Debatte übers Schwarzfahren: Ohne Ticket – ist das unsozial?

Wer sich ohne Fahrschein im Nahverkehr erwischen lässt, muss mittlerweile in vielen Städten 60 Euro zahlen. Ist das falsch und unverhältnismäßig?

Schwarzfahrer und Kontrolleur

Für alle Seiten teuer: Die Jagd der Kontrolleure auf Schwarzfahrer Foto: DPA

Schwarzfahren ist Egoismus, sagt Gernot Knödler

Manche sehen das Fahren ohne Fahrschein als revolutionären Akt im Kleinen. Das ist falsch. In Wirklichkeit handelt es sich um kaschierten Egoismus, denn wer schwarz fährt, bürdet die Kosten seiner Fahrten allen anderen Fahrgästen auf. Ein solches Verhalten unterscheidet sich nicht wesentlich vom Klauen im Supermarkt oder vom Versicherungsbetrug.

Dazu kommt, dass das Schwarzfahren die Kosten des öffentlichen Nahverkehrs insgesamt steigen lässt, denn es macht Kontrollen nötig, die wiederum Geld kosten. Und die Betrügerei stiftet Misstrauen: Wer aus Versehen keinen Fahrschein dabei hat, muss Strafe zahlen, obwohl er sich nur eine Schusseligkeit geleistet hat.

Nun ließe sich argumentieren: Macht Busse und Bahnen einfach fahrscheinfrei, dann lösen sich all diese Probleme und Diskussionen in Luft auf. Doch das schafft einige Folgeprobleme: Unter anderem ist zu fürchten, dass der Vandalismus zu- und das öffentliche Interesse an Bus und Bahn abnimmt.

Das wiederum führt zu einem zweiten Problem: Bezahlt werden müssen Busse und Bahnen ja weiterhin, fragt sich nur wie breit die Basis sein soll oder kann, die sie finanziert. Am praktikabelsten für die Länder und Kommunen wäre wohl ein Bürgerticket, also eine Zwangsabgabe wie die Rundfunkgebühr. Jeder müsste zahlen – ob Autofahrer, Radler oder Fußgänger, ob Viel- oder Gar-nicht-Fahrer. Schon unter StudentInnen, wo das als Semesterticket firmiert, ist die Kritik daran groß. Viel Spaß bei der Durchsetzung!

Konsequent wäre es, weiterzudenken und auch Unternehmen in die Finanzierung einzubeziehen – schließlich kämen deren Lastwagen schneller ans Ziel, wenn mehr Leute auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen würden. Letzten Endes legt das eine Steuerfinanzierung nahe, die den Charme hätte, dass sie eine Einkommensprogression enthält – wer mehr verdient, zahlt mehr.

Ein solcher Schritt dürfte aber noch schwerer durchzusetzen sein. Und er hätte den Nachteil, dass auf Bundesebene für alle Regionen verhandelt werden müsste, was der Nahverkehr kosten darf. Damit wäre nicht garantiert, dass das Ziel, um das es eigentlich geht – möglichst viele Leute vom Auto wegzulocken – erreicht würde.

Denn das Modell sichert nicht eine auskömmliche Finanzierung, die erst dichte Takte, moderne Busse und saubere Bahnhöfe möglich macht. Den Verkehrsunternehmen würden ein Steuerungsinstrument entzogen. Sie könnten nicht mehr wie bisher durch gezielte Verbilligung die Fahrgäste auf nachfragearme Zeiten lenken. Engpässe und damit ein schlechteres Angebot wären die Folge.

Und die Verkehrsanbieter verlören ein natürliches Messinstrument für die Attraktivität ihres Angebots: die Bereitschaft der Fahrgäste, eigenes Geld für die Fahrt auszugeben – nicht bloß das Geld, das aus dem anonymen, magischen Steuertopf kommt.

Schwarzfahren ist richtig, sagt Katharina Schipkowski

Lieber würde ich Geld aus dem Fenster schmeißen, als es für den innerstädtischen Nahverkehr auszugeben. Geld in einen Fahrkartenautomat zu werfen, kommt mir weder notwendig vor, noch besonders schlau, aber am wenigsten scheint es mir politisch sinnvoll zu sein.

Erstens bezahlen wir alle den öffentlichen Nahverkehr bereits - mit Steuern und Abgaben. Städte, Gemeinde und Länder subventionieren die Verkehrsverbände – aber nutzen dürfen wir sie nur, wenn wir nochmal extra zahlen?

Zweitens entstehen durch die Verfolgung und Sanktionierung von Umsonstfahrenden erhebliche Kosten. Wer mehrmals ohne Ticket erwischt wird, bekommt eine Strafanzeige, wer seine Schulden nicht bezahlt, auch. Viele Jugendliche aus dem prekärem Milieu saßen schon mal wegen Schwarzfahrens im Knast. Das steht einerseits in keinem Verhältnis zu anderen Delikten, die mehr Schaden verursachen, aber weniger hart bestraft werden. Andererseits ist der wirtschaftliche Schaden, den ein Gefängnisaufenthalt verursacht, viel größer, als der, den das Erschleichen der Dienstleistung verursacht. Die Sanktion ist also nicht wirtschaftlich.

Dazu kommt, dass Mobilität nicht nur ein Grundbedürfnis der Menschen ist, sondern auch in Form einer Erwartung von verschiedenen Seiten an jeden und jede gestellt wird. Die Anforderungen der Leistungsgesellschaft sind untrennbar mit Beweglichkeit verbunden: Wir werden genötigt, aus eigener Tasche dafür aufzukommen, dass Arbeitswege, Behördengänge und andere Abläufe, die das System am Laufen halten, schnell und reibungslos funktionieren. Der Staat schiebt den BürgerInnen die Kosten zu und zieht sich aus der Verantwortung.

Das wirkt sich auch auf individueller Ebene aus: Um gesellschaftlichen Anforderungen zu genügen, muss man selbstverständlich mobil und flexibel sein – wer nicht von hier nach dort kommt, hat keine Chance auf dem Arbeitsmarkt, keine guten Aussichten im Sozialsystem, und keine Möglichkeit auf Teilhabe und Mitbestimmung am öffentlichen Leben.

Den Preis des Nahverkehrs zahlen hauptsächlich die, die ohnehin wenig am öffentlichen Leben teilhaben. Diejenigen, die besonders laut schreien müssen, um sich Gehör zu verschaffen, wohnen selten in den Szenevierteln im Stadtzentrum. Am städtischen und gesellschaftlichen Rand, in unattraktiven Siedlungen an Autobahnauffahrten und in Industriegebieten, sind sie besonders auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen. Gleichzeitig sind die Marginalisierten diejenigen, die es sich nicht leisten können, Geld dafür auszugeben.

Damit die Sanktion aber nicht die trifft, die ohnehin nichts geschenkt bekommen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns solidarisch zu organisieren, solange der Nahverkehr noch nicht umsonst ist. Frühwarnsysteme und Versicherungen für Ohne-Ticket-FahrerInnen sind ein guter Anfang.

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