Reinhard Bütikofer fordert "New Deal": "Obama macht es vor"

Schon in den 70er Jahren kooperierten Italiens Kommunisten mit Christdemokraten und waren doch nicht weniger links, sagt der scheidende grüne Parteichef Reinhard Bütikofer.

Ein seltenens Ereignis: Der grüne Politiker Reinhard Bütikofer (r) begrüßt freudestrahlend Bundeskanzlerin Angela Merkel (l). Bild: dpa

taz: Herr Bütikofer, auf dem Grünen-Parteitag am kommenden Wochenende treten Sie als Parteivorsitzender ab. Flüchtet der Realo Bütikofer, weil die Grünen immer weiter nach links rutschen?

Reinhard Bütikofer: Von einem Rutsch kann keine Rede sein. Wo wir Positionen neu formulieren, da tun wir es sehr bewusst. Ich habe gemeinsam mit dem jetzigen Bremer Umweltsenator Reinhard Loske die Diskussion über die Radikalisierung der grünen Umweltpolitik angestoßen. Die Debatte über Grundsicherung und Grundeinkommen habe ich gezielt herbeigeführt.

Die Parteispitze bewegt sich also absichtsvoll nach links?

Bei manchen Themen können Sie das so sehen. Das Problem mit dem Wort links ist nur, dass jeder etwas anderes darunter versteht. Wenn ein Grüner sagt, ich bin links, dann engagiert er sich weltweit für Menschenrechte. Wenn ein Funktionär der Linkspartei das sagt, dann verteidigt er im Zweifel das Regime in Kuba.

Also gut: In einigen Fragen gehen Sie nach links. Gleichzeitig öffnen Sie sich machtpolitisch überall nach rechts.

Überall? Wo wollen wir außerhalb Hamburgs denn mit der CDU regieren? In Hessen haben wir das ausgeschlossen.

In Baden-Württemberg haben Sie mit der CDU verhandelt.

Stimmt, dort hätte eine Koalition von uns aus funktioniert.

In Berlin wollten Sie "Jamaika" mit dem jetzt abgesägten CDU-Chef Friedbert Pflüger.

In Berlin wollten wir Rot-Grün mit Klaus Wowereit, aber Wowereit wollte nicht mit uns.

Das klang zuletzt anders.

Mag sein. Ich wehre mich nur gegen die Behauptung, wir öffneten uns systematisch nach rechts. Es stimmt, dass wir seit 2005 einen Kurs der Selbstständigkeit eingeschlagen haben. Die Zeiten sind vorbei, in denen uns jeder Sozi alles zumuten konnte und trotzdem noch unser bester Freund war. Der Maßstab ist, was an grünen Zielen erreichbar ist. In Hessen haben wir eine Chance mit der Linkspartei gesehen, in Hamburg hat sich eine Gelegenheit mit der CDU ergeben.

Trotzdem bleibt ein Widerspruch zwischen linkem Inhalt und rechter Machtoption.

Wer weiß, wo er hinwill, der findet viele Wege. Die italienischen Kommunisten konnten schon in den Siebzigern mit den Christdemokraten kooperieren. Deshalb waren sie nicht weniger links.

Schwarz-Grün ist also ein historischer Kompromiss, wie man damals in Italien sagte?

Der historische Kompromiss blieb ein Versprechen, das nie eingelöst wurde. Was unser Verhältnis zur Union betrifft, sage ich: Die Hamburger CDU hat sich zu einer Koalition auf Augenhöhe entschieden. Die CDU auf Bundesebene will uns nur als Mehrheitsbeschaffer akzeptieren. Nach der letzten Wahl erklärte Guido Westerwelle: Der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag ist ausverhandelt, jetzt dürfen die Grünen gerne zustimmen.

Gibt es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Jamaika und Schwarz-Grün?

Keinen grundsätzlichen, aber einen praktischen: Jamaika ist hunderttausendmal schwieriger. Entscheidend ist: Stellt sich die Union uns gegenüber so auf, wie sich Willy Brandt 1969 der FDP gegenüber aufgestellt hat? Er hat damals Walter Scheel angerufen und gesagt: Wir wollen, dass Sie erfolgreich sind. Die Union heute hat in ihrer Gesamtheit nicht begriffen, wie zentral die grünen Themen für die Zukunft des Landes sind.

Auch Angela Merkel redet ständig über Klima oder Integration. Was sind denn heute noch die grünen Themen?

Wenn ich das auf einen Begriff bringen soll, dann würde ich sagen: Es ist der Versuch, einen grünen New Deal zu formulieren - eine Politik der ökologischen Innovation, eine Politik des bildungspolitischen Aufbruchs, eine Politik, die soziale Ausgrenzung durch Teilhabe ersetzt. Dabei geht es nicht um eine bestimmte politische Farbkombination. Das Wichtige ist, dass Parteien ein Bild von der Zukunft dieser Gesellschaft entwickeln - und nicht nur ein Bild davon, wer auf der Regierungsbank sitzt.

Geht es auch konkreter?

Die neue Perspektive ist doch längst da - schauen Sie doch nach Amerika, da machen Barack Obama und seine Leute es vor. Dafür braucht es eine Koalition über die Politik hinaus. Der New Deal in den USA der 1930er Jahre war nicht nur eine Regierungsformel, das war ein gesellschaftliches Bündnis - auch mit einem progressiven Teil des Kapitals.

Ist der New Deal das Nachfolgeprojekt nach dem Scheitern von Rot-Grün?

Wenn Sie so wollen, ja. Diesmal setzt die Überlegung aber nicht auf der parlamentarisch-politischen Ebene an, sondern auf der Ebene der Gesellschaft. Der zweite Unterschied ist: In der rot-grünen Regierungszeit hat die SPD in zentralen Feldern der Wirtschafts-, Sozial und Finanzpolitik den Ton vorgegeben, wir haben uns auf Reformen in Ökologie und Gesellschaft konzentriert. Bei einem New Deal steht Grün im Zentrum auch der Sozial- und Wirtschaftspolitik.

Ist das Linkssein der Grünen mit der Ökologie schon abgehandelt?

Heute ist nicht mehr links, wer nicht ökologisch ist. Linkssein geht darin aber nicht auf. Es gibt einen sehr engen Zusammenhang zwischen dem Ökologischen und dem Sozialen. Das Ökologische ist nicht mehrheitsfähig ohne die soziale Dimension. Umgekehrt gilt das aber auch: Das Soziale ist nicht mehr beschreibbar, ohne die ökologische Basis zu respektieren.

Deklinieren wir das doch mal durch. Ist zum Beispiel Merkels Klimapolitik schon New Deal?

Nein, Merkel betreibt nur Fassadenbegrünung. Wenn ich an Merkel eines bewundere, dann ist es ihre Fähigkeit zu einer Politik des Als-ob. Das kann sie grandios. Für die Realisierung gilt das weniger. Dann blockiert sie zum Beispiel in der EU die Richtlinie zur Autoeffizienz.

Das war bei Gerhard Schröder auch nicht anders.

Eben. Deshalb ist weder die SPD noch die CDU in der Lage, diesen New Deal anzuführen. Ob wir das intellektuelle und ideelle Zentrum einer solchen Bewegung sein können, ist eine offene Frage. Dazu muss man mehr Reichweite entwickeln, als wir sie derzeit haben.

Wer soll künftig für einen solchen Aufbruch stehen? Als Sie Ihren Rückzug ankündigten und nach einem jüngeren Gesicht riefen, haben Sie Ihre Realo-Freunde in große Verlegenheit gebracht.

Das war ja keine Erfindung von mir, dass jemand Jüngeres an die Grünen-Spitze rücken sollte. Eine Partei, die sich in die Gesellschaft ausbreiten will, muss generationenübergreifend aufgestellt sein.

Nur dass sich so schnell niemand fand und deshalb über die Schwäche der Realos diskutiert wurde. Ein Debakel?

Ein Debakel ist etwas anderes. Sie hatten viel zu schreiben, und wir hatten eine gute Diskussion. Wo ist der Beinbruch, wenn sich eine Weile niemand meldet? Jetzt haben wir Cem Özdemir, der wird den Job wunderbar machen.

Der Kandidat Özdemir fiel bisher dreimal auf: Erst sagte er, er traue sich den Job nicht zu. Dann formulierte er eine ganz eigene Kohlepolitik. Schließlich fiel er bei der Listenaufstellung im eigenen Landesverband durch.

Das Bild, das Sie zeichnen, hat mit Cem Özdemir nichts zu tun. Aber spotten Sie ruhig. Das hält er schon aus, und die Partei hält es auch aus.

Hat der baden-württembergische Chef-Realo Fritz Kuhn bei der Listenaufstellung versagt?

Ich bin nicht gerade als guter Freund von Fritz Kuhn bekannt, deshalb halte ich mich da zurück.

Aber es ist auffällig, dass der führende Realo-Landesverband solche Böcke schießt. Machen die, die sich immer für die größten Profis halten, auch den größten Blödsinn?

Dass der Realoflügel nie besser aufgestellt war als heute, kann man tatsächlich nicht behaupten.

Das heißt?

Ich denke gar nicht daran, zum Abschied Flügelbeschimpfung zu betreiben. Im Übrigen sind die Zeiten vorbei, in denen die Flügelvertreter bei Strafe der Exkommunikation nicht miteinander reden durften.

Trotzdem steht niemand so sehr für die Vermittlung zwischen den Flügeln wie Sie. Wer soll die Rolle übernehmen?

Als ich vor zehn Jahren als Bundesgeschäftsführer anfing, herrschte nicht eine solche Begeisterung. Aber über bestimmte Arten von Auseinandersetzungen sind wir auch hinweg.

Ach so?

Die Kämpfe, die in den ersten Jahren der Regierungsbeteiligung ausgefochten wurden, hatten existenziellen Charakter - denken Sie an den Kosovokrieg, die Panzer für die Türkei. Jetzt sind alle Themen, für die wir stehen, ins Zentrum der gesellschaftlichen Auseinandersetzung gerückt. Deshalb müssen wir für gesellschaftliche Koalitionen sorgen, in alle Richtungen ausgreifen. Das braucht Vermittlungsfähigkeit und Integrationskraft.

Hat das die nächste Generation? Während Sie Ihr Studium nicht abschlossen und Berufspolitiker wurden, spielen jüngere Abgeordnete gerne mit anderen Optionen - und wechseln plötzlich in die Wirtschaft.

Ich habe ein Handwerk von der Pike auf gelernt, das Handwerk der Politik - auch wenn es dafür keinen Meisterbrief gibt, sondern nur Gesellenstücke. An einem Austausch mit der Wirtschaft kann ich aber nichts Schlechtes finden. Wenn wir wollen, dass den Grünen auch Wirtschaftskompetenz zugeschrieben wird, denn müssen wir auch mal einen IHK-Präsidenten oder den Chef eines DAX-Unternehmens stellen.

Sie vergessen, dass Sie schon einen Gewerkschaftschef haben, Frank Bsirske.

Überhaupt nicht. Ich bin ja selbst seit mehr als dreißig Jahren in der Gewerkschaft.

In welche Gewerkschaft geht denn ein Berufspolitiker?

Zunächst war ich in der GEW, dann bin ich zur IG Medien gegangen. Als ich angeben sollte, in welche Unterabteilung ich wollte, gab es die Kategorie Schauspiel. Dann habe ich hineingeschrieben: Staatsschauspieler.

Und was kommt nach den Staatsschauspielern? Joschka Fischer sieht stets dunkle Wolken, wenn er über die grüne Zukunft spricht.

So etwas liebt er, und mit den dunklen Wolken fängt bei ihm das Unheil ja erst an. Für mich gibt es keinen Grund, zu sagen: Ich gehe, jetzt wirds dunkel. Ich sage lieber: Ich gehe, und jetzt wirds hell.

INTERVIEW: RALPH BOLLMANN & ULRIKE WINKELMANN

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