Sexuelle Gewalt durch UN-Mitarbeiter: Die Blauhelme und ihr Schatten

Sexuelle Ausbeutung, Missbrauch, Straflosigkeit: Ein interner Bericht bestätigt schwere Vorwürfe gegen Mitarbeiter von UN-Missionen.

Zwei UN-Soldaten, im Hintergrund eine Menschengruppe

Sie waren zum Schutz der Menschen eingesetzt: Blauhelme in Haiti, 2010. Foto: dpa

BERLIN taz | Jean war noch keine 14 Jahre alt, und das Straßenkind auf dem zentralen Platz im haitianischen Gonaïves galt als geistig zurückgeblieben. Er suchte Kontakt zu den UN-Blauhelmtruppen in der Stadt, und am 20. Januar 2012 wurde er von pakistanischen UN-Polizisten vergewaltigt.

Von einem Kontingent zum nächsten sei Jean herumgereicht worden, jahrelang, hieß es später. Haiti war empört, die Regierung verlangte die Auslieferung der Täter. Die UN-Mission in Haiti (Minustah) bat Pakistan vergeblich um Kooperation.

Ein pakistanisches Militärtribunal flog schließlich auf die Karibikinsel und verurteilte die beiden Beschuldigten in einem Schnellverfahren zu einem Jahr Haft, abzusitzen in der Heimat. Die Polizisten wurden repatriiert. Jean kam in ein Heim. Für seine Entschädigung erklärte sich die UN-Mission für nicht zuständig.

„Dieser schwierige Fall verdient gemeinsames Nachdenken“, heißt es diplomatisch in einem UN-Untersuchungsbericht über den Umgang mit sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch durch UN-Personal, der am späten Dienstag veröffentlicht wurde, nachdem Teile davon geleakt worden waren. Er „hat die Wahrnehmung von Straflosigkeit für UN-Personal in Haiti vergrößert“ und „könnte einen Präzedenzfall darstellen“.

Die meisten Fälle im Kongo

Der Untersuchungsbericht der internen UN-Ermittlungsbehörde OIOS spricht von 480 Vorwürfen sexuellen Missbrauchs oder sexueller Ausbeutung – also bezahlter Geschlechtsverkehr oder das Ausnutzen einer Notlage – gegen UN-Personal im Ausland zwischen 2008 und 2013. Das seien viel mehr als bisher bekannt. 45 Prozent der Fälle entstammen der Demokratischen Republik Kongo, wo die größte UN-Blauhelmmission der Welt steht. Im Fokus stehen außerdem Liberia und Haiti.

Eigentlich besteht bei den Vereinten Nationen seit 2005 ein absolutes Verbot sexueller Beziehungen zwischen Angehörigen einer UN-Mission und Bürgern ihres Stationierungslandes. In der Praxis lässt es sich weder kontrollieren noch verhindern, dass Soldaten ins Bordell gehen oder UN-Zivilisten sich eine „Freundin“ halten. Der Bericht zitiert eine Untersuchung, wonach in Liberias Hauptstadt Monrovia, seit 12 Jahren UN-Stationierungsort, jede vierte Frau schon einmal mit einem UN-Mitarbeiter geschlafen hat.

Schwierig wird es, wenn aus solchen Beziehungen „Blauhelmkinder“ entstehen, wie sie im Kongo genannt werden, und die Väter das nicht anerkennen; die UNO ist da machtlos, was aber niemand versteht. Oder wenn Sex mit Minderjährigen im Spiel ist, was laut OIOS auf ein Drittel aller Vorwürfe zutrifft; außer im Kongo gibt es fast nirgends Hilfe für Opfer.

Monatelange Ermittlungen

Interne Untersuchungen fallen zu über 60 Prozent entlastend aus, heißt es im letzten UN-Jahresbericht zum Thema. Der OIOS-Bericht merkt dazu kritisch an, dass Untersuchungen durch das Truppenstellerland selbst meist auf Entlastung zielen. Untersuchungen durch die UN-internen Ermittler, von denen es 199 zwischen 2008 und 2013 gab, dauerten viel zu lange – im Schnitt 16 Monate.

Die OIOS-Veröffentlichung folgt auf einen noch geheimeren Prüfbericht über den Umgang mit sexuellen Ausbeutungsvorwürfen bei den UN-Missionen in Haiti, Liberia, Kongo und Südsudan, der im Rahmen der Debatte um den Vorwurf der Verschleierung von Kindesmissbrauch durch französische Soldaten in der Zentralafrikanischen Republik publik wurde.

Dieser Bericht war vernichtend. Es gebe für die Meldung und Untersuchung dieser Vorwürfe weder gemeinsame Standards noch Informationsaustausch. Es herrsche eine „Kultur des Schweigens“, die Opfer würden ignoriert. „Straflosigkeit ist eher die Regel als die Ausnahme.“ Viele UN-Mitarbeiter seien darüber „frustriert und entmutigt“.

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