Geheimdienst als Kunst: Der transparente Spion

Der Künstler Paolo Cirio sammelt im Internet private Bilder von Beamten des US-Geheimdienstes. Die stellt er dann öffentlich aus.

Cirio plakatiert seine Kunst

Dank Cirio sind Geheimdienstler nicht mehr nur anonyme Krawattenträger Foto: dpa

Auch ein Spion, der hauptberuflich damit beschäftigt ist, die halbe Menschheit auszuschnüffeln, ist am Ende des Tages nur ein Mensch. Ein Mensch, der sich darüber freut, wenn eine junge blonde Frau mit ihm ein Selfie machen will. Dass dieses Selfie – er mit leicht beknacktem Grinsen, sie mit Filmstar-Lächeln – Objekt genau der Überwachungsmechanismen werden könnte, die er hauptberuflich perfektioniert hat, auf diese Idee kam Keith Alexander offenbar nicht, als er einer gewissen Corrie das gemeinsame Foto per Smartphone erlaubte.

Keith Alexander? War das nicht der Chef der National Security Agency (NSA), als Edward Snowden diese durch seine Enthüllungen so gründlich blamierte, dass man den Laden eigentlich hätte dichtmachen müssen? Genau. Der frühere Boss der furchterregenden „No Such Agency“ sieht auf dem Bild allerdings gar nicht so furchterregend aus.

Alexander gehört zu einer Reihe von führenden US-Schnüfflern, die der italienische Konzeptkünstler Paolo Cirio in seiner Arbeit „Overexposed“ zum Gegenstand gemacht hat. In den sozialen Netzwerken hat Cirio, der in New York lebt, das Material für eine Porträtserie entdeckt. Sie zeigt die Schöpfer der Durchleuchtung der internationalen Telekommunikation als das, was sie eben auch sind: Privatpersonen mit Smartphones.

Ein Widerspruch in sich

Und als Privatpersonen sind sie exhibitionistisch, doof oder eitel genug, sich selbst im Internet als nette Familienväter, frisch gebackene Ehefrauen oder freundliche Kollegen zu präsentieren. So sehen transparente Spione – eigentlich ein Widerspruch in sich – aus, und so hängen sie jetzt in der Berliner Galerie Nome und als Streetart in den Straßen der Hauptstadt. Die Zeiten, als bei den Geheimdiensten gesichts- und namenlose Schlapphüte unerkannt ihrer Arbeit nachgingen, sind offensichtlich vorbei.

„Die Arbeit handelt von Privatheit und Intimität“, sagt Cirio. „Es geht darum, was wir über uns offenbaren wollen und wie viel man heute über andere herausfinden kann. Einerseits will ich diese Leute lächerlich machen.“ Aber seine Arbeit zeige auch, wie angreifbar wir alle geworden sind. „Indem man diese Bilder öffentlich macht und an die Wand sprüht, führt man diese Leute vor. Man nimmt ihnen etwas von ihrem Nimbus. Und man kritisiert natürlich, was sie tun“, erzählt Paolo Cirio. Inspiriert dazu hat ihn das Konzept der „semiotischen Guerilla“, das der italienische Theoretiker Umberto Eco Ende der Sechziger ins Spiel brachte: Als Ersatz für traditionellen politischen Protest schlug er vor, eingeführte Codes und Kommunikationsstrukturen umzuwidmen.

Einer der Datenkraken, die Cirio zeigt, ist James Clapper, der ehemalige Vizedirektor der NSA, der bei Anhörungen mehrfach den Senat über die Abhörprogramme seiner Behörde belogen hat. Auf Cirios Bild, das ihn mit randloser Brille und einem seltenen Lächeln zeigt, sieht er wie ein netter Kerl aus. Avril Haines, stellvertretende CIA-Direktorin, die für Präsident Obama die „Kill List“ mit zu ermordenden Feinden der USA zusammengestellt hat, ist als Rednerin bei einer schwul-lesbischen Konferenz zu sehen. Und dann ist da noch Caitlin Hayden, die 2013 der deutschen Öffentlichkeit vorgeschwindelt hat, dass die USA das Handy von Kanzlerin Merkel nicht abgehört hätten. Das musste sie umgehend korrigieren. Ganz reizend sieht Hayden auf dem Profilbild aus, das sie sowohl bei Facebook – wo sie Hunderte von Regierungsbeamten als Freunde hat – und bei Twitter verwendet: mit Hochzeitsschleier und frechem Grinsen. „28 people like that“, steht unter ihrem Facebook-Foto, neben dem sie sich als „extrem energiegeladen“ und als Fan von „Alabama Football“ beschreibt.

„Ich überwache die Überwacher“, sagt Cirio. Für die Ausstellung hat der 35-Jährige sie mit einem selbst entwickelten Siebdruckverfahren porträtiert. Aus den Netz-Bildern hat er mithilfe eines 3-D-Druckers Schablonen für die vier Grundfarben ausgedruckt, über die er nur noch mit Sprühdose gehen muss, um vierfarbige Rasterbilder zu bekommen. So ist ein fein gepunktetes Gruselkabinett entstanden, das gerahmt in der Berliner Galerie zu sehen ist.

Sie aufmerksam machen

Die Präsentation der Bilder als Streetart im öffentlichen Raum ist für Cirio ein wichtiger Aspekt der Arbeit, auch wenn ihm klar ist, dass viele Passanten die dargestellten Personen nicht erkennen werden. „Den meisten Leuten würden wahrscheinlich nicht mal deren Namen etwas sagen. Aber wenn diese Bilder in den sozialen Medien kursieren und wenn in der Presse über diese Arbeit berichtet wird, ändert sich das möglicherweise. Es geht mir darum, das Publikum auf diese Leute aufmerksam zu machen.“ Die Berichterstattung ist daher ein entscheidendes Element seiner Kunst: „Die Medien sind wichtige Verstärker für meine Arbeiten.“

Gerade seine Streetart-Arbeiten wurden erst durch die Verbreitung im Internet richtig bekannt, so wie sein Projekt „Google Street Ghosts“, bei dem er lebensgroße Bilder von Menschen, die zufällig vom Google-Street-View-Wagen aufgenommen worden waren, in Großstädten der ganzen Welt an jener Stelle plakatierte, an der man sie fotografiert hatte. „Es geht bei meinen Arbeiten oft darum, digitale Information wieder jenseits des Internets sichtbar zu machen“ – dieses Projekt war für Cirio auch ein Protest gegen Googles Praxis, Passanten ohne deren Zustimmung auf unvorsehbare lange Zeit bei Google Street View festzuhalten.

Die Streetart ist für Cirio wichtig. „Mittlerweile gibt es in Berlin richtige Graffiti-Stadtführungen“, sagt der schlaksige Künstler. Er sitzt in einem Straßencafé in Friedrichshain in der Sonne und isst ein Schokoladeneis. Hier kommen viele Touristen vorbei. „Wenn die Touristen meine Arbeiten fotografieren, tragen sie auch zu ihrer Weiterverbreitung bei“, erklärt Cirio. „Ich speise die Google-Bilder in den öffentlichen Raum ein, und das Publikum speist sie wieder in die sozialen Netze ein.“

Und dann, mit einer weiten Geste über den Platz, an dem wir sitzen: „Die meisten Leute sehen sowieso nur noch, was sich auf dem Bildschirm ihrer Telefone abspielt. Wenn da drüben ein Elefant stehen würde, würde er wahrscheinlich niemandem auffallen, bis jemand ein Bild von ihm auf Facebook postet.“ Erwischt wurde Cirio bei seinen Streetart-Aktivitäten bisher noch nicht. „Aber ich bin auch extrem vorsichtig“, sagt er. In London oder New York etwa stehen auf Graffiti inzwischen hohe Strafen. „In Berlin kann man zum Glück machen, was man will“, sagt Cirio.

Dabei ist Cirio niemand, der einer Kontroverse um seine Kunst aus dem Weg geht, ganz im Gegenteil. Er hat schon eine täuschend echte Visa-Kreditkarte als Kunstedition herausgebracht. Wegen seiner Aktion „Face to Facebook“ drohte das soziale Netzwerk mit einer Klage: Cirio hatte die Profilbilder von Hunderttausenden heruntergeladen und in einer eigenen Datenbank im Netz veröffentlicht – doch Cirio konnte dem Unternehmen nachweisen, dass es die Bilder so schlecht geschützt hatte, dass sie sich den Usern gegenüber fahrlässig verhielten.

Und auch sein neuestes Projekt „Loophole4all“ hat ihm bereits Anwaltsschreiben eingebracht. Er hackte den Server, auf dem die Namen der Unternehmen gespeichert sind, die im Steuerparadies Cayman Islands registriert sind. Diese Briefkastenfirmen verkauft er nun auf einer eigenen Website für 99 Cent – „damit endlich jeder so Steuern hinterziehen kann wie ein multinationales Unternehmen“.

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