Neue „Jim Knopf“-Jubiläumsausgabe: Fürn Ärmel

Michael Ende hat eine antirassistische Erzählung geschrieben – die dennoch voller Stereotype ist. Auch nach 55 Jahren darf das N-Wort bleiben.

Eine Zeichnung von jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer

Ein dreckiger Lokomotivführer sieht einem schwarzen Jungen nicht wirklich ähnlich Foto: dpa

BERLIN taz | Herr Ärmel darf also weiter „Neger“ sagen. Der Thienemann Verlag behält das zweifellos schon immer rassistische Wort in der neuen Jubiläumsausgabe von „Jim Knopf“ bei. Denn Michael Ende ist leider tot und kann sich nicht zu seiner Wortwahl äußern, heißt es vom Verlag, das Wort komme ohnehin nur einmal vor und nur um den untertänigen Bildungsbürger Herrn Ärmel, dessen Existenz aus Spazierengehen und Regiertwerden besteht, als „Besserwisser“ zu markieren. Lassen wir das mal kurz gelten.

Damit keine Zweifel aufkommen: Michael Ende hat eine antirassistische, antiklassistische und antifaschistische Erzählung geschrieben, in der er dem damals vor 15 Jahren besiegten Nazideutschland noch eins mitgibt und zugleich bis in die heutige Zeit aktuell bleibt.

Brutale „reinrassige Drachen“ verstoßen einen „Halbdrachen“, weil seine Mutter Afrikanerin ist, und wollen ihn später auch noch als „Verräter“ auffressen. Unmenschliche Bürokraten erklären zwei papierlosen schwarzen Bootsflüchtlingen, dass sie „amtlich gesehen“ gar nicht existieren und wollen sie hinrichten. Und zum Ende der Erzählung macht Jim Knopf aus seinem wiedergefundenen Reich ein Multikulti-Superwunderland, in dem Kinder aus der gesamten Welt friedlich spielend miteinander leben und Lokomotive fahren können.

Es ist Endes Verdienst, dass er dem weißen deutschen Bildungsbürgertum schon 1960 einen kompetenten, typisch deutschen Jungen als Protagonisten gab, der zufällig schwarz ist – diesem Bürgertum, das zuvor willig die pseudowissenschaftlichen Beweise für die Unterlegenheit von Schwarzen und die Mittel für Völkermorde geliefert hatte.

Waschen ist nicht überflüssig

Das ist zugleich Endes Problem: Sein Publikum ist weiß, er selbst auch und er kennt offensichtlich keinen dunkelhäutigen Kinder. Das Baby Jim erschrickt vor dem schwarzen Gesicht von Lukas dem Lokomotivführer, weil es ja noch nicht weiß, „dass er selber auch ein schwarzes Gesicht hatte“ – als wäre es selbstverständlich für Babys, dass Menschen weiße Gesichter haben.

Lukas’ Gesicht ist aber auch nicht wirklich schwarz, sondern dreckig von Ruß, der nicht mehr abgeht, obwohl er sich mit einer speziellen Lokomotivführerseife wäscht. Die Gleichsetzung von Schwarzsein und dreckig sein ist ein tief sitzendes rassistisches Motiv, das Ende gleich wieder bedient, als Jim Waschen für überflüssig deklariert, weil man den Dreck an seiner Haut ja nicht sehe.

Schließlich liefert Jim selbst die Gleichsetzung als Argument, warum er den angesehensten Beruf der Fantasiewelt anstrebt: Es sei nämlich für Lokomotivführer ganz praktisch „schwarze Haut zu haben“, erwidert er, als der Scheinriese Herr Tur Tur authentisch vorurteilsfrei fragt: „Warum sollte man nicht schwarz sein?“

Dabei bleibt es nicht. Das Land Mandala beschreibt Michael Ende in einer Reihe von Fernost-Exotismen: Es gibt Porzellanbrücken, die Menschen haben gelbe Haut und essen Wespennester in Schlangenhaut. Er baut sogar plumpe Chinesenwitze ein: Der mörderische Oberbonze heißt Pi Pa Po und der winzige, aber hyperaktive Kochsohn heißt Ping Pong. Nur kurz wendet Ende den Blick, indem er Ping Pong sich vor Käse als „verschimmelte Milch“ ekeln lässt.

Auch bei der Darstellung von Frauen nutzt Ende fast ausschließlich Stereotype: Die vier weiblichen Hauptfiguren sind die bösartige Drachenlehrerin Frau Malzahn, die strickende und Guglhupf backende Haus- und Kauffrau Waas, die betont zierliche Prinzessin Li Si und die Meerjungfrau Sursulapitschi, die vor allem Heiraten möchte.

Was tun mit dem N-Wort?

Mag sein, dass das weiße Bürgertum vor 55 Jahren keine Ahnung vom Rassismus des N-Wortes hatte, ähnlich wie das heutige beim Wort „Schwarzafrikaner“. Noch heute ist es auch zu plumpen Chinesenwitzen fähig, wie eine kürzlich erschienene FAZ-Bildunterschrift zeigt, die Chinesen „Jubel, Tlubel, Heitelkeit“ zuschreibt. Dass Herr Ärmel das N-Wort auch heute noch in den Mund nimmt, outet ihn nach Jahrzehnten afrodeutschem Aktivismus nicht als „Besserwisser“, sondern als stinknormalen Rassisten.

Die Jubiläumsausgaben erscheinen in neuer Rechtschreibung. Ungefragt, denn die entstand ja erst ein Jahr nach Endes Tod

Der Thienemann Verlag muss laufend entscheiden, ob er Kindern und ihren Vorleser_Innen ein möglichst diskriminierungsfreies Erlebnis bietet, oder sich an den ursprünglichen Autorentext klammert. Er hat entschieden, weder das eine noch das andere zu tun, denn die Jubiläumsausgaben erscheinen in neuer Rechtschreibung. Unabgesprochen, denn die entstand ja erst ein Jahr nach Endes Tod.

Und so bleibt „Jim Knopf“ an das weiße Herr-Ärmel-Bürgertum gerichtet, das zwar leidenschaftlich darüber streiten kann, ob Rassismen denn wirklich welche sind, aber kein Eszett an der falschen Stelle toleriert.

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