Kommentar EU gegen Schlepper: Martialische Offensive als Ablenkung

Politische Peinlichkeit zu kaschieren, dürfte der tiefere Sinn der angekündigten Anti-Schlepper-Operation sein. Der EU fehlt jede Strategie.

Ein Schlauchboot mit Flüchtlingen

Wer auf diesem Boot ist aus EU-Sicht zu rettender Flüchtling und wer abzuwehrender Schlepper? Foto: reuters

Man kann getrost davon ausgehen, dass Russland die Pläne der EU nicht aus Menschenfreundlichkeit im UN-Sicherheitsrat blockiert. Aber auch andere Staaten haben schon sehr früh Zweifel angemeldet, wie ein Waffengang gegen den Willen Libyens gerechtfertigt sein soll, der sich nicht gegen eine Gefahr für Europa, sondern gegen die – fraglos mafiösen – Schleuser richten soll.

Dass die Sache einfach durchgeht, hat wohl keiner gedacht. Zu offensichtlich sind die Risiken, zu unklar ist, wer eigentlich was angreifen soll, wollte Europa den libyschen Schleppern tatsächlich mit Gewalt zu Leibe rücken. Es scheint eher, als hätte auch die EU-Kommission selbst nicht ganz an ihren Plan geglaubt. Anders ist nicht zu erklären, dass sie sich bislang offensichtlich nicht mal die Mühe gemacht hat, sich in der Angelegenheit mit der islamistischen Rebellenregierung des Fajr-Bündnisses zu beraten.

Selbst wenn sich die Brüsseler Diplomaten – und dafür gäbe es gute Gründe – nicht mit den Konkurrenten der international anerkannten Regierung in Tobruk einlassen mögen: Ohne das Plazet der beiden wäre jeder Einsatz noch viel heikler.

Der EU-Kommission wird klar sein, dass es kein besonders erfolgversprechender Plan ist, potenzielle Flüchtlingsboote aus der Luft zu suchen und sie dann ebenfalls per Luftschlag zu zerstören. Zivile Opfer wären programmiert – LibyerInnen ebenso wie MigrantInnen. Auch müsste die EU dann erklären, warum sie zu den Waffen greift, um die unerwünschten Migranten abzuwehren, die IS-Dschihadisten aber ungestört schalten und walten lässt.

Viel wahrscheinlicher ist daher, dass Brüssel versucht hat, mit der martialischen Offensive davon abzulenken, dass die EU sich auf keine substanzielle Strategie einigen kann, um die eskalierende Lage am Mittelmeer zu beruhigen.

Nach den beiden großen Unglücken im April wuchs der öffentliche Druck, eine Lösung zu finden. Jeder Versuch, eine faire europäische Lastenteilung zu schaffen, scheiterte aber. Und ein Ende dieses Zustandes ist nicht in Sicht. Diese politische Peinlichkeit zu kaschieren dürfte der tiefere Sinn der angekündigten Anti-Schlepper-Operation gewesen sein.

Von daher hat niemand, auch die EU selbst, Anlass zu bedauern, dass bis auf Weiteres europäische Polizisten nur die Konten der Schlepper ins Visier nehmen, statt dass Kampfpiloten Raketen an die Strände Nordafrikas schießen.

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

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