Porträt über Regisseur Fabian Gerhardt: Der Spielmacher

Der Theaterregisseur Fabian Gerhardt beschäftigt sich mit Machtverhältnissen und der Suche nach dem echten Moment.

Fabian Gerhardt redet über sich, wie über eine Figur in seinen Inszenierungen. Foto: Alexander Hörbe

Othello rast vor Eifersucht. Er zittert, schnauft, seine Augen starren ins Leere. Der Verdacht, seine Ehefrau Desdemona könnte ihn betrogen haben, beherrscht seine Gedanken. Jago hat diese Zweifel an Desdemonas Treue gestreut – aus Rache, weil der Feldherr Othello ihn nicht befördert hat. Obwohl Desdemona eine selbstbewusste Frau ist, steht ihre soziale Rolle von Anfang an fest: Sie ist das Opfer. Die Männer dominieren. In der modernisierten Version von Shakespeares „Othello“, die am Theaterdiscounter die Spielzeit beschloss, geht es um Machtstrukturen – wie in vielen Inszenierungen des Regisseurs Fabian Gerhardt. Das Thema zieht sich wie ein roter Faden durch seine Biografie.

Ihm selbst war das lange nicht bewusst. „Ich glaube, es stimmt so sehr, dass es für mich schon selbstverständlich ist“, sagt er. Der 43-jährige Berliner sitzt auf einer Bank im Park am Gleisdreieck in der Nähe des Naturspielplatz, für Gerhardt eine Oase in der Stadt. Zwei Tage zuvor ist er mit seinen beiden Söhnen umgezogen. In den letzten sieben Monaten hat er acht Premieren herausgebracht. Jetzt braucht er Zeit, um anzukommen.

Seine Hemdsärmel sind hochgekrempelt, die Arme tätowiert. Fabian Gerhardt redet viel und ist dabei ungewöhnlich offen. Er erzählt von inneren Krisen und analysiert sich, als sei er selbst eine Figur in einem seiner Theaterstücke.

Autoritäten vertraut

Hierarchien haben in seinem Leben immer eine Rolle gespielt. Als Kind wollte er Polizist werden. Autoritäten vertraute er blind. „Lehrer hatten für mich fast schon einen göttlichen Status.“ Er fand sich leicht in Strukturen ein, suchte nach Anerkennung und Halt. Seine Eltern trennten sich, als er sechs Jahre alt war. Er spricht viel vom Verlust, vom Vertrauensbruch, von der fehlenden Vaterfigur. Es war eine traumatische Erfahrung.

Die persönlichste Geschichte, die er je inszeniert hat, sei das Stück „Kaspar“ von Handke am Hans Otto Theater in Potsdam gewesen. „Es geht um einen Jungen, der immer versucht, alles richtig zu machen.“ Die sogenannten Einsager trichtern dem Findelkind Worte ein, foltern ihn verbal. Am Ende bleibe von Kaspar nicht viel übrig, sagt Gerhardt.

Fabian Gerhardts Vater Ulrich ist ein bekannter Hörspielregisseur, seine Mutter Eike Schauspiellehrerin. Werner Rehm, Darsteller an der Schaubühne, war sein „Theaterpapa“ und wurde nach der Trennung seiner Eltern zu einer Bezugsperson. Als er selbst den Weg des Schauspielers einschlug, fragte er sich oft: „Ist es das, was ich will? Oder erfülle ich damit nur die Biografien meiner Eltern?“ Die Suche nach seiner Identität war für ihn ein Kampf.

Nach einem Schauspielstudium in Hannover gehörte er in Leipzig, Bremen, Hannover und zuletzt in Dresden zum festen Ensemble. Zwei Mal wurde er zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Er war stolz auf das, was er erreicht hat, und fühlte sich trotzdem lange nur wie jemand, der aus der Zunft kommt.

Beziehung zur Stadt

Mit 35 Jahren wurde er Regisseur. Nach „Besessen“ von Corraxía Cortez schaffte er mit Athol Fugards „Die Insel“ am Staatsschauspiel Dresden 2010 den Durchbruch. Die Aufführung wurde an das Deutsche Theater Berlin und das Thalia Theater Hamburg eingeladen.

„Du brauchst einfach so ein Ding, wo es Klick macht.“ In dem Stück geht es um zwei Männer, die sich eine Zelle auf einer Gefängnisinsel teilen. Um die Realität zu ertragen und ihre Würde zu wahren, proben sie heimlich eine Szene aus einer griechischen Tragödie. Da er die Rollen mit zwei Studenten besetzte, galt er daraufhin als „der Schauspieler, der jetzt inszeniert und gut mit Studenten kann“, erzählt Gerhardt.

Inzwischen ist er dort angekommen, wo er sein will: als Theaterregisseur mit Basis in Berlin. An welchem Theater er inszeniert, bedeutet ihm nicht viel. Seine Eitelkeit habe er bereits als Schauspieler befriedigt. „Klar merke ich, dass die Leute anders reagieren, wenn ich sage, dass ich am Deutschen Theater arbeite, aber das ist mir ziemlich egal.“ Wichtiger als das Label sei ihm der Zusammenhalt.

Zudem brauche er eine Beziehung zur Stadt. Er fühle sich schnell entwurzelt. „Wie andere Kollegen von Stadt zu Stadt zu reisen, könnte ich psychisch nicht.“ In ein paar Filmen hat er mitgespielt, als Filmregisseur könnte er jedoch nicht arbeiten. Er denke nicht in Bildern, sondern in Vorgängen, erklärt Fabian Gerhardt.

Musik hat immer recht

Aus diesem Denken in Vorgängen schlägt er oft ein großes Tempo und viel Humor heraus. Urkomisch wirkt es, wenn der Schauspieler Anton Weil im „Othello“ plötzlich seine Rolle wechselt und er nicht mehr Jagos treudoofen Gehilfen spielt, sondern dessen Ehefrau.

Dabei sucht Gerhardt auf der Bühne oft nach dem wahren Moment, der die Zuschauer überrascht. Das Schauspiel soll sich nicht inszeniert, sondern echt anfühlen. Um eine solche Energie in seinen Stücken zu erzeugen, braucht er viel Freiraum für Kreativität. Musik ist sein erster Ansatz. Erst dann wisse er, wie das Stück wird, denn Musik habe immer erst mal recht.

Zudem lässt er seine Schauspieler_innen zunächst improvisieren und ohne Text spielen. „Wenn Schauspieler improvisieren dürfen, kommen von ihnen so viele Angebote“, sagt Gerhardt. Für ihn als Regisseur sei das dann eine einfache Arbeit. Er müsse nur annehmen und auswählen, sowie entscheiden, was er festlegt und was er offen lässt. „Ich hatte schon immer so das Spielmacher-Ding in mir“, sagt er. Im geschützten Rahmen des Theaters kann er sich austoben.

„Wir alle haben mit Machtstrukturen zu tun. Worin wir uns unterscheiden, ist, wie wir uns ihnen entziehen.“ Seine Art ist, immer wieder in seinen Stücken davon zu erzählen.

In „Wunderland“, einem Projekt an der Universität der Künste Berlin, findet sich Alice in einer kafkaesken Welt wieder mit Regeln, die alle befolgen, aber niemand versteht. Am Hans Otto Theater Potsdam thematisiert „Die Kunst des negativen Denkens“ Geschlechterrollen und das Leben mit Behinderungen. In seiner nächsten Premiere „3000 Euro“ von Thomas Melle widmet sich Gerhardt dem gesellschaftlichen Abstieg in einer egoistischen Welt. Im Februar nächsten Jahres führt er „Michael Kohlhaas“ von Kleist am Staatsschauspiel Dresden auf: Ein Mann, der auf seine Ohnmacht mit Terror reagiert.

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