu gewählte Parteichefs, zwei Spitzenkandidaten, Kuhn blieb als zweiter Fraktionschef irgendwie übrig. Müssen die Grünen über Doppelspitze, Frauenquote, Amt und Mandat noch einmal diskutieren?

Im nächsten Jahr haben wir Wichtigeres zu tun, als uns mit uns selbst zu beschäftigen. Nach der Bundestagswahl müssen wir allerdings eine gründliche Bilanz ziehen - inhaltlich und strukturell. Wenn die Grünen die Gesellschaft verändern wollen, müssen sie sich auch selbst reformieren können.

Stünden die Realpolitiker heute besser da, wenn sie ihre Positionen offensiver vertreten hätten?

Das glaube ich schon. Für den Einsatz in Afghanistan wird kaum selbstbewusst mit menschenrechtlichen und internationalistischen Argumenten geworben. Auch nicht für eine Erneuerung der Nato, für die es mit Obama eine Chance gibt. In der Sozialpolitik scheint in Vergessenheit geraten, warum wir für grundlegende Reformen eingetreten sind. Das ist eine merkwürdig defensive Haltung.

Die Grünen wären die Einzigen, die ohne Wenn und Aber zu Hartz IV oder zum Afghanistaneinsatz stünden.

(Lacht) Das wäre doch immerhin eine Alleinstellungsposition! Natürlich geht es nicht um ein "weiter so" in Afghanistan, natürlich gibt es bei den Agenda-Reformen Korrekturbedarf. Aber die Grünen sollten offensiv aussprechen, was die Bevölkerung zumindest spürt: Dass man Sicherheit nicht durch Beharren gewinnen kann. "Change" ist angesagt, nicht nur in Amerika.

INTERVIEW: RALPH BOLLMANN

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