NSU-Prozess in München: Der Zschäpe-Flüsterer

Der Prozess steht vor einer Wende: Mit ihrem neuen Verteidiger Mathias Grasel könnte Zschäpe doch noch ihr Schweigen brechen.

Die drei Anwälte von Beate Zschäpe

Zwar nicht gefeuert, aber abserviert: Zschäpes bisherige Anwälte Sturm, Stahl und Heer (v.l.n.r.). Foto: dpa

MÜNCHEN taz | Das gab es lange nicht: Gelöst setzt sich am Dienstagmorgen Beate Zschäpe im Saal A101 des Münchner Oberlandesgericht auf ihren Platz, lächelt, scherzt. Ihre Zugewandtheit gilt dem jungen Anzugträger neben ihr: Mathias Grasel, Münchner Anwalt und seit Dienstag vierter Pflichtverteidiger der Hauptangeklagten.

Unablässig beugt die sich hinüber zu dem Neuen, verwickelt ihn in Gespräche. Der blickt ernst zurück, nickt verständig, antwortet zugewandt. Zschäpe wirkt aufgedreht. Welch ein Kontrast zum Auftritt bis vor sieben Tagen.

Seit Wochen herrschte zwischen Zschäpe und ihren bisherigen Pflichtverteidigern – Anja Sturm, Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer – frostige Funkstille. Wiederholt warf Zschäpe ihnen Vertrauensbrüche vor, versuchte sie zu entbinden – ohne Erfolg. Die Anwälte kofferten zurück: „Anmaßend“ und „selbstüberschätzend“ sei die Mandantin, ihre Vorwürfe seien nicht nachvollziehbar.

Seitdem: kein Handschlag, kein Gespräch. Auch am Dienstag ignoriert Zschäpe ihre alten Verteidiger – und spricht mit Grasel, als wären sie seit Jahren vertraut. Dabei hatte das Gericht den Neuen erst am Vorabend zum vierten Pflichtverteidiger ernannt, auf Wunsch der Angeklagten.

Nun ist Grasel da

Die Berufung deutet eine Wende an in dem seit zweieinhalb Jahren laufenden Mammutprozess. Denn Zschäpe, die sich zuletzt wiederholt krank meldete und sich vom Prozess ausgelaugt beschrieb, ist nicht nur wie ausgewechselt. Es besteht auch die Hoffnung, dass sie endlich ihr Schweigen bricht.

Die Möglichkeit einer Aussage hatte die 40-Jährige selbst vor zwei Wochen ins Spiel gebracht. Sie beschäftige sich mit dem Gedanken, “etwas zu sagen“, teilte Zschäpe dem Gericht schriftlich mit, aber nur ohne ihre bisherigen Anwälte, da diese ihr zu striktem Schweigen rieten. Das lehnten die Richter ab. Nun ist Grasel da – und sagt, er wolle nach Zschäpes Wunsch verteidigen

Schon am Dienstag verbucht er einen kleinen Erfolg: Kaum hatte Richter Götzl den Prozesstag eröffnet, beantragte Grasel drei Wochen Pause, um sich in die Akten einzuarbeiten. Die Richter zogen sich zurück, nach 20 Minuten verkündete Götzl einen Kompromiss: eine Woche Pause, dazu die Absage zweier weiterer Prozesstage. Das sei „angemessen und ausreichend“. Grasel verzog keine Mine. Später sagte er, er sei mit der Entscheidung „zufrieden“.

Wer ist der 30-Jährige? Grasel ist erst seit 2011 als Anwalt zugelassen, seit 2013 als Strafverteidiger. Sein Jurastudium in Konstanz und München hat er in kurzer Zeit durchgezogen, nebenher in einer Münchner Kanzlei gearbeitet. Sein Referendariat absolvierte er am dortigen Oberlandesgericht – genau dort, wo er jetzt als Verteidiger Zschäpes sitzt.

Besuche in der Haft

Ein rechter Szeneanwalt ist Grasel nicht. Bisher vertrat er eher Alltagsverfahren. Verkehrsdelikte, Internetbetrug, zuletzt verteidigte er auch eine Alkoholabhängige, die betrunken einen Bekannten erschlug. Warum ausgerechnet er?

Den ersten Kontakt soll es im vergangenen Sommer gegeben haben, als Zschäpe ihre Anwälte das erste Mal loswerden wollte. Sie suchte juristischen Rat – und fand ihn offenbar bei Grasels Bürokollegen Hermann Borchert. Der seit 1983 Tätige gehört zu den bekannteren Münchner Strafverteidigern. Zschäpes Antrag scheiterte, der Kontakt aber hielt, jetzt auch zu Grasel. Der soll die Angeklagte wiederholt in der Haft besucht, auch Wäsche mitgebracht haben. Nun ist er ihr Verteidiger im derzeit größten Strafprozess der Republik.

Es ist wohl dieses Renommee, das Grasel lockte. Aber das Mandat birgt auch Risiken. Der Neue hat zweieinhalb Jahre Prozess und weite Teile der Beweisaufnahme verpasst. Was will er da noch rumreißen? Wird er sich gegen drei erfahrenere Altverteidiger durchsetzen? Oder ist hier einer überfordert in ein Großverfahren hineingestolpert, der sich von der Angeklagten instrumentalisieren ließ?

Grasel selbst nennt sein Mandat eine „große Herausforderung“. Er sei von Zschäpe gebeten worden und habe ihrem Wunsch entsprochen. Auch werde er von einem „renommierten Strafverteidiger“ unterstützt. Gemeint ist offenbar Borchert. Wäre er nicht vom Erfolg überzeugt, hätte er das Mandat nicht angenommen, so Grasel.

Anwälte auf Distanz

Dass der Neuverteidiger einen eigenen Weg einschlagen will, zeigt sich schon am Dienstag. Mit Stahl, Sturm und Heer wechselt er kaum ein Wort. Noch vor Prozessbeginn gibt es stattdessen Streit. Das Anwältetrio war extra früh erschienen, hatte sich die Sitzpläne neben Zschäpe gesichert. Grasel protestiert – mit Erfolg: Die Anwälte rücken zur Seite, Zschäpe nimmt neben dem Neuen Platz.

Der hatte schon in der Vorwoche Kontakt zu Stahl, Sturm und Heer aufgenommen. Jetzt geht er sichtbar auf Distanz. In einer Prozesspause bleibt nur Grasel sitzen und spricht mit Zschäpe. Die anderen Verteidiger verlassen den Saal.

Auch am Ende des Prozesstages steht Grasel allein vor dem Gerichtsgebäude. Er spricht bedacht, mit wenigen Worten nur, die Sonne treibt ihm Schweiß auf die Schläfe. Ob Heer, Stahl und Sturm Fehler gemacht hätten? „Kein Kommentar.“ Ob er eine gemeinsame Verteidigungslinie mit ihnen finden werde? Das werde man sehen. „Unsere Rücksprache ist noch nicht so weit entwickelt.“ Teamwork klingt anders.

Stahl, Heer und Sturm stehen nur unweit von Grasel entfernt. Anders als bei ihrer Mandantin fehlt ihren Gesichtern jede Gelöstheit. Der Auftritt Grasels kann ihnen nicht recht sein. Man werde weiter professionell verteidigen, ihr Rat bleibe: keine Aussage – oder vollständig auspacken.

Hoffnung auf Aussage

Tatsächlich würde ihr eine Teilaussage bei den Anklagevorwürfen kaum Strafrabatt einbringen. Macht Zschäpe also reinen Tisch? Dagegen spricht ihre Ankündigung, nur „etwas“ auszusagen. Und der Fakt, dass sie offenbar bis heute nicht mal ihren Anwälten erzählt, welche Rolle sie im NSU-Trio innehatte. Heer, Stahl und Sturm nicht. Und Grasel?

Die Anwälte der Opferfamilien im NSU-Prozess sind überzeugt, dass eine Wende bevorsteht. „Ein neuer Anwalt ohne neue Strategie macht keinen Sinn“, sagt Thomas Bliwier, der die Familie des Kasseler NSU-Opfers Halit Yozgat vertritt. Zschäpes Schweigen habe bisher nicht dazu beigetragen, die Anklage zu erschüttern. „Ich hoffe“, so Bliwier, „sie beginnt zu reden“.

Da ist Zschäpe schon wieder im Gefangenentransport, auf dem Weg zurück in ihre Zelle in der JVA Stadelheim. Vor dem Gericht bleibt Grasel zurück. Werde er Zschäpe im Prozess sprechen? „Zum jetzigen Zeitpunkt nicht.“ Aber später? Grasel hält kurz inne, dann: „Wie gesagt, nicht zum jetzigen Zeitpunkt.“ Das klingt nicht mehr eisern. Das klingt, als wäre der Bruch der Schweigestrategie schon angelegt.

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