Neue Chefin des ARD-Hauptstadtstudios: „Wir müssen uns entschleunigen“

Tina Hassel leitet jetzt das Hauptstadtstudio der ARD – als erste Frau. Ein Gespräch über ihre Pläne, ihre Arbeit als US-Korrespondentin und über House of Cards.

Angela Merkel sitzt in einem roten Sessel

„Was wollen Sie als Frau anders machen?“: Angela Merkel im erstmals von einer Frau geleitetem Hauptstadtstudio. Foto: dpa

taz: Sie sind in einer aufregenden Zeit gekommen: Griechenland, Flüchtlingskrise, Betreuungsgeld. Hatten Sie sich Ihre Einarbeitung ruhiger vorgestellt?

Tina Hassel: Es war absehbar, dass der Sommer spannend wird. Viele Themen, die gerade aktuell sind, habe ich in den vergangenen Monaten auch in den USA behandelt. Ich bin sehr glücklich, jetzt hier zu sein. Ich habe den tollsten Job im Ausland für den spannendsten im Inland getauscht – zumindest für einen Politjunkie.

Also haben Sie nicht das Gefühl, von der großen Politik in den USA jetzt in die kleine gekommen zu sein?

Ganz im Gegenteil. Die großen, dramatischen Themen spielen zurzeit alle in Europa oder sie sind transatlantisch: Ukraine, die Schuldenproblematik, NSA. Ich habe eher das Gefühl, ich komme da hin, wo es gerade spannend ist.

Die 51-Jährige hat beim WDR volontiert, war Korrespondentin in Paris, Brüssel und Washington. Seit 1. Juli leitet sie das ARD-Hauptstadtstudio, das die bundespolitischen Nachrichtenbeitrage für die ARD, etwa für „Tagesschau“, „Tagesthemen“ und den „Bericht aus Berlin“ liefert.

Welchen Stellenwert hatten Sie als deutsche Journalistin in den USA?

Ausländische Medien stehen dort nicht an erster Stelle. Die Amerikaner sind absolut pragmatisch und fragen vor jedem Interview: Was bringt mir das? Da musste ich als deutsche Journalistin bei vielen Themen zugeben: Erst einmal nicht so viel. Da galt es, eher die Kontakte zur zweiten Politikerreihe zu pflegen. Andererseits: Im Vergleich zu vielen anderen ausländischen Medien waren wir als Deutsche, gerade von den öffentlich-rechtlichen Medien, sehr privilegiert – genau wie die BBC.

Wie unterscheidet sich Politikjournalismus in den USA von dem in Deutschland?

Der gesamte Politikzirkus unterscheidet sich ganz grundlegend. Politik in den USA ist immer Entertainment. Kandidaten stellen ihr Privatleben und das ihrer Kontrahenten auf eine Art aus, die auf uns Europäer oft befremdlich wirkt. Andererseits spielen Charisma dort eine größere Rolle und der direkte Kontakt zwischen Politikern und Bürgern. Und genau das beeinflusst auch die Berichterstattung: Sie setzt mehr auf Unterhaltung, weniger auf Inhalt.

Klingt nach „House of Cards“

Absolut. Ich bin Fan der Serie. Natürlich ist das Fiktion, aber mit sehr viel Wahrheitsgehalt hinsichtlich US-Politik und -Journalismus. Strippenziehen, inoffizielle Informationskanäle, Machtspiele – da lässt sich einiges ins reale Leben übertragen. Problematisch an der Bericht­erstattung ist aber auch die Struktur der Sender: 70 Prozent des Kabelmarktes werden von sechs Unternehmen dominiert. Da bleibt nicht viel übrig von unabhängigem Journalismus. Menschen, die ausschließlich Fox News oder MSNBC schauen, leben auf verschiedenen Planeten.

Was nehmen Sie aus den USA mit nach Berlin?

Ich nehme mit, wie wichtig Social Media ist. In den USA hat jeder Journalist und Politiker einen Twitteraccount. Wichtige politische Entscheidungen werden zuerst dort veröffentlicht, auch von Präsident Obama. Deswegen arbeiten wir daran, unseren Social-Media-Auftritt zu verbessern. Zweitens geht es mir darum, wie wir Politikberichterstattung entschleunigen können. Entschleunigung, dafür mehr Hintergrund, ist ganz wichtig, wenn man Menschen wieder interessieren will.

Wie kann man Menschen noch für Politik interessieren?

Viele haben das Gefühl, Politik ist ein Raumschiff, das mit ihrem Leben nichts mehr zu tun hat. Die Sprache, mit der sie behandelt, und die Orte, an denen sie verhandelt wird, haben kaum Berührungspunkte mit dem Alltag vieler Leute. Deswegen möchte ich wieder mehr raus ins Leben, auch mal mit einer ganzen Sendung. Es ist wichtig, zu zeigen, wo die Politik, die in Berlin gemacht wird, Wirkung zeigt – oder ohnmächtig verpufft.

Mit dem gesunkenen Interesse geht auch gesunkenes Vertrauen einher – Stichwort „Lügenpresse“. Wie viel haben Sie davon in den USA mitbekommen?

Viel, weil diese Diskussion in den USA auch schnell und re­flexartig geführt wird. Durch die starke Polarisierung in zwei Lager mit jeweils eigenem Weltbild ist die Bereitschaft extrem gesunken, miteinander zu diskutieren. Das ist besonders dann zu merken, wenn man in sehr konservativen oder Tea-Party-nahen Kreisen unterwegs ist. Dort heißt es oft: „You’re the ­liberal press – mit euch reden wir nicht, ihr verdreht ja alles.“ Das ist nicht nur ein Medienproblem, das ist ein Demokratieproblem.

Hat die ARD da auch Fehler gemacht?

Bei uns ist Glaubwürdigkeit ein ganz hohes Gut. Das sehen wir auch immer wieder in Umfragen. Wenn wir selbstkritisch sein wollten, sollten wir öfter mal die Geschwindigkeit rausnehmen und Informationen erst dann veröffentlichen, wenn sie hundertprozentig gesichert sind. Aber das ist längst erkannt. In Sachen Glaubwürdigkeit können wir daher sehr selbstbewusst sein.

Sie sind die erste Frau an der Spitze des Hauptstadtstudios. Nervt Sie, dass das immer noch Thema ist?

Es ist ja richtig, dass es thematisiert wird. Andererseits, wenn Sie mich fragen: „Was wollen Sie als Frau anders machen?“, muss ich sagen, dass mich das nicht wirklich interessiert. Ich halte es da mit Hillary Clinton, der ja auch ständig gesagt wird: „Sie könnten die erste Präsidentin sein.“ Darauf sie: „Ich will eine gute Präsidentin sein.“ So geht es mir in meiner Position auch.

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