Theaterkritikerin: Die Ein-Frau-Guerilla

Niemand anderes hat so viele Theater aus aller Welt im deutschsprachigen Feuilleton vorgestellt wie Renate Klett. Ein Portrait der Journalistin.

Das Essener Grillo-Theater. Noch nie da gewesen? Renate Klett bestimmt schon. Bild: dpa

Sie ist uns immer um mehr als eine Nasenlänge voraus. Wo immer interessante Gastspiele ins Theater eingeladen werden, Renate Klett hat sie meist schon gesehen und als Erste darüber geschrieben, in den Feuilletons der Süddeutschen, der Neuen Zürcher Zeitung oder der FAZ. Sie moderiert Gespräche über Kulturaustausch beim Theatertreffen, stellt Theaterkünstler aus dem Iran und Beirut in der Akademie der Künste in Berlin und polnische Regisseure im Goethe-Institut von. Ob es um die rührigen Theaterszenen in Holland, Belgien oder Ungarn geht oder um den Stand der dramatische Künste aus Regionen, von denen man nicht einmal sicher ist, ob sie denn Theater haben, wie Armenien oder die Vereinigten Arabischen Emirate - was man in deutschsprachigen Printmedien darüber erfahren kann, stammt zum großen Teil aus ihrer Feder.

"Renate Klett ist der einzige Mensch der Welt, der monatelang jeden Abend ins Theater geht", sagt Matthias Lilienthal, Intendant des weltoffenen HAU in Berlin. "Sie stellt sich nie die Frage, ob sie dazu Lust hat. Sie tut es einfach. Wenn Sie sich entschlossen hat, jemanden zu lieben, seine/ihre Arbeit zu lieben, dann tut sie es einfach und räumt alle Hindernisse aus dem Weg. Nur eines tut sie noch lieber, nämlich reisen, und das Reisen ist für sie dasselbe wie Theater schauen: Es geht immer um die Entdeckung des Unbekannten."

In ihrer Wohnung in Charlottenburg, im "schönsten Kiez von Berlin", wie sie selbst den alten Westen nennt, gibt es viele Bücher, aber keinen Fernseher. Wozu auch, denkt man, denn erstens ist sie abends selten zu Hause und zweitens holt sie sich ihr Bild der Welt vor Ort ab. Ihr umherschweifendes Leben könnte einem fast als eine Fortschreibung vergangener Hippieträume vorkommen, wäre sie nicht zugleich so fleißig und effektiv. Man sieht ihr die Abenteuerlust nicht unbedingt an, aber sie ist durch gut drei Viertel der Welt ohne Führerschein gereist, getrampt in Armenien, auf Eseln geritten im Kosovo und auf Traktoren gefahren. "Ich bin keine Touristin, ich bin ein Traveller. Ich will nicht nur Sehenswürdigkeiten abklappern, ich interessiere mich wirklich für die Länder", sagt sie. Und so sind die Festivals, über die sie schreibt, oft ihr Eintrittstor in die Länder, um ohne festen Plan von den Hauptstädten aus auszuschwärmen, den Lonley Planet im Gepäck. Sie reist dabei allein, mit Begeisterung, "denn so lernt man viel mehr Leute kennen".

Allein in der Saison 2006/07 konnte man von ihr über Festivals in Istanbul, Amman, Riga, Madrid, Sofia, Belgrad, Lódz und Neufundland lesen, und noch stehen ein Tanztreffen in Ghana und die Vereinigten Arabischen Emirate auf ihrem Plan.

Seit sie Feuilletons liest, seit über 30 Jahren, kommt es ihr oft "so langweilig vor, dass alle immer über dasselbe schreiben. Nichts über aktuelle Debatten oder aktuelle Premieren hinaus. Ich bin ein Ein-Frau-Guerilla-Unternehmen, das zu verändern", erzählt sie. Das war am Anfang sehr schwierig. Sie wusste ja, dass die Redaktionen fast immer die Frage hatten: "Was ist denn der Anlass?". Den kenne sie jetzt auch noch nicht, war oft ihre Antwort.

Ihre Texte aber sind um diese Antwort nie verlegen. Sie gehen oft der Frage nach, welche Form der Öffentlichkeit das Theater denn für das Land bedeutet. En passant entstehen dabei oft die Bilder, die hängen bleiben: zum Beispiel über die ländlichen Amateurbühnen in Neufundland, die ein kanadisches Theaterfestival auch in der Provinz funktionieren lassen. Manchmal reicht ihr erzählerischer Atem zwei, drei, vier Jahrzehnte zurück, um in wenigen Sätzen die veränderte Funktion des Theaters zu den politischen Verwerfungen eines Landes ins Verhältnis zu setzen, wie in Exjugoslawien. Oder sie erzählt über die Produktionsschwierigkeiten, gegen die sich unabhängige Theatergruppen in Bagdad oder Ramallah behaupten müssen. So wird durch die immer geleistete Kontextualisierung aus dem kleinen Schauplatz Theater stets ein Fokus, in dem sich Größeres spiegelt. Und die Theatergeschichten selbst erhalten dadurch eine ganz andere Eindringlichkeit, die Formen auf der Bühne erscheinen plausibler und notwendiger als geschützter Raum der Artikulation.

Sie hat als Kulturkorrespondentin in Paris, London, New York und Rom gelebt. Heute ist sie hauptsächlich als Journalistin unterwegs, früher reiste Renate Klett selbst viel als Festivalmacherin und wird das vielleicht auch wieder tun. In den 70ern war sie Regieassistentin in Frankfurt, als das Theater das erste Mal ein Mitbestimmungsmodell wagte. 1980 sorgte sie für großen Wirbel, als sie das erste Frauen-Theater-Festival in Köln organisierte, in einer Zeit, als Autorinnen und Regisseurinnen noch eine große Seltenheit im Theaterbetrieb waren. Zusammen mit Ivan Nagel hat sie das Festival "Theater der Welt" erfunden, das alle zwei Jahre in einer anderen deutschen Stadt gastiert. Renate Klett war seit 1981 viermal Programmdirektorin des "Theater der Welt", in Köln, Stuttgart, Hamburg, zuletzt in München 1993.

So verdankt ihr das Theater hier seit vielen Jahren die stetige Weitung seines Horizontes. Demnächst, im August, wird im Alexander Verlag Berlin, in der Reihe Nahaufnahme, ein Buch mit fünf Interviews mit dem belgischen Choreografen und Theatermacher Alain Platel erscheinen, von Renate Klett herausgegeben. Er gehört seit langem zu ihren Helden. "Platels Universum aus Dreck und Glorie lässt sich nicht nacherzählen, nur erleben. Es braucht das Klima, die Musik, den Schweiß, braucht Augen, randvoll mit Tanz und Verzweiflung, oder jemanden, der auf einem Geländer sitzt und einen Apfel isst", schreibt sie. Es ist kein Zufall, dass sie sich gerade für diesen Protagonisten sehr vielschichtiger und welthaltiger Stücke so einsetzt. Das geht auch auf die Erfahrung zurück, dass seine so sorgfältig gearbeiteten Produktionen trotz ihrer Komplexität in sehr unterschiedlichen Kontexten funktionieren. Der Tanz überflügelt das Theater oft in der Universalität und Offenheit seiner Formen: Nicht zuletzt dafür hat sie die Wahrnehmung geschärft.

Eigentlich, könnte man denken, bräuchte die Presselandschaft in Zeiten der Globalisierung viel mehr solcher weitreisenden Kulturkorrespondenten wie sie, aber stattdessen werden solche Reportagen immer mehr zur Ausnahme und gelten als Luxus. Sie stöhnt, wenn sie an den Aufwand denkt, bis sie einen Auftrag zur einer Reise nach Burkina Faso und dem Filmfestival dort, dem wichtigsten von Afrika, in der Tasche hat. Vor zehn Jahren war das noch einfacher; obwohl die Flugkosten oft billiger geworden sind, muss auch sie um jede Reise feilschen. "Reich wird man so nicht", sagt sie, "aber glücklich".

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