Gewalt- und Pornorap: Freiheit für Track 7

Kommen Songs von Rapper Azad auf den Index oder nicht? Solche Urteile fällen die Mitarbeiter der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien ständig - bei Eibrötchen und Kaffee.

Azad auf den Index? Sido ist schon da. Bild: dpa

Seinen Angriff kündigte der Rapper namens Uzi in einem Song an. Er werde einreiten in die Behörde und alle abstechen. Sie kennen solche Gewaltfantasien bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Aus Ego-Shooter-Spielen, Horrorfilmen und von deutschen Gangsta-Rap-Alben, mit denen sie sich täglich beschäftigen. Morddrohungen sind für die Mitarbeiter nichts Ungewöhnliches, die kommen per Mail.

Die Behörde: Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) hat ihren Sitz in Bonn. Die Behörde wird aktiv, wenn z. B. Jugendämter oder die Polizei dies anregen oder beantragen. Dann beraten und entscheiden Vertreter aus Kunst, Kultur, Wirtschaft, Religion und Ländern darüber, ob CDs, DVDs, Magazine oder Internetseiten indiziert werden.

Die Musik: Der erste indizierte Hiphop-Song war Anfang der Neunziger Jahre "Frohes Fest" von den Fantastischen Vier, die damals selbst zur Verhandlung erschienen. Battle-Rapper wie Bushido kommen heute selten persönlich nach Bonn. Besonders häufig landeten Protagonisten des Berliner Labels Aggro auf dem Index. Meist begründet die Stelle ihre Indizierungsentscheidungen damit, dass in den Texten Frauenfeindlichkeit, Gewalt oder die Verbindung von Sexualität und Gewalt auftreten. Der Anteil von Rappern an der gesamten Musik-Indexliste mit ihren über 600 Titeln ist - im Gegensatz zu rechter Musik - nach wie vor äußerst gering.

Das Netz: Weil das Internet vieles freigibt, was die Prüfstelle indiziert, arbeitet die BPjM eng mit anderen deutschen oder europaweiten Projekten wie jugendschutz.net oder klicksafe.de zusammen. Die Indexliste für Webseiten wird mittlerweile nicht mehr veröffentlicht, um nicht ungewollt Empfehlungen abzugeben. GERN

Wäre es nur um den Song "Fick the BPJM" gegangen, hätten sie dafür eine Akte angelegt, so wie sie es im vergangenen Jahr 778-mal wegen anderer CDs, DVDs, Spiele oder Internetseiten gemacht haben. Sie hätten den Text darin abgeheftet und irgendwann in ihrem Zwölfergremium darüber beraten, ob die Zeilen Minderjährige anregen könnten, zum Messer zur greifen, oder ob sie eine permanente "Gleichgültigkeit gegenüber Gesetzesverstößen" zeigen. Ziemlich wahrscheinlich hätte die Antwort in diesem Fall "ja" gelautet. Nun wurden bei Uzis Berliner Label Hirntot allerdings kürzlich Waffen gefunden, das hat diese Drohung doch sehr konkret werden lassen. Die Leiterin der Prüfstelle erstattete Strafanzeige. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Die Ruhe im grauen Bonner Behördenbau, direkt neben der Arbeitsagentur, hat der Vorfall nicht nachhaltig zu stören vermocht. Die Akten über rechtsextreme Musiker wie Landser oder Porno-Rapper wie Frauenarzt lagern still in ihren beigen Mappen. In den Archivregalen stehen durchnummeriert Computerspiele, DVDs, Super-8-Filme, CDs, Kassetten, "Die Maske" von Sido, "Electro Ghetto" von Bushido, "Schulmädchenreport", Praline. Die Vorsitzende Elke Monssen-Engberding, klein, rheinische Raucherstimme, braunbleiches Haar, den Kopf immer leicht nach vorn gebeugt, sitzt in Jeanshose und -jacke an ihrem Schreibtisch, um den Hals eine Perlenkette. Die Rollläden sind runtergelassen, als wüsste sie aus Erfahrung, dass man der Welt da draußen besser mit Vorsicht begegnet. Durch die Schlitze kann sie den Fallmanagern der Arbeitsagentur in ihren beleuchteten Bürowaben beim Fallmanagen zusehen. Monssen-Engberding selbst managt den Fall Jugendgefährdung. Sie ist 56 Jahre alt, seit 16 Jahren leitet sie die Behörde.

Ihre 18 Mitarbeiter beschäftigen sich auch immer wieder mit Rappern, die aggressiv oder pornografisch texten. Sidos Album "Maske" etwa steht auf dem Index vor "Mann für Mann" der Gruppe Störkraft. Die Rechten besetzen immer noch den Großteil der Plätze.

Als sich vor sechs Jahren die Klagen über harten Rap häuften, begannen die Referenten der Prüfstelle zu recherchieren, was "battlen" bedeutet, wer ein "Homie" ist und wann "ficken" aus dem Niederstraßendeutschen mit "fertigmachen" zu übersetzen ist. Sie fassen diese "Begrifflichkeiten" heute nur mit den Schutzhandschuhen ihrer Verwaltungshochsprache an, packen Rap-Zeilen in Schmutz-Schubladen: zur Gewalt anreizend, rassistisch, Frau als sexuell willfähriges Objekt, positive Darstellung des Drogenkonsums. Dabei berücksichtigen sie die Kunstfreiheit, auch die Kultur und Geschichte des Sprechgesangs. Dass "Ich f dich", wie sie hier sagen, mittlerweile zu den Standardschulhoffloskeln gehört, nehmen sie zur Kenntnis, aber sie versuchen trotzdem gegenzusteuern. "Es kann ja nicht Sinn und Zweck der Übung sein, dass das Wort 'Frau' irgendwann durch 'dreckige Nutte' ersetzt wird", sagt die Chefin.

Ein Stockwerk tiefer schiebt die Protokollantin im Konferenzraum die CD "Der Bozz - Remix" des Frankfurter Rappers Azad in den Player. Das Zwölfergremium der Prüfstelle tagt, wie an jedem ersten Donnerstag. Das Bayerische Landeskriminalamt hat die Überprüfung von Track 7 und Track 9 angeregt. Auf dem Konferenztisch stehen Kaffeekannen und Wasserflaschen, darum herum sitzen ein Lehrer, ein Lokaljournalist, eine Frau vom Zentralrat der Juden, ein Vertreter des Verbands der Deutschen Automatenindustrie, einer des Landes Bayern und einige andere Abgesandte von Verbänden und Ländern. Sie stellen heute "die deutsche Gesellschaft" dar.

Die deutsche Gesellschaft hat ein Durchschnittsalter von ungefähr 57 Jahren, vorwiegend graue Haare und ausnehmend gute Laune. Als die erste Fanfare aus den Boxen stößt, der Bass leicht brummt und Azad rappt, dass in Frankfurt Haschisch auf Bäumen wächst, nickt eine Beisitzerin aus Versehen vier Takte lang mit dem Kopf. Während Track 9 läuft, unterstreicht der Vertreter Bayerns auf seinem Textzettel die Worte "Klinge in den Arsch steckt".

Die Protokollantin stellt mit der Fernbedienung den Player aus. Für einen Moment ist der Regen zu hören, wie er leise gegen die Scheiben prasselt. Nils Bortloff presst am Kopfende des Konferenztisches die Handflächen aneinander, dann beginnt er sein Plädoyer. Er ist Anwalt des Labels Universal, das Azads CD herausbringt. Bortloff sagt, er wolle nicht mit den üblichen Argumenten langweilen - bildhafte Sprache, rhetorisches Mittel der Übertreibung. Den Beisitzern sicher auch bekannt: das Prinzip Battle-Rap - einer fühlt sich von aller Welt angegriffen und muss nun klarmachen, dass er der Beste ist, der Bozz eben. "Das ist das Umfeld", sagt Bortloff, "jetzt zum Vorgang."

Zwei Vorwürfen muss er begegnen: Azad verherrliche a) Drogenkonsum und b) Gewalt. Der Anwalt hat sich mit dem Manager des Künstlers vorbereitet. Track 7, argumentiert er, verherrliche die Drogen nicht, sondern verteufle sie eher. Azad reime etwa "kleiner Gauner" auf "Trauma" - "etwas, was man eigentlich vermeiden möchte." Außerdem sei auch von der "scheiß Realität" die Rede und von "Krankfurt" - der Rapper gebe sich als sozialkritischer Beobachter.

Bortloff sieht im grauen Anzug mit seinem Bürstenschnitt nicht so aus, aber er interpretiert wie ein ambitionierter Lehramtsanwärter im Deutschunterricht. In Track 9 arbeite der Künstler teilweise mit komischen Bildern - "ihr rappt wie mein Arsch". Er wende sich damit aber - "wenn ich spitte, Mutterficker, wird dein Reim ausradiert" - nicht gegen Menschen, sondern gegen Texte. Schließlich zitiert der Anwalt aus einem Interview mit Azad, in dem der Rapper behauptet, einen Meilenstein "in Sachen deepness", also Tiefgründigkeit, gesetzt zu haben. "Wir haben in unserem Schriftsatz", so der Anwalt, "aufgezeigt, dass dieser Mann auch im Rahmen von 'deepness' anders denken, anders rappen kann."

"Vielen Dank", sagt die stellvertretende Vorsitzende der Bundesprüfstelle, Petra Meier, die heute das Gremium leitet. Sie schaut auf ihren Zettel. "Ich pack dich an der Kehle, Mutterficker, und ich beiß dich", murmelt sie, "Klinge in den Arsch steckt, ähm. Könnten Sie da vielleicht noch mal " Bortloff wiederholt in etwa, was er gerade gesagt hat. Eine Beisitzerin will wissen, was "Gangbang, bis die Nille brennt" bedeutet. "Ich erklärs Ihnen nachher", schlägt ihr Nebenmann vor. "Geschlechtsverkehr bis zur Erschöpfung", versucht der Anwalt eine Übersetzung.

Während das Gremium entscheidet, wartet Bortloff draußen. "Mich würde es wundern, wenn das indiziert wird", sagt er, die Hand auf dem silbernen Pilotenkoffer. Es gebe da ganz andere Kaliber. Vor zwei Jahren hat er Bushido bei der Prüfstelle vertreten. "Da waren Hämmer drin", erinnert er sich. "Die kann man dann wirklich nicht mehr erklären." Er verteidigt hier ein Produkt. Wenn Azads Album indiziert würde, käme es in den Elektromärkten in die FSK-18-Ecke und dürfte weder über Amazon noch über den Onlinemusikshop i-Tunes verkauft werden, schon gar nicht an Minderjährige. "Die Leute, die das hören, sind aber weit unter 18", stellt Bortloff fest. "Das heißt: Ich kann meine Käufer nicht mehr erreichen."

"Der Bozz - Remix" darf aber weiter an Teenager vertrieben werden. Das Gremium entscheidet gegen eine Indizierung, obwohl das Lied Nr. 9 mit dieser Klinge "sehr, sehr grenzwertig" sei, teilt Petra Meier mit, weil äußerst realitätsnah. Ein Messer hätten Jugendliche schnell zur Hand. Anders würde sich das verhalten, wenn da von einer Laserpistole die Rede wäre, "wobei das auch nicht grundsätzlich gut sein muss". Sie bittet den Anwalt, bei seiner Firma darauf hinzuwirken, dass man künftig mit solchen Äußerungen vorsichtiger umgehe.

Bortloff verabschiedet sich. Kurze Pause. Lüften. Dann legt die Protokollantin einen Samurai-Film mit viel Kunstblut und Vergewaltigungsszenen ein. Dazu gibt es Eierbrötchen und Kannenkaffee. Um 14.30 Uhr ziehen die Beisitzer ihre Rollkoffer zum Aufzug. Petra Meier, 36 Jahre alt, sitzt im schwarzen Hosenanzug am Konferenztisch. Der Referendar, der Praktikant und die Protokollantin räumen auf.

Meier ist noch ein bisschen geschockt von der Vergewaltigung eben. Sie begegnet diesen Grausamkeiten sonst sachlich - Paragrafen gegen Pornos. Manches setzt ihr aber doch zu. Die Texte, die sie dies Jahr indiziert haben, sagt sie, seien härter gewesen als viele ältere, etwa wenn sie dazu aufriefen, Schwule zu verbrennen. Die wurden häufiger auf die Liste B gesetzt, damit beschäftigt sich dann die Staatsanwaltschaft. Wenn ein Gericht es beschließt, werden solche CDs auch eingezogen. So ist es etwa mit dem Album "Sexkönig" des Pornorappers King Orgasmus One geschehen. Das darf gar nicht mehr verkauft werden. In den Internettauschbörsen sind die Tracks trotzdem zu haben. YouTube hat "Fick die BPJM" sofort entfernt. Seitdem ruht der Vorgang auf "Wiedervorlage". Über etwas, das es nicht mehr gibt, können sie bei der Prüfstelle nicht befinden. Der Songtext allerdings ist weiter im Netz nachzulesen.

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