Heiko Maas und Vorratsdatenspeicherung: „Ja, das war ich“

Er war harter Gegner der Vorratsdatenspeicherung – bis er Justizminister wurde. Dann hat er ihre Umsetzung in der eigenen Partei durchgesetzt.

Heiko Maas im Bundestag

Nicht mit Bitten und Beten hat er Erfolg gehabt, sondern mit der harten Kante – auch gegen sich selbst. Foto: dpa

taz: Herr Maas, sind Sie derzeit ein skeptischer Befürworter der Vorratsdatenspeicherung oder ein konstruktiver Kritiker?

Heiko Maas: Die Begriffe haben ja eine große Schnittmenge. Aber eigentlich interessieren mich solche Schubladen nicht, unter denen sich jeder etwas anderes vorstellen kann.

Finden Sie Ihren Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung richtig gut? Sind Sie stolz darauf, was Sie mit Innenminister de Maizière ausverhandelt haben?

Der von uns vorgelegte Gesetzentwurf hat mit dem alten Gesetz nicht viel zu tun. Es sollen weit weniger Daten für einen kürzeren Zeitraum gespeichert werden, sie sind besser gegen Missbrauch gesichert und sie können nur zur Aufklärung schwerer Straftaten abgerufen werden. Kein Gesetz in Europa ist so zurückhaltend, wie das von uns geplante.

Sehen Sie sich als Erfinder einer „zurückhaltenden Vorratsdatenspeicherung“?

Es gibt sicher Gesetze, denen ich emotional näher stehe. Aber ich bin mir sicher, dass es uns ganz gut gelungen ist, die grundrechtlichen Anforderungen einzuhalten und dennoch Mehrwert für die polizeilichen Ermittler zu schaffen.

48, ist seit Dezember 2013 Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz. Vorher war er SPD-Fraktionsvorsitzender im Landtag des Saarlandes und ab 2012 saarländischer Wirtschaftsminister. Seit 1989 ist Maas Mitglied der SPD.

Ich würde gern verstehen, wie sich Ihr Verhältnis zur Vorratsdatenspeicherung verändert hat. Was ist grundlegende Überzeugung, was sind neue Einsichten und was ist politische Loyalität?

Fragen Sie!

Als Karlsruhe 2010 das erste Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung kippte, lobten Sie das Urteil als „klare Absage an die Ermittlungsmethode des Generalverdachts“. Damals waren Sie also Gegner der Vorratsdatenspeicherung?

Meine Skepsis war und ist bekannt. Man kann das nur unter strengen Voraussetzungen machen, die ich eben skizziert habe.

Dann wurden Sie Minister einer Regierung , in deren Koalitionsvertrag die Vorratsdatenspeicherung vorgesehen war. Die Methode an sich war für Sie also kein rechtsstaatliches Tabu?

Das Verfassungsgericht hat 2010 klare Vorgaben gemacht, ebenso der EuGH 2014 – beide Gerichte haben aber die Vorratsdatenspeicherung nicht von vornherein ausgeschlossen.

Gleich nach Amtsantritt im Januar 2014 haben Sie aber angekündigt, die Vorratsdatenspeicherung erst einmal „auf Eis“ zu legen, bis der Europäische Gerichtshof über die entsprechende EU-Richtlinie entschieden hat.

Es schien mir einfach logisch, erst das Urteil abzuwarten und dann einen Gesetzentwurf vorzulegen.

Sie sagten damals, wenn der EuGH die Richtlinie kippt, entfällt die „Geschäftsgrundlage“ des Koalitionsvertrags. Etwas überraschend hat der EuGH im April 2014 tatsächlich die Richtlinie für nichtig erklärt. Trotzdem soll es jetzt eine Vorratsdatenspeicherung geben.

„Wegfall der Geschäftsgrundlage“ hieß ja nicht: dann machen wir gar keine Vorratsdatenspeicherung, sondern nur: dann müssen wir neu reden, wie man mit dieser Situation umgeht.

Was haben Sie und der Innenminister nach dem EuGH-Urteil vereinbart?

Dass wir erst mal abwarten, ob die EU-Kommission einen Vorschlag für eine neue Richtlinie vorlegt. Wenn ja, wollten wir die Richtlinie mitgestalten und hätten sie anschließend auch umsetzen müssen.

Dann ist aber monatelang gar nichts passiert …

Wir haben gewartet, was die Kommission macht, von der aber erst mal nichts zu hören war.

Im Dezember 2014 twitterten Sie: „#VDS lehne ich entschieden ab - verstößt gg Recht auf Privatheit u Datenschutz. Kein deutsches Gesetz u keine EU-RL!“ Waren das Sie oder hat ein pfiffiger Aktivist Ihren Account gehackt?

Das war ich.

Zu diesem Zeitpunkt sahen Sie also die Chance, ganz auf die Vorratsdatenspeicherung zu verzichten?

Es ging damals um eine Vorratsdatenspeicherung, wie sie sich die Sicherheitspolitiker stets gewünscht haben – also deutlich mehr Daten speichern und längere Speicherfristen. Für eine solche sah ich keine Grundlage – und die ist auch so nicht geplant.

Anfang Januar kam der Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Frankreich. Unions-Politiker forderten die Vorratsdatenspeicherung. Sie hielten jedoch dagegen.

Ich wollte vor allem verhindern, dass nun überstürzt über ein Gesetz diskutiert wird. Die Verschärfung von Gesetzen nach Anschlägen führt selten zu guten Ergebnissen. Es ist eine Aufgabe des Justizministers, hier zur Besonnenheit aufzurufen. Der Rechtsstaat bewährt sich vor allem in der Bedrohung.

Ab Mitte Januar 2015 erklärte SPD-Chef Sigmar Gabriel, die SPD sei offen, die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen. Haben Sie versucht, in der SPD Widerstand dagegen zu organisieren?

Nein.

Warum nicht?

Der Anschlag auf Charlie Hebdo war ein Einschnitt, weil jeder wusste: Das hätte theoretisch auch bei uns passieren können. Ich habe gemerkt – nicht nur in der Politik, auch in der Bevölkerung –, dass im Lichte eines solchen Ereignisses Sicherheitsargumente plötzlich an Schlagkraft gewinnen. Das muss nicht immer rational sein – aber es ist so.

Und dann haben Sie eben mitgemacht?

Ich habe die Chance gesehen, jetzt mit der Union eine grundrechtsverträgliche Form der Vorratsdatenspeicherung auszuhandeln, die den strengen Vorgaben der Gerichte gerecht wird und auch den parteiinternen Hürden auf Grundlage des SPD-Parteitagsbeschlusses. Ich finde: Das ist alles gut gelungen.

Am 15. März hat Gabriel im Deutschlandfunk verkündet, „dass die Kollegen de Maizière und Heiko Maas gemeinsam einen solchen Vorschlag entwickeln müssen“. Hatte er da vorher mit Ihnen gesprochen?

Die Position von Sigmar Gabriel war weder neu noch überraschend.

War abgesprochen, dass Gabriel bekannt gibt, was Sie machen „müssen“?

Ich hatte doch längst angefangen, mit Herrn de Maizière zu reden.

Die parteiinterne Kritik an der Vorratsdatenspeicherung war dann doch viel größer, als Sie erwartet haben. Ohne Sie hätte Gabriel seinen Plan auf dem SPD-Konvent im Juni gar nicht durchsetzen können.

Das ist hypothetisch.

Warum haben Sie das getan? War es die Loyalität zu Sigmar Gabriel, zum SPD-Vorstand oder haben Sie aus eigener Überzeugung für das Projekt gekämpft?

Es ist mir gelungen, eine vergleichsweise restriktive und vor allem grundrechtsschonende Regelung auszuhandeln. Dass ich aus einer Position der harten Ablehnung kam, hat dies vielleicht sogar erleichtert.

Noch ist das Gesetz nicht verabschiedet. In der Union fordern manche Nachbesserungen zugunsten der Sicherheitsbehörden.

Herr de Maizière und ich sind der Auffassung, dass wir einen guten und ausgewogenen Kompromiss vorgelegt haben. Jetzt ist der Bundestag am Zug.

Gegen die neue Vorratsdatenspeicherung wurden schon viele Klagen angekündigt. Hoffen Sie insgeheim, dass die Gerichte das Gesetz kippen?

Nein. Ich bin sicher, dass wir alles dafür getan haben, dass das Gesetz bestätigt wird.

Haben Sie mehr Angst vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof?

Ich habe überhaupt keine Angst. Denn das Gesetz genügt allen Vorgaben.

Im Januar haben Sie noch betont, eine Vorratsdatenspeicherung könne nicht wieder eingeführt werden, weil der EuGH darin eine Verletzung der Grundrechte sieht. War das damals etwas zu pauschal formuliert?

Wie bereits gesagt: Es ging damals um eine Vorratsdatenspeicherung, wie sie sich die Sicherheitspolitiker immer gewünscht haben. Was wir nun vorgelegt haben, hat damit nicht mehr viel zu tun. Wir erfüllen die EuGH-Vorgaben – auch, weil wir den E-Mail-Verkehr komplett von der Speicherung ausnehmen und die Berufsgeheimnisträger besonders schützen.

Parteichef Gabriel will die SPD zur „Partei der Sicherheit“ machen, so hört man. Sind Sie wieder mit dabei?

Die SPD ist und bleibt vor allem die Partei der sozialen Sicherheit, ich nenne nur mal die Mietpreisbremse. Aber man muss auch die Sorgen und Ängste der Bürger vor Kriminalität und Bedrohung ernst nehmen.

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